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Bedrohte Dämme: Eine halbe Million Sandsäcke gegen die Flut

In den Hochwassergebieten gibt es noch keine Entwarnung. Zwar haben die Niederschläge aufgehört, aber viele Deiche weichen langsam durch, erste Dämme rutschten ab. Jetzt hilft die Bundeswehr mit Hubschraubern. Bei Tageslicht sollen die kritischen Stellen gestopft werden.

Das Hochwasser der Schwarzen Elster dringt von Brandenburg weiter nach Sachsen-Anhalt vor. Am Freitagmorgen ist die Lage in den besonders betroffenen Gebieten, dem Kreis Wittenberg und dem Elbe-Elster-Kreis, weiterhin angespannt. Bei Meuselko in Sachsen-Anhalt konnte am Donnerstag ein Deichstück den Wassermassen nicht mehr standhalten. In der Nacht flutete das Wasser daraufhin weitere Straßen, so dass die kleine Ortschaft Waltersdorf nun abgeschnitten ist. 20 Bewohner sitzen den Angaben des Kreises zufolge in ihren Häusern fest.

Im Kreis Wittenberg war bereits am Donnerstag Katastrophenalarm ausgerufen worden. Zunächst flogen Hubschrauber der Bundeswehr Sandsäcke zu den brüchigen Deichwänden, mit Einbruch der Dunkelheit musste die Arbeiten aber vorläufig eingestellt werden. Mit großen Betonwänden soll am Freitag versucht werden, die kritischen Stellen des Deiches zu verstärken. Ob das gelingt, war in der Nacht ungewiss.

Tausende Menschen im Süden Brandenburgs machen derzeit völlig neue Erfahrung: Sie füllen, schleppen und stapeln Sandsäcke, was das Zeug hält. Anders sind die Schwarze Elster, die Pulsnitz, die Spree und die Neiße nicht in ihren angestammten Flussbetten zu halten. Auf eine halbe Million Stück schätzte gestern der Katastrophenstab des Kreises Elbe-Elster allein die Zahl am 60 Kilometer langen Abschnitt der Schwarzen Elster zwischen Herzberg, Bad Liebenwerda, Elsterwerda und Lauchhammer verbauten Säcke aus Jute und Kunststoff. Der Nachbarkreis Spree-Neiße kam auf bislang 130 000 Exemplare. Doch ein Ende des Schippens und Stapelns ist noch nicht abzusehen. „Das Wasser drückt mit voller Wucht gegen die altersschwachen Deiche, so dass es immer wieder zu Sickerstellen kommt“, schilderte der Bürgermeister von Elsterwerda, Dieter Herrchen, die Situation in seiner rund 10 000 Einwohner zählenden Stadt. Ohne die dann möglichst blitzschnell an die kritischen Orte gebrachten Sandsäcke stünde das Wasser schon lange in den Straßen. Vorsorglich hatte er die Bewohner zum Verlassen des Zentrums aufgerufen und das Krankenhaus mit mehr als 100 Patienten evakuieren lassen.

Am gestrigen Nachmittag spitzte sich die Lage bei Bad Liebenwerda noch einmal zu. An mehreren Stellen meldeten die Einsatzkräfte Schäden am Deich. Der Katastrophenstab forderte daher erstmals zwei Hubschrauber der Bundeswehr zur Unterstützung an. Sie sollen die Sandsäcke direkt an die Deiche bringen, da Lastwagen und Traktoren auf den völlig durchnässten Feldern und Wiesen steckenbleiben. Im Gewerbegebiet Lausitz wurden eine große Sandsackfüllanlage und ein provisorischer Hubschrauberlandeplatz eingerichtet.

Mancherorts helfen aber selbst gewaltige Sandsackbarrieren nicht mehr. Mit schwerer Technik begannen mehrere Baufirmen zwischen Bad Liebenwerda und Zeischa mit dem Aufschütten eines einen Kilometer langen Ersatzdammes, um das Wasser bei einem Deichbruch aufhalten zu können. Deshalb gibt das Landesumweltamt noch längst keine Entwarnung. „Das Hochwasser steigt zwar wahrscheinlich nicht mehr an, aber es geht auch nur ganz langsam zurück“, sagte der Präsident der Behörde, Professor Matthias Freude. Zumindest das Wetter ist den tausenden Helfern derzeit gnädig. Erst für den kommenden Dienstag sind die nächsten Niederschläge angekündigt.

Am frühen Donnerstagnachmittag kam Entwarnung für die Autobahn A 13. Fast zwei Tage lang hatte das Technische Hilfswerk bei Ortrand gegen die auf der Fahrbahn stehenden Fluten der Pulsnitz gekämpft. „Pro Sekunde haben wir 5000 Liter Wasser abgepumpt“, sagte der Einsatzchef. „Trotz Höchstleistung gab es aber lange Zeit keinen Fortschritt.“ Jetzt rollt der Verkehr in beiden Richtungen wieder jeweils auf einer Spur.

Entwarnung gab es auch für die bisher besonders vom Hochwasser betroffenen Flüsse, Neiße und Spree. Hier wurden in der Nacht die Alarmstufen gesenkt. An der Neiße in Klein Bademeusel gilt nur noch die Alarmstufe 2, in Spremberg für die Spree die Alarmstufe 3. Der Pegelstand sank hier etwa deutlich von 4,04 Meter um 18.00 Uhr auf 3,89 Meter um 2.00 Uhr morgens. Allerdings erhöhten sich nach Angaben des Innenministeriums zuvor die Wasserstände des Flusses unterhalb der Talsperre Spremberg, nachdem mit dem Ablassen von Wasser aus der Talsperre begonnen wurde.

Auch in Sachsen geht das Hochwasser zurück - aber nur langsam. Die Experten rechnen daher erst in den nächsten Tagen mit einer deutlichen Entspannung der Lage. An der Spree und ihren Zuflüssen, der Neiße, der Elbe und weiteren Flüssen blieben die Meldegrenzen überschritten. Vielerorts waren Felder und Wiesen überschwemmt, auch Häuser standen unter Wasser.

Erste Hochwassermeldungen gibt es nun auch von der Oder. Am Donnerstag wurde im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree die niedrigste Alarmstufe 1 ausgerufen. Die Mulde bei Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt überschritt am Abend sogar Alarmstufe 3.

Das Hochwasser bringt nicht nur das öffentliche Leben mit Straßensperrungen sowie geschlossenen Schulen und Geschäften auf einem rund 150 Kilometer langen Streifen quer durch den Süden Brandenburgs durcheinander. Auch die Tierwelt verliert die Orientierung. So staunten Angestellte und Kunden einer Bäckerei in Wahrenbrück, als ein großer Deckbulle auftauchte. Er gehörte zu einer insgesamt aus 150 Kühen und Kälbern bestehenden Herde, die von einem unter Wasser stehenden Feld getrieben wurden. In der Panik liefen die Tiere verstört umher und mussten mühsam eingesammelt werden. Nur der Deckbulle blieb verschwunden, ehe die Meldung von der Bäckerei eintraf. Claus-Dieter Steyer (mit dpa)

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