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Gemeinsam mit den Kindern Kuchen oder Plätzchen zu backen, kann eine Form sein, wie die „Kiezsterne“ die Eltern entlasten.

© Kiezsterne / Stadtteilzentrum Steglitz

Das Berliner Projekt „Kiezsterne“ soll Familien helfen: „In den letzten Jahren waren gerade Alleinerziehende sehr belastet“

Manchmal ist es einfach zu viel: Für Eltern mit kleinen Kindern ist der Alltag oft eine immense Herausforderung. Die ehrenamtlichen Kiezsterne sollen entlasten.

Mara Kowalewsky zog mit 19 Jahren vom Lichterfelder Ring „in die Stadt“, also in die Nähe der Steglitzer Schloßstraße. Sie studierte Sozialarbeit, zog weiter nach Kreuzberg, bekam ein Kind und wurde nicht nur Sozialpädagogin, sondern auch alleinerziehende Mutter. Jetzt leitet sie das Projekt „Kiezsterne“ des Stadtteilzentrums Steglitz e.V.. Was es mit den Sternen auf sich hat und warum Familien unterstützt werden sollten, erklärt sie im Interview.

Frau Kowalewsky, wenn es nach Ihnen geht, dann soll es im Bezirk funkeln: Was bitte sind Kiezsterne?
Oh ja, es soll bitte funkeln, ganz hell! Kiezsterne sind Ehrenamtliche, die für eine bestimmte Zeit eine Familie mit Kindern im Alter von einem Jahr bis zwölf Jahren unterstützen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie herausfordernd es sein kann, ein Kind ins Leben zu begleiten, dabei den Beruf nicht aus den Augen zu verlieren und auch sich selbst noch in Balance zu halten.

Wir kennen alle den Satz: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen.“ Kiezsterne stehen an der Stelle, an der früher das Dorf stand, später die Großfamilie, die es so nicht mehr gibt. Wir haben hier in Steglitz viele Familien – in manchen Stadtteilen sind es bis zu 40 Prozent Ein-Eltern-Familien. Nicht immer haben diese Familien Unterstützung von den eigenen Eltern, die vielleicht selbst noch arbeiten oder aber auch gar nicht in Berlin wohnen.

Wie entscheiden Sie, wem geholfen wird?
Diese Nachbarschaftshilfe ist für Familien gedacht, denen ein- bis zweimal die Woche mit einer bis drei Stunden Zeit geholfen ist. Es gibt sicherlich auch Familien, die mehr Hilfe benötigen. Viele Familien bekommen es meist sehr gut hin, brauchen aber eben ab und zu ein wenig Entlastung. Das Einkommen spielt keine Rolle dabei. Es geht um die konkrete Situation und den Unterstützungswunsch nach einer konstanten Person, gerne auch über längere Zeit. Gerade in den letzten Jahren waren die Familien mit dem Homeoffice und der Zuhause-Beschulung der Kinder, den eingeschränkten Kontakt- und Verabredungsmöglichkeiten sehr belastet – viele am Rande des Möglichen.

Mara Kowalewsky leitet das Projekt „Kiezsterne“: Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, ein Kind alleine zu erziehen.

© privat

Können Sie ein konkretes Beispiel für eine Kiezstern-Familie nennen?
Mir fällt da spontan die Mutter mit den Zwillingen ein. Der Vater hat sich am ersten Geburtstag der Kinder von der Familie verabschiedet und ist seitdem nicht mehr gesehen. Die Mutter ist berufstätig, die Zwillinge sind noch klein, können gerade laufen, und sie weiß nicht, wie sie das alles alleine jonglieren soll. Der Kiezstern könnte sie unterstützen, indem er mit ihr gemeinsam mit den Zwillingen mal auf den Spielplatz geht – das kann sie alleine gerade gar nicht. Denn die beiden sind schnell wie der Wind und sie muss ihnen oft hinterherlaufen.

Oder die Familie, wo beide Elternteile arbeiten, die Kinder nach der Schule im Hort sind, aber die Eltern sich auch wünschen, sie könnten sie noch zum Musikunterricht oder Tanzkurs begleiten.

Warum haben Sie beim Alter von zwölf Jahren einen Schlussstrich gezogen? Wird mit 13 alles leichter?
Nein, alle die, die Kinder haben, wissen, dass es nicht einfacher, sondern nur anders wird. Die Kinder meistern einige Wege schon mal selbständig, sie bleiben abends unter Umständen alleine zu Hause und die Gleichaltrigen werden wichtiger. Da wird die alltagspraktische Hilfe, die ich oben beschrieben habe, weniger wichtig.

Für wen sind die ehrenamtlichen Kiezsterne wichtiger: für die Eltern oder die Kinder?
In erster Linie ist es eine nachbarschaftliche Unterstützung unter den Erwachsenen. Von der Entlastung der Eltern profitieren aber natürlich auch und ganz besonders die Kinder, die für uns im Stadtteilzentrum Steglitz im Mittelpunkt stehen. Und damit profitiert auch unsere gesamte Gesellschaft.

Die Kiezsterne sind keine Haushaltshilfen. Mit den Kindern zu spielen, zu basteln oder ins Museum zu gehen, kann zur Hilfe dazugehören.

© Kiezsterne / Stadtteilzentrum Steglitz

Viele Eltern in Steglitz-Zehlendorf sind alleinerziehend. Was sind die besonderen Herausforderungen für diese Familien?
Ja, die Zahl der Ein-Eltern-Familien steigt ständig. Die Belastung ist enorm! Nicht nur, dass der alleinerziehende Elternteil für alles alleine verantwortlich ist und sich um alles alleine kümmern muss – geistiges, seelisches, körperliches Wohl des Kindes. Nahrung, Kleidung, Wohnung, Schule, Hausaufgaben, Spieleverabredungen, Ausflüge, Einkauf, Finanzen, liebevolle Fürsorge und Ansprache, fördern. Ich könnte noch vieles aufzählen. Was mich selbst in der Situation als Alleinerziehende oft sehr traurig und einsam gemacht hat, war, dass da kein Vater war, der sich mit mir über mein Kind gefreut hat.

Bei all der Verantwortung trägt man ja auch noch eigene Sorgen mit sich herum…
Meist muss die Trennung noch verarbeitet werden, oder die Frage stellt sich: Wie finde ich Zeit und Möglichkeit, einen neuen Partner kennenzulernen? Wie finde ich Zeit für mich, mich zu entspannen, meine Gedanken zu sortieren, genug zu schlafen?

Ich vermute, dass es mehr alleinerziehende Mütter als Väter gibt. Und ich vermute, dass sich mehr Frauen für ein Engagement als Kiezstern begeistern als Männer.
Da liegen Sie mit beiden Vermutungen richtig. Sicher sind männliche Bezugspersonen für unsere Kinder unglaublich wichtig und sie fehlen immer noch zu oft, selbst in der eigenen Familie. Ich bin für jeden engagierten Vater dankbar, der sich vorstellen kann, nicht nur sein eigenes Kind zum Musikunterricht zu begleiten, sondern auch als „akkreditierter“ Kiezstern in der Nachbarschaft zu helfen. Wir freuen uns über jeden Menschen, ob Mann oder Frau, jung oder alt, der oder die ihre Zeit und ihr Engagement spenden möchten.

40
Prozent der Familien sind in manchen Nachbarschaften in Steglitz-Zehlendorf alleinerziehend.

Was sind die Voraussetzungen, damit man Kiezstern werden kann?
Sie brauchen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis, da sind wir bei der Beantragung behilflich. Dann ist ein persönliches Kennenlernen wichtig. Wer Kiezstern werden will, sollte Erfahrung mit Kindern oder Erfahrung in einem sozialen Bereich haben. Er oder sie sollte Lust darauf haben, sich zu vernetzen und zu Austauschtreffen und gelegentlichen Fortbildungen zu kommen.

Kiezsterne sind keine kostenlosen Haushaltshilfen?
Nein, keine Haushaltshilfen und auch keine Babysitter.

Ein Kiezstern ist nicht in erster Linie eine Haushaltshilfe, ein Kiezstern hilft dort, wo es nötig ist.

Projektleiterin Mara Kowalewsky

Streichen Sie bitte, was Kiezsterne nicht tun sollten: Müll runterbringen, Kuscheln, Ausflüge machen, beim Kuchenbacken singen, Kochen, Abenteuerurlaub im Kinderzimmer, bei den Mathe-Hausaufgaben helfen, das Katzenklo leeren?
Wenn sie keine Gesangsausbildung haben, dürfen sie auf keinen Fall beim Kuchenbacken singen! Nein, Scherz beiseite, zu singen ist sehr willkommen. Natürlich darf ein Kiezstern auch mal Kochen oder den Müll mit runternehmen, das Katzenklo leeren.

Aber ein Kiezstern ist nicht in erster Linie eine Haushaltshilfe, ein Kiezstern hilft dort, wo es nötig ist – das darf eben auch gelegentlich ein Einkauf sein, der für die Familie miterledigt wird. Das darf, je nach Eigeninteresse und Wunsch der Familie, der Besuch in der Bücherei oder im Museum sein. Es kann aber auch sein, dass vielleicht mal ein Fahrrad repariert werden muss, oder dem Kind beim 1×1 oder Vokabeln lernen geholfen wird. Alles in Absprache mit dem Kiezstern und der Familie natürlich.

Gibt es feste Regeln?
Aber ja, beim Kinderschutz gibt es ganz klare Regeln. Die Kinder der Familien sollten immer im Haushalt der Familie betreut werden – niemals im eigenen. Jedwedes körperlich, seelisch oder emotional verletzendes Verhalten ist absolut untragbar. Dafür gibt es bestimmte Kriterien, nach denen die Kiezsterne ausgesucht werden. Wir wollen so sicherstellen, dass all das nicht passiert.

Im besten Fall können Sie mal wieder etwas tun, bei dem es Ihnen aber kindisch vorkäme, es ohne Kind zu tun.

Projektleiterin Mara Kowalewsky

Ihr Projekt steht noch am Anfang, Sie suchen Kiezsterne. Warum sollte jemand ehrenamtlich zum Stern werden?
Als Kiezstern würden Sie in strahlende Kinderaugen gucken, wenn Sie bei ihrer Familie klingeln und die Tür auf geht, oder wenn Sie das Kind irgendwo abholen. Es würde Sie bereichern, weil Sie anderen eine Freude machen und selbst das Gefühl haben, etwas weiterzugeben und gebraucht zu werden.

Im besten Fall können Sie mal wieder in den Zoo gehen oder Fußball spielen oder etwas anderes tun, wozu sie zwar Lust hätten, es Ihnen aber kindisch vorkäme, es ohne Kind zu tun – zum Beispiel Kinderlieder singen oder Trampolin springen. Und wenn sie Zeit und Lust haben, nehmen sie an Fortbildungen und Treffen mit anderen Kiezsternen teil und lernen Menschen kennen, die sich genauso gern in unser gesellschaftliches Miteinander einbringen wie Sie. Und, Herr Buchholz, haben Sie Lust bekommen?

Ich lasse das mal sacken. Können sich auch schon Familien bei Ihnen melden, die sich einen der raren Kiezsterne dringend wünschen?
Wir haben aktuell schon eine kleine Warteliste und noch zu wenig Kiezsterne. Daher suchen wir aktuell vor allem nach den Menschen, die ihre Zeit spenden möchten.

Wer finanziert das Projekt?
Seit Anfang 2022 haben wir in Berlin als erstes Bundesland das Familienfördergesetz. Aus diesen Mitteln finanziert dankenswerterweise das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf die Kiezsterne, und zwar vorerst bis Ende 2023. Wir hoffen aber natürlich auf eine Verstetigung. Das wäre ein wichtiges und positives Zeichen unseres familienfreundlichen Bezirks.

Wann wird ein Kiezstern zur Kiezsternschnuppe? Oder anders: Wie messen Sie den Erfolg des Projekts?
Strahlende Augen auf beiden Seiten! Ein Einsatz ist dann beendet, wenn die Hilfe nicht mehr benötigt wird oder sich die Lebenssituation der Ehrenamtlichen verändert.

Welches Sternzeichen sind Sie eigentlich?
Super Frage: Ich bin Sternzeichen Wassermann… Man sagt den Wassermännern Idealismus nach – damit kann ich was anfangen!


Hier die Themen aus dem aktuellen Tagesspiegel-Newsletter für Steglitz-Zehlendorf

Immer donnerstags erscheint der Tagesspiegel-Newsletter für Steglitz-Zehlendorf. Den gibt es in voller Länge, einmal pro Woche mit vielen konkreten Bezirksnews, Tipps, Terminen unter tagesspiegel.de/bezirke. Diesmal berichtet Boris Buchholz unter anderem über diese Themen:

  • Bezirksverordnete wollen wieder spazieren gehen: Debatte um die Öffnung des Landschaftsparks Glienicke
  • Sterne für den Kiez: Ein neues Nachbarschafts-Projekt will Eltern mit jungen Kindern entlasten
  • Neuer, alter Plan: Der Wannsee bekommt wieder eine Wache der Wasserschutzpolizei
  • Es ist die Ampel, Leute: Der Stau vor dem Botanischen Garten wird durch eine defekte Lichtzeichenanlage verursacht
  • Alles im grünen Bereich: Die Vorbereitung für die Wiederholungswahl laufen gut
  • „Wiederholungswahlhearing” zum großen Neubauprojekt Lichterfelde-Süd: Aktionsbündnis (und Anwohnende) haben Fragen an die Politik
  • Sicher durch den Winter! Polizei informiert über Trickbetrüger
  • Das erste ökumenische Hospiz Deutschlands wird 20 Jahre alt: 2003 kam der erste todkranke Gast nach Wannsee
  • Mobile Solarsysteme: Aktionskreis Energie unterstützt Freiheitsenergien für die Ukraine
  • Naturzerstörung können wir: Klaus Stuttmann stellt Karikaturen zum Klimawandel in Zehlendorfer Schule aus
  • Dahlemer Kammerorchester lädt zum Mitspielen – und zum Mitsingen – ein
  • Singen in der Kirche: “Everybody can sing with Jocelyn B. Smith”
  • Weniger Verkehr, sicherer Schulweg: Teil zwei der Beteiligungswerkstatt „Südende”
  • Dunks, dribbeln, Defence: Zehlendorf wird im Mai wieder Basketball-Hotspot
  • „Extrem niedrig”: Das Grundwasser im Südwesten pfeift auf dem tiefsten Loch seit Jahren – das neue Wasserportal des Senats gibt Details preis

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