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Leichtbauhallen stehen als Notunterkunft für Geflüchtete am ehemaligen Flughafen Tegel. (zu dpa "Kiziltepe: Großunterkünfte erhöhen das Risiko von Konflikten") +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Sebastian Gollnow

Flüchtlingsunterkunft in Tegel: Linke, Grüne und Hilfsorganisationen fordern Plan für Schließung

Mäuse, Dreck und zu wenig Platz: In Berlin nimmt die Kritik an der Flüchtlingsunterkunft in Tegel zu. Grüne, Linke und verschiedene Hilfsorganisationen fordern die Schließung.

Mehrere Hilfsorganisationen sowie die Berliner Fraktionen von Grünen und Linken haben am Dienstag die Zustände in der Großunterkunft für Geflüchtete in Tegel kritisiert und einen Plan für die Auflösung gefordert. „Solch eine Unterkunft wird niemals menschenwürdig sein“, sagte Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl auf der Fachtagung im Abgeordnetenhaus, zu der Grünen- und Linksfraktion gemeinsam eingeladen hatten. „Wir brauchen ein klares Datum, wann diese Flüchtlingsunterkunft geschlossen wird“, forderte er.

Ähnlich äußerten sich auch Emily Barnickel vom Berliner Flüchtlingsrat und Oleksandra Bienert, Vorsitzende der Allianz Ukrainischer Organisationen. „Das, was ich in Tegel gesehen habe, ist nicht nur schockierend, sondern es sind ganz klare Menschenrechtsverletzungen“, sagte Bienert. Barnickel vom Flüchtlingsrat warf der Berliner Koalition und den Verantwortlichen vor Ort vor, sich erpressbar gemacht zu haben, weil sie kaschierten, was dort passiere. Sie mahnte die Schaffung von mehr sozialem Wohnraum an.

Mindeststandard nicht gegeben

Grünen-Fraktionsvorsitzende Bettina Jarasch forderte die Einhaltung von Mindeststandards. Man müsse sich ehrlich machen, dass Tegel längst kein Ankunftszentrum mehr sei. „Es braucht einen Plan, wie wir Tegel schließen können“, sagte sie. Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Elif Eralp, forderte ebenso eine Auflösung Tegels. Solange dies aber nicht geschehe, brauche es „Schutzkonzepte und Mindeststandards“.

In der Großunterkunft in Tegel, die nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ursprünglich als Ankunftszentrum konzipiert worden war, leben aktuell nach Angaben der Sozialverwaltung 4376 Menschen, davon 3594 Geflüchtete aus der Ukraine und 782 Asylsuchende aus anderen Regionen. Sie sind in einem ehemaligen Terminal und in Leichtbauhallen auf dem Gelände untergebracht. Insgesamt ist die Unterkunft für 7000 Menschen ausgelegt – und damit Deutschlands größte Unterbringungseinrichtung für Geflüchtete.

Untergebrachte oft allein gelassen

Vertreter aus der Zivilgesellschaft und Bewohner der Unterkunft schilderten am Dienstag die Zustände vor Ort. Bienert berichtete von einem Vater, der mit seinen fünf- und 17-Monate alten Kindern auf engstem Raum dort lebe. Baby- und Kindernahrung müsse er selbst besorgen. Als er Personal nach einer zweiten Packung Feuchttücher gefragt habe, sei ihm das verwehrt worden. Eine weitere Frau habe Bienert berichtet, dass ein Sicherheitsmann einen Beweis verlangt habe, als diese aufgrund ihrer Periode ihre Binde habe wechseln wollen. „Es ist unwürdig und ich wundere mich nicht, dass Menschen aus Tegel zurück in den Krieg in die Ukraine fahren“, sagte Bienert.

Bei der Fachtagung sprachen auch Bewohner von Tegel selbst. „Als ich in Tegel ankam, dachte ich, dass es wie ein Gefängnis sei“, sagte einer von ihnen. Tegel sei zudem nicht sicher für Kinder. Zuvor hatte bereits Usama Ibrahim-Kind von Unicef Deutschland darauf hingewiesen, dass solche Unterkünfte keine Orte für Kinder seien.

Anna Mogilatenko vom Verein Sunflower Care, verwies auch für die desolate Situation für geflüchtete Menschen mit Behinderung. Ihr Verein sehe verschiedenste Unterkünfte in Deutschland. „Die Unterkunft in Tegel gehört mittlerweile zu den schlimmsten in Deutschland“, sagte sie. Es gebe inakzeptable hygienische Bedingungen in Duschräumen oder Toiletten, schimmeliges Essen und Mäusebefall in einer Quarantänestation. Zum Nachweis zeigte Mogilatenko Fotos von vor Ort.

Ein ukrainischer Bewohner von Tegel warf dem Personal vor Ort vor, inkompetent zu sein. Oft fielen Sätze wie: „Wenn euch etwas nicht gefällt, könnt ihr ja wieder nach Hause fahren.“ Häufig würde auf mehrfache Nachfragen, etwa zu einer Toilettenreparatur, mit Ahnungslosigkeit reagiert. Er verstehe, dass nicht 100 Prozent des Personals kompetent sein könne. „Aber dass 90 Prozent inkompetent sind, darf auch nicht sein.“

Hauptbetreiber war bei Tagung nicht dabei

Hauptbetreiber der Unterkunft ist das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Vertreter des DRK waren bei der Fachtagung nicht dabei. Der Sprecher des DRK-Landesverbands, Karsten Hintzmann, sagte dem Tagesspiegel im Anschluss an die Veranstaltung auf Anfrage, man sei über die Vorwürfe „sehr unglücklich“. „Sie sind unzutreffend und spiegeln in keiner Weise die Arbeit wider, die wird dort leisten“, sagte er. Tegel sei weit entfernt, ein idealer Ort zum Leben zu sein. „Trotzdem tun unsere Mitarbeiter alles Mögliche, um den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten.“ Die Alternative zu Tegel sei leider Obdachlosigkeit, das könne sich keiner wünschen.

Berlins Flüchtlingskoordinator Albrecht Broemme, der als einziger Senatsvertreter auf das Podium der Veranstaltung geladen worden war, hatte auf das Platzproblem verwiesen. Ziel sei es, die Geflüchteten aus Tegel in kleine Unterkünfte zu verteilen. Aber es fehle weiter an Alternativstandorten. Nächste Woche habe er alle Verantwortlichen zu einem Treffen zu Tegel eingeladen, kündigte er an.

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