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Die Friedrichstraße ist eine der wichtigsten Einkaufsstraßen. Die Grünen wollen die Straße für den Autoverkehr sperren, die Wirtschaft ist dagegen.

© imago/Dirk Sattler / IMAGO/Dirk Sattler

Erwartungen an den kommenden Senat: Wirtschaft fordert Kurswechsel im nächsten Jahr

Wahlzeit ist Verteilungszeit, warnen Unternehmensverbände vor zu großen Versprechungen. Sie haben eigene Vorschläge für eine „starke Wirtschaft“.

Christian Amsinck ist überrascht. „Die wollen weitermachen“, wundert sich der Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB) über die Senatsparteien.

Und „noch überraschender“ findet er die Ansage von Bettina Jarasch: Wenn die Spitzenkandidatin der Grünen nach der Wiederholungswahl im Februar das Rote Rathaus beziehen sollte, dann wolle sie zwar alles anders machen als Franziska Giffey – „aber mit denselben Partnern“. Für Amsinck schwer vorstellbar, wie das funktionieren könnte. Zumal die drei Senatsparteien inzwischen „weit auseinanderliegen“.

UVB stellt sich auf weitere Drei-Parteien-Koalition ein

Am 12. Februar wird gewählt – und die UVB stellt sich auf eine weitere Drei-Parteien-Koalition ein. Gerne mit der CDU, und bitte nicht mit einer Regierenden Bürgermeisterin Bettina Jarasch. Das Theater um die autofreie Friedrichstraße hat die Attraktivität der Grünen nicht erhöht. „Eine Fußgängerzone ist noch kein Konzept“, sagt Amsinck dazu.

Überhaupt falle der Senat durch „sehr viel Widersprüchliches“ auf, vor allem in der Bau- und Verkehrspolitik. Die Zahl der Baugenehmigungen sei von 2017 bis 2021 von 24.700 auf 18.700 gefallen. „In Brandenburg geht vieles besser“, meinte Amsinck am Montag bei der Vorstellung von ein paar Vorschlägen für eine „starke Wirtschaft“.

Dabei handelte es sich vor allem um Warnungen: Der Senat möge doch bitte die Ausbildungsumlage ebenso unterlassen wie die Rekommunalisierung von Unternehmen. Ein „Belastungsmoratorium“ für die Wirtschaft wünscht sich Amsinck, denn Krieg, Energiekrise und Rezessionsgefahr hätten die Geschäftsbedingungen für die Firmen ebenso verändert wie für die Politik. Der aktuelle Koalitionsvertrag sei „Makulatur“, sagte der UVB-Chef. „Wir haben eine fundamental andere Lage.“

Christian Amsinck vor dem Haus der Wirtschaft in Charlottenburg. Zu den Unternehmensverbänden gehören rund 60 Wirtschaftsverbände aus allen wichtigen Branchen.

© Tsp/Mike Wolff

Eine andere Lage bedarf einer anderen Politik. Dabei sind die Hauptthemen der Wirtschaft viel älter als der Krieg in der Ukraine. Bildung zum Beispiel. In den vergangenen zehn Jahren hätten 25.000 Mädchen und Jungen die Schule ohne Abschluss verlassen. 34,5 Prozent der Berliner Viertklässler erfüllten nicht die Mindestanforderungen - nur Bremen ist mit 35,6 Prozent noch schlechter.

Es kann nicht sein, dass dieser Senatsposten bei Koalitionsverhandlungen herumgereicht wird wie eine heiße Kartoffel.

Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB) über die Spitze der Bildungsverwaltung.

„Es braucht jemand, der den Laden auf Vordermann bringt“, wünscht sich Amsinck eine starke Persönlichkeit an der Spitze der Bildungsverwaltung. „Es kann nicht sein, dass dieser Senatsposten bei Koalitionsverhandlungen herumgereicht wird wie eine heiße Kartoffel.“

Zu langsam, zu aufwändig, zu altmodisch

Bürokratie und Verwaltungshandeln werden von der Wirtschaft immer thematisiert. Zu langsam, zu aufwändig, zu altmodisch. Gemeinsam mit dem Saarland besetze Berlin den letzten Platz bei der Digitalisierung der Verwaltung, erläuterte Amsinck anhand aktueller Daten des Online-Zugangsgesetzes. Eigentlich sollte jedes Bundesland im kommenden Jahr 575 Verwaltungs-Dienstleistungen digitalisiert haben – in Berlin sind es 101.

Der Verbandschef wunderte sich auch über so manche klimapolitische Vorstellung. Das Ziel des Volksbegehrens „Berlin klimaneutral 2030“ sei eine Illusion und dürfe keineswegs am 12. Februar mit zur Wahl gestellt werden. Für die klimaneutrale Stadt müssten 1,9 Millionen Wohnungen saniert werden – das kostet nach UVB-Berechnungen 91 Milliarden Euro.

Aktuell würden sechs Prozent der Heizungen in der Hauptstadt klimaneutral betrieben, 3000 „Heizungs-Fachkräfte“ würden gebraucht. Pro Jahr beginnen aber nur 200 junge Leute ihre Sanitär-Ausbildung. Schließlich der Verkehr: Von den 1,2 Millionen Pkw auf den Berliner Straßen fahren derzeit 95.000 elektrisch. Eine Quote von 100 Prozent bis 2030 sei unmöglich zu erreichen.

Mit Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für die SPD) ist Amsinck zufrieden. Es habe sich bewährt, zum ersten Mal seit Elmar Pieroth (1996-1998) wieder einen Mann aus der Wirtschaft in dem Amt zu haben. Schwarz ist Eigentümer eines Gebäudedienstleisters. Falls Schwarz auch im nächsten Senat die Wirtschaftsverwaltung führen sollte, erwartet der UVB-Chef von ihm Widerstand gegen „geplante Gesetze zu Lasten der Wirtschaft“.

Dazu gehört die Erhöhung des Vergabemindestlohns bei öffentlichen Aufträgen, die Ausweitung der City-Tax für Geschäftsreisende – Amsinck zufolge macht das fünf Prozent des Übernachtungspreises aus; eine neue Bauordnung (unter anderem Dachbegrünung) , die zu einer Erhöhung der Baukosten um bis zu 15 Prozent führen könnte, sowie eine Sondernutzungsgebühr für Straßenland.

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