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Für einen Zebrastreifen oder eine neue Fußgängerampel sollte es nur eine Genehmigungsbehörde geben, findet Bernd Schlömer (FDP).

© Kitty Kleist-Heinrich

Debatte zur Verwaltungsmodernisierung in Berlin: „Das Verantwortungschaos ist zu beenden“

Die Bezirke sollten mehr Entscheidungskompetenz erhalten, aber Aufgaben wie Schule oder Wohnungsbau sind besser zentral zu steuern. Ein Gastbeitrag.

Bernd Schlömer ist Sprecher für bürgerschaftliches Engagement, Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus und FDP-Chef in Friedrichshain-Kreuzberg. Ein Gastbeitrag:

Mit einem Impuls zur Notwendigkeit einer Diskussion über eine Verwaltungsmodernisierung im Land Berlin – veröffentlicht hier jüngst im Tagesspiegel – laufen Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne), Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) sowie Staatssekretär Dr. Frank Nägele (SPD) bei allen Berlinerinnen und Berlinern offene Türen ein. Zu intensiv ist die Diskussion über die vermeintlich mangelnde Funktionsfähigkeit der Berliner Verwaltung und zu groß scheinen die künftigen Herausforderungen im öffentlichen Bereich. Hier meine Erwiderung auf ihren Beitrag.

Berlin entwickelt sich seit vielen Jahren sehr stark und dynamisch: Wirtschaft und Gesellschaft wachsen überproportional. Komplexität, Vielfalt und Anforderungen an die Menschen in der Stadt steigen kontinuierlich an. Um im Wettbewerb mit anderen Städten besser bestehen zu können, müssen die Verwaltungsabläufe zukunftsfest neu ausgerichtet werden. Nicht länger hinnehmbar ist die täglich offensichtliche Unzuständigkeit und praktizierte Verantwortungslosigkeit in einer Metropole wie Berlin.

Berlin kann aber mehr und will mehr. Berlin ist Sehnsuchtsort für Freiheit, Vielfalt und Ideen. Eine Stadt zum Leben, Lieben und Erleben. Voller Tatkraft und Talente. Ihre Menschen leisten viel. Sie bietet Professionalität – und lechzt zugleich danach.

Ich wünsche mir, dass wir 100 Jahre nach Gründung von Groß-Berlin einen Bogen schließen zu denjenigen Jahren, die den Weltruhm dieser Stadt begründet haben. Ich meine die sogenannten Goldenen 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Es war jene Zeit, als liberale (!) Bürgermeister die politische Planung verantworteten und das Bild einer liberalen und weltoffenen Metropole prägten, deren Innovationsfreude, Lebendigkeit und Wachstum in der damaligen Zeit seinesgleichen suchten.

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Diese Dynamik muss sich Berlin neu erschließen. Berlin muss sich als weltoffene und liberale Stadt ins Weltbild prägen, die die Chancen der Zukunft aufgreifen kann, diese auch nutzt und sehr gut funktioniert. Sie muss ein Ort sein, der die Lebensqualität des Einzelnen erhöht. Sie muss Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Umwelt fördern und umsetzen können. Ich möchte eine liberale Stadt, eine lebenswerte Stadt und eine stressfreie Stadt, in der die Menschen nicht an Lebensqualität einbüßen müssen.

Visionär wäre ein 13. virtuelles Rathaus (oder gar Bezirk)

Diesen liberalen Prämissen folgend, muss eine Reform an Leitmotiven ausgerichtet sein, die ich wie folgt definiere:

1. Eine Verwaltungsmodernisierung muss an den Wünschen und Bedürfnissen der Berliner ausgerichtet sein. Ihre Anliegen, Bedürfnisse, und vor allen Dingen ihre lokalen Zielvorstellungen müssen immer im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. Daraus folgen zwingend eine konsequente Nutzerorientierung und ein öffentlicher Bürgerservice, der sich auch an den tatsächlichen Lebenslagen und Lebensgewohnheiten der Bürgerinnen und Bürger orientiert.

2. Die konsequente Entflechtung von bezirklichen Zuständigkeitsbereichen und ministerieller Aufgabenwahrnehmung auf der Landesebene. Ziel muss es sein, möglichst viele bürgerorientierte Durchführungsaufgaben auf bezirklicher Ebene anzusiedeln und die eher ministeriellen, fachlich steuernden Tätigkeiten auf höheren Ebenen zu verorten. Dazu müssen unnötige Schnittstellen bereinigt werden, Reibungsverluste behoben sowie Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung zusammengeführt werden. Auch die Etablierung von zentralen, stadtweit zuständigen Verwaltungsbehörden kann hier verwaltungsökonomisch sinnvoll sein. Und schließlich:

3. Die flächendeckende interoperable Digitalisierung aller staatlichen Service- und Verwaltungsdienstleistungen muss in Berlin forciert werden. Visionär wäre ein 13. virtuelles Rathaus (oder gar Bezirk), das jeden Service digital anbietet – ergänzend zum Vor-Ort-Angebot der Behörden.

Bernd Schlömer ist Sprecher für bürgerschaftliches Engagement, Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus und FDP-Chef in Friedrichshain-Kreuzberg.

© Kay Nietfeld/dpa

Was folgt daraus für die Bezirke? Sie sind in Richtung kommunaler Selbstverwaltung weiterzuentwickeln. Dazu zählen beispielhaft die Direktwahl ihrer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, ihnen disziplinarrechtlich unterstellte Stadträte sowie ein politisches Bezirksamt. Die Bezirke sind zudem landesweit geschäftsmäßig in Struktur und Organisation in einheitlicher Weise auszurichten und mit nachfolgend beispielhaft genannten Zuständigkeiten für lokale Durchführungsaufgaben auszustatten, die sie vollends allein verantworten und abschließend wahrnehmen: Sie verantworten den Bürgerservice sowie das Sozialraummanagement.

Das Wirrwarr muss ein Ende haben

Ihnen obliegen die Jugend- sowie Kinder- und Seniorenangelegenheiten. Sie motivieren zur zivilgesellschaftlichen Mitverantwortung. Die Bezirke gewährleisten Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit im kommunalen Raum. Sie kümmern sich um Planen, Bauen, Unterhalt und Pflege von Straßen, Fuß- und Radwegen. Sie verantworten die Pflege und den Erhalt von Sportstätten, Parks und Grünanlagen. Zu den bezirklichen Aufgaben zählen zudem die lokale Wirtschaftsförderung und die Gewerbeangelegenheiten sowie die Befähigung zur dezentralen Kulturförderung. Es ist ein Stück weit der Hamburger Weg.

[Lesen Sie auch hier die Vorschläge zur Verwaltungsreform der CDU sowie von der Berliner Wirtschaft]

Entflechtung hat aber auch Aufgabenverlagerung und Neujustierung zur Folge. Das Wirrwar muss ein Ende haben, das Verantwortungschaos ist zu beenden. Es gilt, effektiv, einheitlich, schnell und hierarchiearm zu steuern. Insofern sind die schulischen Angelegenheiten in einem zentralen Schulamt zu bündeln, das Personalmanagement ist bezirksübergreifend zu straffen sowie „shared services“ wie das Beschaffungswesen und das Forderungsmanagement weiter zu professionalisieren.

Die Aufgabe „Wohnungsbau“ ist voll auf die Landesebene zu verlagern, in Anlehnung an die Hamburger Lösung. Nur damit kann die politische Planung in diesem wichtigen Segment im stadtweiten Interesse ausgerichtet und einheitlich aus einer Hand vollzogen werden.

Im Zweifel sind Aufgaben von „oben“ nach „unten“ zu delegieren und mit effektiver Ausrichtung und Prozessoptimierung zu verbinden. So ist beispielhaft ein Verkehrsschild oder Zebrastreifen auf Antrag eines Bezirks nur von einer Stelle zu genehmigen und nicht von einem Dutzend: zum Beispiel von der Polizei als untere Verkehrsbehörde.

Die Senatsverwaltungen konzentrieren sich – bis auf wenige und sehr begrenzte Ausnahmen – auf die rein ministeriell, fachlich-inhaltlichen Steuerungsaufgaben. Sie koordinieren lediglich und führen selbst nicht aus. Stadtweite Aufgaben werden von Verwaltungsbehörden vollzogen. Sie sind in ihrer Anzahl gesetzlich zu begrenzen. Dienst-, Fach- und Rechtsaufsicht werden entsprechend neu justiert. Keine operative oder bezirkliche Durchführungsaufgabe bleibt ohne eindeutig zugewiesene Fach- und Rechtsaufsicht auf ministerieller Ebene.

Ping-Pong-Effekte der Zuständigkeitsverschiebungen werden durch eine eigens einzurichtende Organisations(leit)stelle eingedämmt. Diese weist Verantwortung und Federführung abschließend über alle Ebenen zu. Herausreden ist nicht mehr.

Eine Vier-Säulen-Finanzierung

Und die Finanzierung? Das von den rot-rot-grünen Autoren vorgeschlagene Steuerungs-Instrument der Zielvereinbarung bleibt bislang insgesamt zu vage. In meinem Verständnis sind Zielvereinbarungen verbindliche Absprachen zwischen gleichberechtigten Partnern über zu erreichende Soll-Zustände, die hinsichtlich Inhalt, Ausmaß und zeitlicher Dauer konkret beschrieben sind. Sie legen zudem auch den für die Zielerreichung erforderlichen Ressourcenbedarf fest. Dieser Definition genügt der Zukunftspakt Verwaltung des rot-rot-grünen Senats nicht.

[In unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken interviewen wir regelmäßig Bezirksbürgermeister und Stadträte und berichten über neue, lokale Reformideen. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Auch für die künftige Finanzierung der Bezirke bedarf es weder neuer grundlegender Instrumente wie solcher Zielvereinbarungen noch einer Verfassungsänderung oder eines neuen Systems des Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesens. Mit einer erweiterten Kameralistik lässt sich die Bezirksebene gut steuern.

Anders als bislang schlage ich allerdings eine Vier-Säulen-Finanzierung vor. Zunächst eine feste Grund-Zuweisung, um konkreten gesetzlichen Pflichten nachkommen zu können. Darauf aufbauend eine Rahmen-Zuweisung zur Finanzierung von allgemeinen Aufgaben der bezirklichen Ebene. Als dritte Zuweisungsart sollte ein bezirklicher Verfügungsfonds eingerichtet werden, über den frei verfügt werden kann. Dieser sollte bis zu drei Prozent der Gewerbesteuereinnahmen im jeweiligen Bezirk umfassen. Eine vierte Säule bilden flächendeckend ausgebrachte Bürgerhaushalte. Diese Art eines bezirklichen Gemeinwesenfonds findet als Teil sogenannter Smart-City-Strategien weltweit immer breitere Anwendung.

Die Stadt Paris stellt hierfür etwa 100 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Die Verteilung von Geldern aus Bürgerhaushalten wird auf Basis lokaler Mitverantwortung der aktiven Bürgerschaft gesteuert. Anders als in Deutschland bislang üblich sollte dabei aber für Bürgerhaushalte gelten: Die Entscheidungen der Bürgerinnen und Bürger sind verbindlich, die zur Verfügung stehende Geldsumme muss signifikant hoch sein (damit hinreichend Motivation bei Menschen entsteht sich einzubringen) und es darf für echte Investitionen aufgewendet werden. Im Idealfall werden Bürgerhaushalte auf lokaler Ebene ausgebracht und entschieden – und nicht auf bezirklicher Ebene. Denn nur so kann ein Kiez gestaltet werden, in dem sich alle wohlfühlen.

Digitalisierung: Ein „Beauftragter für Strategie und Innovation“ soll alle Aktivitäten bündeln

Bleibt schließlich die Digitalisierung. Ein „Beauftragter für Strategie und Innovation“ bündelt künftig auf Staatssekretärsebene alle Aktivitäten. Die bestehende Fragmentierung wird aufgehoben. Er ist Chief Information Officer des Landes Berlin und zentral für Digitalisierung und Informationstechnik zuständig. Er verantwortet die Digitalisierungsstrategie, forciert das E-Government, die E-Justice und die Digitalisierung der Berliner Schulen. Er macht Berlin zu einer „intelligenten Stadt“, stützt sich auf vorhandene Strukturen und entscheidet in übergeordneten Fragen der Organisation. Schließlich steht ihm ein zeitlich begrenztes „Innovation Center“ zur Seite, als Motor der Digitalisierung. Der Beauftragte darf im Übrigen auch sehr gerne eine Frau sein.

Motiviertes Personal ist bei alledem der Schlüsselfaktor für den Erfolg. Eine Verwaltungsreform in dieser Dimension kann nicht ohne aktive Unterstützung der Beschäftigten selbst funktionieren. Sie sind die Expertinnen und Experten der einzelnen Abläufe und Verfahren, kennen die behördlichen Verhältnisse, können auf Risiken hinweisen und sind daher auch aktiv am Reformprozess zu beteiligen.

Im Ergebnis wird sich nicht jede oder jeder am alten Arbeitsplatz wiederfinden, aber die Übernahme veränderter Aufgabenstellungen oder größere Eigenverantwortung ist auch eine Chance für die Steigerung individueller Zufriedenheit.

Das ist mein Impuls in dieser Diskussion, geschrieben aus Zuneigung für diese Stadt und natürlich aus Liebe zur Freiheit.

Bernd Schlömer

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