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Ein futuristisches Brandenburger Tor aus Holz, erstellt mit dem KI-Programm Midjourney.

© Tagesspiegel, erstellt mit Midjourney

KI in der Architektur: Luftschlösser für die Superreichen

Künstliche Intelligenz kann auch Gebäude entwerfen. Wer die Technologie schon nutzt und was das für die Zukunft des Wohnens bedeuten könnte.

Von Adrian Lobe

Jetzt holt künstliche Intelligenz (KI) auch noch die Götter der Architektur von ihrem Olymp: Nachdem KI-Systeme gelernt haben, wie Beethoven zu komponieren, wie Monet zu malen und wie Hemingway zu schreiben, entwerfen sie jetzt Gebäude im Stil von Stararchitekten.

Der Nutzer gibt in einen Bildgenerator wie DALL-E oder Midjourney einen Prompt ein – zum Beispiel „fünfstöckiges Gebäude im Stil von Le Corbusier“ – und schon spuckt die KI einen Entwurf aus, der aussieht, als hätte der Großmeister selbst zum Bleistift gegriffen. Man kann den Eiffelturm in Marshmallow-Form rekonstruieren oder pompöse byzantinische Tempel in die virtuelle Landschaft stellen lassen.

Ein Wolkenkratzer im Stil von Salvador Dalí

Auf Instagram finden sich unter dem Hashtag „midjourneyarchitecture“ über 200.000 Fotos: von gotischen Kathedralen über brutalistische Betonsiedlungen bis hin zu futurischen Mega-Citys. Vieles wirkt surreal, als hätte die KI die Sagrada Família mit Szenen aus dem Stummfilmklassiker „Metropolis“ verrührt.

Natürlich lassen sich die Entwürfe schon allein aus statischen Gründen nicht eins zu eins realisieren, weil es der KI an räumlicher Vorstellung fehlt. Doch die Designvorlagen können Architekten Inspirationsquellen liefern. Ein Tiny House aus Mais? Eine Bibliothek in Bananenform? Ein Wolkenkratzer im Stil von Salvador Dalí? Kein Problem! Die KI hat sofort einen Entwurf parat.

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Renommierte Architekturbüros wie Zaha Hadid oder Foster + Partners nutzen Midjourney seit einiger Zeit als Tool, um Gebäude zu entwerfen. So wie das Computerprogramm CAD zum Werkzeugkasten gehört, ist auch KI längst ein anerkanntes Hilfsmittel in der Branche. Der Code ist der Baustoff, aus dem die Digitalmoderne gemacht ist.

Der Architekt Patrik Schumacher, der bei Zaha Hadid Architects arbeitet, hat im vergangenen Jahr exklusive Einblicke in die KI-generierten Entwürfe gegeben: Da sind zum Beispiel geschwungene Poollandschaften oder verspielt-kurvige Wolkenkratzer, in denen die KI die fließend-dekonstruktivistische Formensprache der 2016 verstorbenen Stararchitektin fortsetzt.

Utopien einer verbauten Zukunft

Doch so spektakulär die KI-generierten Entwürfe sind, so fraglich ist ihr Nutzen. Für wen sind diese Gebäude gedacht? Für die reale Welt? Oder die virtuelle Welt? Wenn man sich die Renderings in einschlägigen Architekturblogs anschaut, könnte man meinen, man blättere durch einen Katalog von Luxusimmobilien.

Darin: schicke Chalets, Lofts und Villen mit bodentiefen Fenstern und Infinity Pool, Objekte, die fast ausschließlich im hochpreisigen Segment angesiedelt sind. Bunkerarchitektur für die Superreichen aus dem Silicon Valley.

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Die in die Klippen einer Badebucht gehauene Residenz mit Natursteinterrasse ist jedenfalls nicht für die urbane Mittelschicht gedacht und taugt genauso wenig als „Lösung“ für die Wohnungsnot wie die Luxusvilla in Muschelform mit geschwungenem Treppenaufgang (sofern es dafür eine Baugenehmigung gäbe).

Die postapokalyptischen Gebäude in Gestalt von Pilzen oder Sukkulenten sind so abgedreht, dass sie selbst im Disneyland von Dubai wie Fremdkörper wirkten – und scheinen eher als Kulisse für Science-Fiction-Filme oder als Dekor für das Metaverse, wo sich Entwickler frei von Bauvorschriften austoben können, geeignet.

Lauwarmer Aufguss bestehender Raumvorstellungen

Nichts gegen (Raum-)Utopien, nichts gegen futuristische Gebäude, gerade in einer Zeit, in der die Zukunft verbaut erscheint. Architektur ist die Kunst, neue Räume zu öffnen und gestalten. Doch die generischen, retrofuturistischen Entwürfe, die Bildgeneratoren wie Midjourney erzeugen, sind bloß ein lauwarmer Aufguss bestehender Raumvorstellungen, die die Formen- und Werbesprache der Investorenarchitektur perpetuieren.

Die monströsen Gebäude, die im Namen irgendwelcher Ideologien oder anderer (meist monetärer) Heilserwartungen errichtet wurden, erwiesen sich in der Vergangenheit allzu oft als Bausünden: Plattenbau, Bettenburgen, Mietskasernen – riesige Flächen wurden versiegelt, um Menschen, Autos und Tiere aufeinanderzustapeln und auf engstem Raum zusammenzupferchen. „Junk Space“ nennt dies der niederländische Architekt Rem Koolhaas. Statt neue Wohnformen zu ersinnen, wird der Müllraum durch KI einfach recycelt.

Form vor Funktion

Die Vergangenheitszentrierung ist naturgemäß ein generelles Problem von KI, weil sie nur mit Daten aus der Vergangenheit gefüttert werden kann. Aber sie ist auch ein spezielles Problem von Bildgeneratoren.

Man muss dazu ein wenig in den Maschinenraum dieser Systeme schauen: Diffusionsmodelle, auf denen Bildgeneratoren wie DALL-E oder Midjourney basieren, verrauschen ein Originalbild, bis ein Algorithmus lernt, dieses Rauschen Schritt für Schritt zu entfernen und dabei ein neues Bild zu erzeugen. So entstehen Collagen, die zwar surrealistisch daherkommen, sich aber ästhetisch stark an existierenden Mustern orientieren. 

Man erschafft also eine Welt, die längst vergangen ist – und zementiert damit alte Raumstrukturen. Was soll innovativ sein an einem schwimmenden Dom, der die tradierte Wohnform des Einfamilienhauses bloß in eine neue Hülle steckt? Oder ist das gerade das Ziel? Die Camouflage der Funktion durch eine aufreizende Form?

Das „Walkie-Talkie“ in der Fenchurch Street in London, designt von Rafael Viñoly.

© IMAGO/Pond5 Images/IngusK

Stararchitekten wie Renzo Piano und Frank Gehry sehen sich schon länger mit dem Vorwurf konfrontiert, ihnen gehe es nur darum, sich mit scheinbar ikonischen Gebäuden ein Denkmal zu setzen. Ganz London spottete über die neue Skyline, deren Wolkenkratzer in der Form von Sprechfunkgeräten, Glasscherben oder Rasierapparaten errichtet wurden.

Markante Hochhäuser, die am Computer schön aussehen, sich in der Praxis aber als dysfunktional erweisen: So schmolzen vor einigen Jahren vor dem „Walkie-Talkie“ an der Fenchurch Street die Plastikteile eines parkenden Jaguars, weil die gekrümmte Glasfront wie ein Brennglas wirkte.

Passanten, die an dem Hochhaus vorbeiliefen, wurden wegen der durch die konkave Form entstehenden Fallwinde regelrecht weggeweht. Im Planungsprozess war offenbar völlig vergessen worden, dass durch die Häuserschluchten der Wind pfeift.

Das „Walkie-Talkie“, das 2015 zum hässlichsten Gebäude der Welt gekürt wurde, sieht aus, als hätte sein Erschaffer, der Architekt Rafael Viñoly, den Prompt „Baue ein Hochhaus in der Form eines Handfunkgeräts“ in Midjourney eingegeben. Damals gab es das Tool noch nicht, und für infantile Architektur braucht es keine KI, doch Bildgeneratoren, die mit Text-Bild-Paaren trainiert werden, reproduzieren diese Formen.

Künstliche Intelligenz mag ein nettes Spielzeug für Architekten sein. In der Praxis taugt sie aber allenfalls als Raumausstatterin für virtuelle Welten.

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