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Berlin: Ärzte ohne Grenzen

Immer mehr Mediziner verdienen im Ausland dazu

Strahlender Sonnenschein, Ulrich Müller lächelt. Während es in Berlin zu schneien beginnt, ist Müller am Donnerstag nach London geflogen. „Selbst das Wetter ist hier besser“, sagt der 47-jährige Allgemeinmediziner, als er an der Great Portland Street die U-Bahn verlässt. Doch die Sonne ist nicht der Grund für Müllers Ausflug. Mehr als 2000 Euro kann der Arzt in England an einem Wochenende verdienen – abzüglich seiner Kosten bleiben 1000 Euro übrig.

„In Berlin bekomme ich im ganzen Monat nur 2500 Euro netto“, sagt der Arzt, der eine Praxis in Wedding betreibt. Dort arbeite er fast 60 Stunden in der Woche – seit mehr als zehn Jahren. „Trotzdem habe ich weniger Zeit für die Patienten, dauernd muss ich Berichte schreiben“, ärgert sich Müller. Patienten hätten ihn sogar wegen der Praxisgebühr beschimpft, dabei habe das die Politik gegen seinen Willen festgelegt. An diesem Donnerstag lässt sich Müller bei der englischen Ärztekammer registrieren. Mit ihm sind sechs Kollegen aus Berlin gekommen; der Hartmannbund, die Interessenvertretung für Praxisärzte, hat die Reise organisiert. Ärzteverbände protestieren derzeit gegen die Gesundheitsreform, die zu mehr Bürokratie und weniger Honorar führe. „In Deutschland gibt es mehr Krankenkassenangestellte als Ärzte“, sagt Müller.

Den Trend zum Auslandsjob gibt es schon länger, fast 7000 Mediziner haben Deutschland in den vergangenen Jahren verlassen, einige hundert Berliner arbeiten nun in Norwegen, Österreich oder der Schweiz. Selbst in die Emirate am Arabischen Golf zieht es Ärzte, während gleichzeitig etwa 200 Praxen im Nachbarland Brandenburg verzweifelt nach Personal suchen. Mehr als die Hälfte der in Deutschland frisch ausgebildeten Ärzte spielt Umfragen zufolge mit dem Gedanken, ins Ausland zu gehen. „Alle vier Wochen für ein paar Tage in England zu arbeiten, passt mir ganz gut“, sagt Müller, während er sorgfältig die englischen Formulare ausfüllt. Der bürokratische Aufwand sei ihm auch in Brandenburg zu hoch.

Den Besuch in London hat Wolfgang Wannoff vermittelt. Der Headhunter fliegt monatlich hierher, ununterbrochen gebe es Anfragen aus Deutschland. Der Bedarf an ausländischen Ärzten in Großbritannien sei bald gedeckt; schon 4000 deutsche Mediziner seien auf der Insel registriert. Umgerechnet bis zu 80 000 Euro netto im Jahr seien hier für einen Klinikarzt üblich, doppelt so viel wie an vielen Berliner Krankenhäusern. „Ich behandle an Spitzentagen bis zu 200 Patienten und fahre keinen Porsche“, sagt der Neuköllner Augenarzt Heinrich Pieper. Nur ein Drittel seiner Arbeitszeit werde noch von den Krankenkassen bezahlt.

Nicht jeder der angereisten Ärzte ist so auskunftsfreudig wie Pieper und Müller. „Über Geld redet man nicht“, sagt ein Arzt aus Schöneberg. Von den Privatpatienten lebe er gut; dass die gesetzlich Versicherten aber kein Geld einbrächten, findet er skandalös.

Die Ärzte stellen zwar auch fest, dass das englische Gesundheitssystem wegen langer Wartezeiten für die Patienten oft schlechter sei als das deutsche. „Aber für uns ist es besser“, heißt es beim Lunch. Ulrich Müller will ehrlich sein: „Wer in Deutschland eine gute Behandlung will, sollte tiefer in die Tasche greifen.“ Er wolle das Solidarprinzip zwar erhalten, doch notfalls müssten die Krankenkassenbeiträge erhöht werden. Das deutsche Gesundheitssystem erinnere ihn als Ostdeutschen an die Planwirtschaft.

Nicht jeder der sieben Berliner wird bald im Königreich arbeiten, doch auch anderswo sind die Honorare höher als in Deutschland. Arbeitsvermittler bereiten sich schon vor: Kanada könnte interessant werden, heißt es.

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