zum Hauptinhalt
Der Wohnungsbau geht zurück, obwohl es viel Zuzug gibt. Seit 2015 sind fast vier Millionen Menschen nach Deutschland gekommen.

© IMAGO/Schöning

„In Berlin wird das ein Drama sein“: Neubautätigkeit laut Branche kurz vor dem Stillstand

Die Immobilienbranche warnt vor dramatischen Einbrüchen im Wohnungsbau – Projektentwicklungen gehen signifikant zurück.

Die Wohnungswirtschaft steht vor der schwersten Krise seit Jahrzehnten. Das berichten übereinstimmend der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) und der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). In den kommenden zwei Jahren sinkt nach einer Umfrage des BFW das Projektvolumen um 60 Prozent. Verkauf und Vermarktungsaktivitäten sind fast komplett zum Erliegen gekommen. Besonders betroffen von der Entwicklung sind Großstädte wie Berlin.

„Man kann auf jeden Fall davon ausgehen, dass die Bautätigkeit weitgehend eingestellt wird und es dadurch auch in Berlin zu einer weiteren Verknappung von Neubauwohnungen kommen wird“, sagt Mathias Grüning, Leiter Projektentwicklung/ Grundstücksakquise bei der Hanseatischen Immobilien Treuhand GmbH, die vor allem für institutionelle Investoren baut. Grüning ist in Berlin und im Umland mit Projekten in Reinickendorf, Oranienburg und Königs Wusterhausen unterwegs.

Bedarf und Bedürfnisse sind zweierlei

Er bestätigt auf Nachfrage die Prognosen der Branchenverbände. Man müsse immer zwischen Bedarf und Bedürfnis unterscheiden. „Wir reden immer alle vom Bedarf. Ich glaube, da ist ganz viel Bedürfnis, weil Menschen in den Städten wohnen wollen. Sie könnten ja irgendwo am Rand wohnen. Sie werden es auch – zumindest teilweise. Doch in Berlin wird das ein Drama sein.“

Was im Zuge des immensen Zuzugs in die deutschen Großstädte – auch infolge des Flüchtlingsstroms aus der Ukraine – bereits vor Monaten befürchtet wurde, könnte Realität werden: Die Neubauzahlen brechen ein – in den kommenden Jahren droht der Stillstand.

Der ZDB sieht eine Krise von enormem Ausmaß auf die Gesellschaft zukommen. „Wenn das Bauhandwerk leidet, dann leidet die Volkswirtschaft. Die Volkswirtschaft leidet, weil das Bruttosozialprodukt zurückgeht. Dann leiden aber auch die Menschen“, sagte Reinhard Quast, Präsident des ZDB, in dieser Woche in Berlin. Der BFW rechnet mit Insolvenzen, Arbeitslosigkeit und Stillstand beim Wohnungsbau für lange Zeit.

Insbesondere die bisher gute Auftragslage trübt sich ein. Während der Bund viele Milliarden in die Infrastruktur investieren will, fehlt laut Quast vor allem in den Kommunen oft das Geld für öffentliche Bauaufträge. Im Wohnungsbau sprängen Investoren ab, weil sich die Projekte angesichts der hohen Baukosten und steigender Zinsen nicht mehr rechneten. Viele Projekte werden storniert. Werden Projekte gestoppt, so werden sie in aller Regel nicht wiederbelebt, beobachtet der BFW.

Wir rechnen mit 280.000 Wohnungen in diesem Jahr, noch mal deutlich weniger im nächsten Jahr

Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer Zentralverband Deutsche Baugewerbe

„Es gibt gar keine Planungssicherheit mehr“, sagt Grüning zum aktuellen Bauträgergeschäft: „Alles wurde in kürzester Zeit durcheinandergeworfen. Alle Dinge, die man vor einem Monat besprochen hat, sind einen Monat später komplett anders. Die großen Investoren drehen sich alle gerade weg und sagen: Wir schauen erst mal, was der Markt macht. Und das führt gerade zu einem Stillstand.“ Die größte Unsicherheit entstehe aus den Energiekosten und der Inflation. Unter beiden Faktoren leiden Projektentwickler, Bauträger und potentielle Auftraggeber gleichermaßen.

Das Statistische Bundesamt hat nach Angaben des ZDB für die Baukosten im Wohnungsbau Preissteigerungen von 19 Prozent ermittelt. „Die große Frage ist, was im Einkauf passiert?“, sagt Quast, der selbst Bauunternehmer ist: „Wie hoch ist da der Druck? Ab Januar sind schon wieder Preissteigerungen angekündigt.“

Die bisher gute Auftragslage trübt sich ein

Hohe Zinsen sollten eigentlich zu sinkenden Immobilienpreisen führen. Doch dieser Effekt werde durch die steigenden Baupreise weitgehend kompensiert, sagte Quast. Der Umsatz gehe in diesem Jahr real um 5,5 Prozent zurück. „Und nach allen Auswertungen im nächsten Jahr noch mal um 7 Prozent.“ Das sei gewaltig.

400.000
Neubauwohnungen sollen jährlich in Deutschland entstehen.

„Es ist schlimmer als erwartet. Klar ist, die Ziele der Bundesregierung sind in unerreichbare Ferne gerückt“, sagte BFW-Präsident Dirk Salewski in Berlin und forderte ein mutiges Gegensteuern durch den Staat. Auch ZDB-Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa sieht die Branche weit von der politisch formulierten Wunschvorstellung entfernt, jährlich 400.000 Neubauwohnungen zu errichten.

„Wir rechnen mit 280.000 Wohnungen in diesem Jahr, noch mal deutlich weniger im nächsten Jahr“, sagte Pakleppa in Berlin. Schon 2021 seien es nur knapp 294.000 gewesen. In den kommenden Jahren könne man froh sein, wenn es 200.000 werden. „Wir haben Wohnungsnot in den Ballungsräumen und seit 2015 fast vier Millionen Menschen, die zu uns nach Deutschland gekommen sind“, sagte Pakleppa. „Und in der Situation wird die Neubauförderung quasi fast auf null – auf eine Milliarde Euro – runtergezogen. Wir hatten 2021 noch 10 Milliarden Euro. Das ist einfach zu wenig.“ Es sei in den Krisen immer richtig gewesen, einen investiven Impuls zu setzen.

„Wir wollen alle Planungssicherheit haben, das steht fest“, sagt Bauträger Mathias Grüning. Er wünscht sich „eine klare Förderkulisse“. Auch Sonderabschreibungen „wären was Gutes“. Stattdessen werde aber eine neue Förderquote für den KFW-Effizienzhausstandard 40 geschaffen, für den es noch gar nicht genügend Zertifizierer gebe. Der ZDB forderte, die Neubaufördermittel nicht an den besonders hohen Energieeffizienzstandard EH-40 zu koppeln.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false