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Berlin: Im Ausnahmezustand

Politiker besuchen die Neuköllner Rütli-Schule und versuchen zu beruhigen Die Schüler genießen die ungewohnte Aufmerksamkeit

Isa sagt, er sei Palästinenser und stolz darauf. Er wippt von einem Fuß auf den anderen und beobachtet die vielen Journalisten, die vor der Rütli-Oberschule warten. Bis vor kurzem dachte er noch, diese Hauptschule sei so gut wie jede andere. Isa, 17 Jahre, ist schon von vielen Schulen geworfen worden. Der nächsten Strafversetzung wollte er zuvorkommen. Deshalb hat er sich heute Morgen an der Rütli-Schule angemeldet. „Hier kenne ich keinen, das ist besser. Mal andere Luft schnuppern.“

An der Rütli-Schule geben die Palästinenser den Ton an. Sie führen die meisten Interviews. Es ist Tag zwei nach der Ohnmachtserklärung des Lehrerkollegiums. Der Unterricht fällt nach der zweiten Stunde aus. Viele Schüler sind sauer auf die Presse, weil die von einer „Terrorschule“ geschrieben habe. „Wir sind keine Terroristen“, sagt Mahmut erhitzt in die Fernsehkameras. Auf seinem Kapuzenshirt ist die palästinensische Fahne aufgenäht. Kleine Mädchen mit Zahnspangen schimpfen, die Medien wollten ihre Schule zerstören, damit sie keine Lehrstellen bekommen. Es gibt Rangeleien. Einen Moment lang droht das Spiel um Aufmerksamkeit und Machtrituale zu kippen. Aus einem Klassenraum im Obergeschoss skandieren Schüler unverständliche Sprechreime auf die Straße. Zwei Jugendliche baggern eine blonde Fernsehreporterin an. „Darf ich Sie küssen?“

Die Polizei ist schon wieder abgerückt. Das Schultor wird von einem Mann bewacht, der zum dreiköpfigen Sicherheitsteam der Schule gehört, zwei davon sind Ein-Euro-Jobber. Seit einigen Monaten laufe das so, weil so viel zerstört wurde, sagt einer der Aufpasser. „Fensterscheiben gingen zu Bruch, Stühle wurden auf den Hof geworfen, Türen eingetreten.“ Inzwischen gebe es weniger Vandalismus .

Da eilt Siegfried Arnz aus dem Schultor, Bögers Experte für die Hauptschulen. Er und der Senator haben die Schule besucht, sind guter Dinge. Arnz entschließt sich spontan, mitten auf der Kopfsteinpflasterstraße eine Pressekonferenz abzuhalten. Um ihn herum schart sich die Clique von Mahmut und spielt Bodyguard. Er habe sich mit den Klassensprechern unterhalten, sagt Arnz. Ein „bewegendes und beeindruckendes Gespräch“. „Auch die Schüler wünschen sich mehr Respekt füreinander.“ Nur eine kleine Minderheit sorge für ein schlechtes Klima. Man werde „den einen oder anderen zusätzlichen Lehrer“ in die Rütli-Schule schicken, wenn welche dazu bereit sind. Die Schule solle sich zu einem „attraktiven Schulstandort“ entwickeln. Die Fusion der Rütli-Hauptschule mit der Heinrich-Heine-Realschule, die im selben Haus untergebracht ist, sei erwünscht, aber man werde das nicht verordnen. Dann spricht Arnz noch von einem „Aufbruchsignal“ und beendet die Konferenz.

Auch Senator Böger hat am Freitagvormittag Gespräche in der Schule geführt. „Die Lehrer haben große Sorge, dass die Schule stigmatisiert werde und sich dann Schüler abmelden“, sagte er und weiter, dass die Schule Unterstützung brauche, aber „beileibe nicht die Chaos- oder gar Terrorschule“ sei, zu der sie gemacht werde. Von einer Schließung ist keine Rede mehr. Auch Böger möchte die Fusion mit der Realschule, aber „das muss man abwarten“. Er sei nach dem Besuch in der Schule „viel optimistischer“ als nach der Lektüre des Brandbriefes.

Die 15-jährige Fatima geht auf die Heinrich-Heine-Realschule, die sich mit der Hauptschule das Gebäude teilt – „uns trennt nur eine Glasscheibe“. Die angekündigte Fusion hält sie für keine gute Idee. „Davon wollen wir nichts wissen.“ In der Realschule sei alles in Ordnung, „die Lehrer sind okay, es gibt Disziplin“. Bei einer Fusion würde ihre Mutter sie von der Schule nehmen, fürchtet Ebru.

Dann rauscht noch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung mit ihrem auf zwei Limousinen verteilten Tross in die Rütlistraße. Sie schafft es kaum bis zum Schultor und ist im Knäuel der Leiber nicht zu erkennen. Die arabischen Jungs sind elektrisiert. „Das war bestimmt Angela Merkel, ey.“

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