zum Hauptinhalt

Berlin: Anklopfen bei Heiner Müller

Auf den Spuren des Dramatikers zwischen seiner Plattenbauwohnung in Lichtenberg und seiner letzten Ruhestätte auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Mitte

Von Lothar Heinke und

Ariane Bemmer

Heiner Müller, der Sachse, kam 1950 nach Berlin, da war er 21 Jahre alt, und hier blieb er bis zu seinem Tod am 30. Dezember 1995. Er hatte also Zeit genug, hier Spuren zu hinterlassen. Wir haben zu seinem 75. Geburtstag einige dieser Orte besucht.

Das Zuhause im Plattenbau. Es gibt ihn noch – den Mietvertrag von Heiner Müller. Auf Mikrofilm im Archiv der Wohnungsbaugesellschaft Howoge. Datum: 16. Dezember 1979. Sechs Zimmer in der Erich-Kurz-Straße 9, Lichtenberg, Kaltmiete 207,85 Mark für 166,27 Quadratmeter im Plattenbau. Bis 1993 hat Müller dort gewohnt, es gibt ein Foto von ihm auf dem Balkon. Mit Zigarre natürlich. Die Howoge hat auch die Gedenktafel bezahlt, die dort heute angebracht wird. Die Tafel misst 38 mal 50 Zentimeter, mattes Edelstahlblech, darauf steht:

„Heiner Müller, 1929 – 1995

In diesem Haus lebte von 1979 bis 1993 Heiner Müller, der bedeutendste deutschsprachige Theaterautor der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der letzte Präsident der Akademie der Künste der DDR, Intendant des BERLINER ENSEMBLES von 1992 bis 1995.“

Ganz oben im 14. Stock wohnte Müller. Eingezogen war er mit seiner zweiten Frau, der Bulgarin Ginka Tscholakowa, die auch mit im Mietvertrag steht. Als er auszog, war er bereits mit der Fotografin Brigitte Maria Mayer verheiratet. Der Fahrstuhl fährt nur bis zum 13., dann muss man noch um drei Ecken und durch zwei Türen gehen und eine Treppe hoch. Müllers Heim wird heute von einer betreuten Wohngemeinschaft für junge behinderte Männer genutzt, einer spielt sogar Theater. Da, wo Müllers Arbeitstisch stand, ist jetzt die Sofaecke, wo die Küche war, ist jetzt der Waschraum, aber wenn der Wind von Osten weht, dann riecht es immer noch nach Bär. Der Tierpark ist gleich nebenan. Die Plattenbauten ringsherum wurden saniert, wo früher der graue Dienstleistungswürfel war, steht heute ein Einkaufszentrum, das aussieht wie ein Raumschiff. Unten in Müllers Haus gibt es eine Fußpflegerin, eine Theaterkasse und der „Buchladen am Tierpark“. Angelika Reute, Sprecherin der Howoge, würde den Laden gerne in „Heiner-Müller-Buchhandlung“ umbenennen. Vielleicht klappt das ja zum 80. Geburtstag, sagt sie.

Das Grab . Es liegt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Birkenallee, bedeckt mit immergrünem Rasen. Und sonst gar nichts. Links Wolf Kaiser, der berühmteste Mackie Messer des Berliner Ensembles, rechts der legendäre Wirtschaftsphilosoph Jürgen Kuczynski und seine Frau Marguerite. „Heiner Müller“ liest man auf der schmalen Stele, die wie ein Pfahl aus der Erde kommt. Keine Daten. Sparsam. Der Name hat zu genügen. Die Verehrer und Freunde des Dramatikers wissen sowieso Bescheid. Zum Beispiel, dass ihr Idol keine Blumen mochte. So legen sie ihm Zigarren aufs Grab. Gestern zierte eine hochkarätige, ungefähr 16 Euro teure „Romeo y Julieta“ im Churchill-Format aus Habana die grüne Plastik-Vase. Statt Blumen. Der freundlich-weise Friedhofsgärtner möchte nicht so gern über angebrochene Whisky-Flaschen reden, die da manchmal auf der Umrandung stehen, einladend „aber auf einem Friedhof irgendwie unpassend“. Da seien andere Bekundungen schon etwas geistvoller, zum Beispiel Kinderzeichnungen, die nach den Berichten Erwachsener über den Dichter entstanden sind. Oder Briefe an Heiner Müller, Gedichte auch – ähnlich wie bei Brecht auf der anderen Seite, aber Müllers Fan-Gemeinde ist irgendwie jünger. Dorotheens Gärtner hat beobachtet, wie die Leute immer wieder prüfen, ob die Stele mit ihrer braunen Maserung nun aus Holz oder aus Bronze besteht. „Sie klopfen mal kurz bei Heiner Müller an, es klingt nach Metall – und so ist für einen kurzen Moment eine Verbindung zum Meister hergestellt“.

Das Brecht-Haus. Ist er im Himmel? In der Hölle? Unter uns? Kommt Zeit, kommt Tod, hat er irgendwann vor dem 30. Dezember 1995, dem Tag seiner Niederlage im Kampf gegen den Krebs, gesagt – wir erfahren das auf einem Plakat im Schaufenster des Literaturforums im Brecht-Haus, wo gestern Abend eine dreitägige Hommage à Heiner Müller begann. Da kann man auch ein paar Zeilen an Erich Honecker lesen: „Leichter Regen auf leichtem Staub / Die Weiden im Gasthof / Werden grün werden und grün /Aber du Herr solltest Wein trinken vor deinem Abschied / Denn du wirst keine Freunde haben / Wenn du kommst an die Tore von Go.“ Das hat der „weltberühmte Zyniker“ 1989 geschrieben, ein Jahr später begrüßte er die nahende Einheit mit dem Bonmot: „Zehn Deutsche sind natürlich dümmer als fünf Deutsche“.

Der Zigarrenladen. Ost-Berlins bekanntestes Tabakgeschäft Junghans in der Chausseestraße 129 liegt nahe an Brecht-Haus und Friedhof, „klar“, sagt Wolfgang Janke, der jetzt die 90-jährige Familientradition fortsetzt, „klar hat Heiner Müller hier seine Zigarren gekauft, „kubanische oder die aus Nicaragua“. Er sei immer freundlich gewesen, und heute kommen die Jünger Müllers und kaufen die Zigarren fürs Grab. Ach ja, der Brecht war Stammkunde, „aber der kaufte meistens nur die billigsten Stumpen, während die teuren Zigarren von West-Gästen erworben wurden – als Liebesgaben für BB vom BE“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false