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Berlin: In der Defensive

Gewerkschaftsbund kämpft gegen Jobabbau und Mitgliederschwund

Das letzte halbe Jahr war für die Gewerkschaften besonders unerfreulich. Sie mussten ohnmächtig miterleben, wie wieder hunderte Arbeitsplätze in Berlin gestrichen wurden, unter anderem bei Samsung oder JVC. Und das, obwohl es gelang, auch den Senat für den Abwehrkampf zu mobilisieren. „Die Politik mischt sich inzwischen mehr ein, wenn es um Standortfragen geht“, sagt Dieter Scholz, DGB-Chef von Berlin und Brandenburg. „Es gibt mehr Schwung in der industriepolitischen Auseinandersetzung, das war früher nicht so.“ Scholz steht seit acht Jahren in der Region an der Spitze des Dachverbands, der am Freitag auf seiner Bezirkskonferenz die Weichen für die kommenden vier Jahre stellen möchte. An der DGB-Spitze wird es Kontinuität und Wandel geben. Scholz wird weiterhin den Gewerkschaftsbund führen; es gibt keinen Gegenkandidaten. Neue Stellvertreterin des IG-Metall- Manns Scholz soll die Verdi-Frau Doro Zinke werden (siehe unten).

Noch nie stand es in der Stadt und der Region so schlecht um die Arbeitsplätze. Jährlich verliert die Stadt rund 30 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Vor allem der Niedergang der Industrie macht sich immer noch spürbar bemerkbar. Rund 160 000 Jobs im produzierenden Gewerbe sind in den letzten zehn Jahren verloren gegangen. Bezogen auf die Einwohnerzahl hat Berlin nur halb so viele Industriearbeitsplätze wie Hamburg, verglichen mit Baden- Württemberg sogar nur ein Drittel so viele. Auch der öffentliche Dienst baute in großem Umfang Stellen ab. In den letzten 15 Jahren sank die Zahl der Stellen im Landesdienst von 207 000 auf 118 000.

Der Jobabbau geht an den Gewerkschaften nicht vorbei. Kontinuierlich verloren sie in den letzten Jahren Mitglieder. Allein von 2001 bis 2004 mussten die DGB-Gewerkschaften den Verlust von knapp einem Fünftel ihrer Mitglieder hinnehmen. Rund 445 000 Menschen sind noch organisiert. Und Mitgliederwerbung ist schwer. Inzwischen sind viele Unternehmen nicht mehr tarifgebunden, die Gewerkschaften haben dort mit Lohnforderungen keinen Einfluss mehr. Erschwerend kommt hinzu, dass immer mehr Beschäftigte nicht regulär in den Betrieben sind, sondern wegen ihrer Mini-Jobs nur stundenweise. „Gewerkschaft ist eigentlich nur erlebbar, wenn man ständig bei der Arbeit mit ihr in Kontakt kommt“, sagt Scholz. Hoffnung setzt der DGB auf die Werbung bei den Auszubildenden. Ein „Kontaktmobil“ fährt regelmäßig die Berufsschulen an und macht vor deren Toren Werbung. Knapp 20 000 Jugendliche werden so jährlich angesprochen. Um große Gewerkschaftspolitik geht es dabei nicht, sondern um praktische Hilfe und Unterstützung. Die Gewerkschaft bietet sich vor allem als dienstleistender Interessenvertreter an. In so schwierigen Zeiten darf man eben die Ziele nicht zu hoch stecken.

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