zum Hauptinhalt

Berlin: Die Kids vom Block

Rap und neue Schulmodelle: Die Jugendlichen vom Soldiner Kiez wollen heraus aus Klischees und sozialem Abseits

Das westliche Tor zum Soldiner Kiez ist die Drontheimer Straße. Zwei Zeilen Altbauten aus der Gründerzeit, die so auch in Wilmersdorf stehen könnten – nur dass dort nicht so viele Läden leer stünden. Die „Cuccina-Lounge“ zum Beispiel, wo man früher richtig satt wurde: „Iss 3 – zahl 2“. Lange bevor die Cuccina schloss, hatte das Pförtnerhäuschen am Eingang des Industriegebiets ausgedient, in dem sie untergebracht war. Produziert wird schon lange nichts mehr in den roten Backsteinbauten. Stünden diese Häuser in Prenzlauer Berg, gäbe es hier Lofts und Coffeeshops. Aber wir sind im Wedding, da gibt es die „Türkisch-Idealistische Gemeinschaft“ und die „puk a malta“.

Hausnummer 34, zweiter Stock. Hier treffen sich die Kids vom Block, die Jungs vom Brennpunkt. Der Flur ist in das Gelb der Neonröhren getaucht, und es gibt knallblaue Türen. Hinter einer sitzt Jan Spieler, graue Synthetik-Jacke, Reißverschluss zu bis unters Kinn. „Wir haben hier 50 Nationalitäten“, sagt der Mann von der Bildungseinrichtung „puk a malta“. Mike, kurze schwarze Haare, weißes Hemd, ergänzt: „Wir sind ein Freundeskreis, es gibt keine Gruppen – egal welche Nationalität.“

Dann sagt er noch: „Wir unterhalten uns alle in derselben Sprache!“ Mike sagt nicht: Wir sprechen deutsch. Ihm gegenüber sitzt Momo, waches Gesicht: „Wir sprechen deutsch, klar, und arabisch, türkisch und französisch – aber mit den Lehrern nur englisch.“ Gibt es überhaupt einen Deutschen im Freundeskreis? „Klar, Basti!“, sagt Momo. Basti ist aber weg. Seit einem Jahr. Mit seinem Vater ab nach Mecklenburg-Vorpommern.

Mike, 21, der eigentlich Misel Stojanovic heißt und aus Serbien stammt, sagt: „Wir passen nicht ins Bild des deutschen Staatsbürgers.“ Welches Bild? „Der geht in die Schule, der ist nicht so dunkel wie wir, der sitzt zu Hause und lernt.“ Sie gehen lieber auf die Straße. In Gruppen. Da fallen sie auf, auch der Polizei. „Ratzfatz werden wir gefilzt“, sagt Momo aus Palästina, 16, der eigentlich Mohamed Mizyan heißt. Dann werden Personalien und Wohnsitz festgestellt, manchmal greifen sie einen auf, der in Berlin geboren ist, aber nach 18 Jahren in seine „Heimat“ abgeschoben wird. Eine solche Gruppe von Migranten lieferte sich vor vier Jahren ein Handgemenge mit Polizisten. Das war in der Kreuzberger Naunynstraße. Ein paar Wochen ging das Gespenst von der Unregierbarkeit des Kiezes um.

Da fliegt die Tür auf. „Hej, Jan“, sagt einer, ein halbes Dutzend Kinder schlurft ins Zimmer. „Ich kenn’ dich nicht“, sagt einer, reicht trotzdem die Hand. Der Kleinste ist zehn, er sitzt vor dem Mikro, die großen Kopfhörer bedecken fast die Wangen. „Die Beats machen sie mit dem Toningenieur Morgan, den Text machen sie selbst“, sagt Betreuer Jan Spieler. Der fertige Track wird auf Myspace hochgeladen. „Und die Klickzahlen sind die Anerkennung, die sie kriegen.“ Videos produziert er auch mal selbst. „Falsches Bild“ zum Beispiel. Darin heißt es: „Schiebt uns nicht an die Ränder. Würdet ihr mit uns reden, würde sich euer falsches Bild von uns ändern.“

Hoffen auf den Durchbruch? „Den Zahn ziehe ich ihnen“, sagt Spieler. „Er ist wirklich gnadenlos“, sagt Mike über seinen Mentor. Mike spricht davon, sich Dinge „zu erarbeiten“, und davon, dass man nicht nach Zielen streben soll, die nicht erreichbar sind. „Den Siebener-BMW vor der Haustür“, sagt Spieler. Das Statussymbol, das im Soldiner Kiez nur besitzt, wer die Abkürzung nimmt, die am Rechtsstaat vorbei.

Die Abkürzung ist eine Sackgasse. Das kann Jan Spieler glaubwürdig vermitteln, weil er selbst einen Umweg nehmen musste, um auf den Weg zurückzukehren: Ohne Abschluss von der Schule runter, nahm er einen zweiten Anlauf für das erste, einen weiteren, für das zweite Zeugnis. Das Realschulzeugnis bekam er bei „puk a malta“. Und weil er Bäume pflanzte zwischen den Mietkasernen, „hat mich die Leiterin gleich eingestellt“, sagt er. Nun steht die Aktion „Unser Baum für Europa“ ganz oben auf der Website von „puk a malta“. Das Rapperprojekt „Kingz of Kiez“ gleich daneben.

Sie rappen über die Schließung des Jugendclubs Badstraße, über ihre Suche nach Ausbildungsplätzen oder über Jungs und Mädchen. Bei einem Lied ist der Refrain auf Türkisch, der Rest auf Deutsch. Sie treten bei der „Streetdance-WM“ auf, bei der „Fête de la Musique“, in Magdeburg, Rothenburg und arbeiten sich sprachlich an ihrer Rolle in der Mehrheitsgesellschaft ab: „Dieses falsche Bild, das ihr von uns macht. Wir sind alle kriminell und krank. Dieses Denken kostet uns jede Nacht.“

Mike lernt Bürokaufmann, „schulische Ausbildung“, sagt er. Er hätte lieber in einem Betrieb gelernt. Bei einem Elektronikmulti lief die Prüfung gut. Die Absage kam trotzdem, schriftlich – Begründung: „Weil ich aus dem Ausland komme“, behauptet er. Das sei aber immer noch besser gewesen als das Bewerbungsgespräch beim Handelskonzern am Tauentzien. „Da gab es zwei Räume, einen für Deutsche, einen für Ausländer“, sagt Mike. Die Ausländer hätten nicht einmal den Bewerbungsbogen bekommen. Und Momo? „Ich werde Mechatroniker.“ Ein Betrieb im Kiez habe ihm einen Ausbildungsplatz versprochen: „Komm’ wieder, wenn du den erweiterten Hauptschulabschluss hast.“ Momo wird wiederkommen, er hat jetzt ein Ziel.

Etwa die Hälfte der Kinder der Wilhelm-Hauff-Grundschule haben türkische Wurzeln, die zweitgrößte Mehrheit in den Klassen stellen Araber. Deutsch ist etwa jedes zehnte Kind, eine ähnlich kleine Minderheit wie Kinder aus Ex-Jugoslawien, also aus Bosnien, Albanien oder aus Sinti- und Roma-Familien. Auch vietnamesische und kongolesische Kinder zählt Direktorin Marichen Aden auf. „Wenn ich davon ausginge, dass Integration hier aussichtslos ist, könnte ich es gleich knicken“, sagt sie. Diese Schule lobt jeder im Kiez. Weil es klare Regeln gibt – wer prügelt, wird angezeigt. Weil es keinen Frontalunterricht gibt und weil die Lehrer „Cay trinken“. Der türkische Tee wird oft bei der Unterzeichnung des „Erziehungsvertrags“ gereicht, den bei der Einschulung die Klassenlehrer mit den Eltern abschließen. Der Hausbesuch mit dem „Bündnis für Bildung“ ließ die Schwänzer-Quote schmelzen: Nur drei Schulversäumnis-Anzeigen kommen auf 520 Schüler – das ist wenig für eine Schule im Brennpunkt.

Der Erfolg des Bündnisses mit den Eltern hat Aden davon überzeugt, dass „Schule ein Ort der Kiez-Entwicklung werden muss, ein Gemeinschaftszentrum“. Warum nicht die Quartiersmanager im Gebäude unterbringen, Psychologen und Sozialarbeiter, den schulmedizinischen Dienst? Das sind neue Konzepte, die Kooperationen mehrerer Verwaltungen erfordern – und den rot-roten Senat überfordern. Stattdessen gibt es das „Raumzumessungsprogramm“. Es regelt, wie viel Fläche Schulen beanspruchen dürfen. Es hilft, Kosten zu sparen, lässt aber keinen Raum für Initiativen, die Kindern in Brennpunkten helfen. „Wir haben freiwillige Lesepaten und Hausaufgabenhelfer, aber keine Räume“, sagt Aden.

Die Direktorin bewegt trotzdem etwas: Kunst ist neben der Gesundheitsförderung ein Schwerpunkt. Die Klassen sind nach den Prinzipien der Montessori-Pädagogik zu jeweils drei Altersstufen zusammengefasst, damit begabte Kleine von den Großen lernen. Deshalb scheiterte noch kein Kind, das eine Empfehlung für weiterführende Schulen bekam. Trotzdem: Der Nachholbedarf ist gewaltig, von „doppelter Halbsprachigkeit“ spricht die Direktorin. Die Lehrer gehen in die Familien oder laden sie in die Bildungseinrichtung ein. Sie müssen lernen, Anträge zu stellen. Oder ein gesundes Frühstück zuzubereiten. Ralf Schönball

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false