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Berlin: „Mit dem Rücken zur Wand – da wird man mutig“

Ein Jahr Rot-Rot in Berlin: Klaus Wowereit über seine Erfolge, Niederlagen und die Vorreiterrolle der Stadt für die Modernisierung Deutschlands

Der rotrote Senat besteht genau ein Jahr. Stoßen Sie heute auf den Geburtstag an?

Nein, es gibt keinen Sekt und keine Feier. Aber ich bin zufrieden mit der Arbeit des Senats im ersten Jahr.

Welcher Erfolg freut Sie am meisten?

Ich freue mich, dass wir ein Klima des gegenseitigen Vertrauens schaffen konnten, in dem wir die Probleme intern debattieren und nach außen geschlossen auftreten. Bisher hat kein Koalitionspartner versucht, sich auf Kosten des anderen zu profilieren. Das ist der Kontrast zur großen Koalition. Die erfolgreichste Entscheidung ist die Fusion von SFB und ORB zum Radio Berlin-Brandenburg. Dies zeigt exemplarisch, dass man, wenn man mutig vorangeht, auch in der Region Strukturen verändern kann, die zementiert zu sein schienen.

Verraten Sie uns auch Ihre schwerste Niederlage?

Ich finde es sehr schade, dass das Zuwanderungsgesetz keinen Bestand hat.

Ist Ihnen die Erinnerung an Ihre Rolle bei der Abstimmung im Bundesrat unangenehm?

Nein. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Das Bundesverfassungsgericht hat über die Formalien anders entschieden. Inhaltlich halte ich dieses Gesetz für gut und absolut notwendig.

Aber Sie standen als Vollzugshelfer des Bundeskanzlers da.

Das ist falsch. Ich musste in dieser Situation als Bundesratspräsident entscheiden. Das habe ich getan.

Haben Sie sich durch das Amt als Regierender Bürgermeister persönlich verändert?

Ich hoffe, nur wenig. Das Amt bedeutet natürlich eine totale Umstellung, auch des Privatlebens. Man steht von morgens bis abends in der Öffentlichkeit, jedes Wort kann falsch verstanden werden. Daher wird man vorsichtig und überlegt genauer, was man sagt oder besser nicht sagt.

Die Koalitionsbildung war ein Wagnis, weil es in Berlin schwere prinzipielle Vorbehalte gegen die PDS als SED-Nachfolger gab. Davon spricht kaum noch jemand. Wie erklären Sie sich das?

Die Koalition hat durch ihre Arbeit gezeigt, dass die Befürchtungen nach dem Motto, Investoren würden verschreckt und die Stadt ins Chaos gestürzt, absurd waren. Der Senat beweist, dass er die Probleme anpacken und lösen kann. Dadurch haben sich auch die Einschätzungen geändert. Es war übrigens auch ein Gedanke bei dieser Koalitionsbildung, dass zwölf Jahre nach dem Fall der Mauer auch das ein Beitrag zum Zusammenwachsen der Stadt und zur inneren Einheit ist.

Eine Million Menschen sind erst nach der Wende nach Berlin zugezogen…

Das hat ganz sicher zur dynamischen Veränderung dieser Stadt beigetragen. Wir sind tatsächlich eine junge Stadt geworden. Daraus ergibt sich eine andere Sichtweise auf die Dinge. Bestimmte Entscheidungen, die heute möglich sind, wären vor drei oder fünf Jahren nicht möglich gewesen.

Was hält Rot-Rot zusammen?

Die Einsicht, dass Berlin Strukturreformen braucht. Beide Parteien wissen, dass die Aufgabe unendlich schwer ist, aber dass Politik darin besteht, gemeinsam konstruktiv zu handeln. Wir haben es täglich mit alten und neuen Problemen zu tun, vor denen jeder fast verzweifelt. Doch die Kraft, etwas zu bewirken, erwächst daraus, dass Berlin eine junge, dynamische, kreative Stadt ist.

Haben Sie nicht die Sorge, dass Ihnen der Koalitionspartner langsam wegdörrt?

Die PDS leidet darunter, was sie auf Bundesebene erlebt. Zum anderen normalisiert sich in Berlin ihr Stellenwert in der Wählergunst. Ihre Wähleranteile waren ja bei der letzten Berliner Wahl exorbitant hoch.

Berlin war oft Vorreiter für neue Entwicklungen. Sie wollen Berlin zur Modellstadt für die Modernisierung der Republik machen?

Die größte deutsche Stadt und Hauptstadt ist ein Fokus für gesellschaftliche Entwicklungen. Wir müssen mutig nach vorn gehen. Unser Mut kommt daher, dass in unserem Rücken nur noch die Wand ist. Die finanzielle Lage ist so verzweifelt, dass sie niemand mehr ignorieren kann. Eine verantwortliche Politik erfordert Lösungen, und zwar außerhalb des bisher Üblichen. Aus diesem Problemdruck ergibt sich, dass wir Vorreiter sein werden für Entwicklungen, die in anderen Teilen der Bundesrepublik genauso notwendig sind.

Schafft das Spielraum im Bundesrat?

Wir haben für unsere Lage großes Verständnis gefunden. Früher sagte man, Berlin jammert und fordert. Jetzt merkt man, dass wir zwar dringend Hilfe von außen brauchen, aber vor eigenen unpopulären Entscheidungen nicht zurückschrecken.

Mit dem Wunsch, der Bundespräsident möge eine Hauptstadt-Kommission einberufen, sind Sie abgeblitzt.

Nein, ich bin nicht abgeblitzt. Der Bundespräsident hat die Kommission nicht abgelehnt, wie öffentlich dargestellt wurde, aber es gibt noch keine Entscheidung. Wir sind weiter mit dem Bundespräsidialamt im Gespräch.

Ihre schärfsten Gegner sind momentan die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. Sind Sie ein demokratischer Diktator?

Nein. Nur: Man kann die Probleme Berlins nicht dadurch lösen, dass man sagt, es gibt keine Lösung. Unsere Vorschläge für einen Solidarpakt haben die DGB-Gewerkschaften abgelehnt. Jetzt stehen wir vor Tarifverhandlungen für Berlin allein. Da geht es nicht um Diktatur oder Demokratie, sondern um unterschiedliche Interessen. Die Gewerkschaften vertreten die Interessen ihrer Mitglieder, ich als Arbeitgeber vertrete die Interessen aller Berliner.

Sie wollen eine Nullrunde.

Ja. Wir müssen die Personalkosten um etwa 500 Millionen Euro senken. Wir müssen deshalb sozialverträglich und gestaffelt an einen Teil des 13. Monatsgehalts herangehen und an das Urlaubsgeld, befristet für zwei, drei Jahre. Dafür bieten wir Arbeitszeitverkürzung an, sichere Arbeitsplätze und einen Einstellungskorridor für junge Leute. Insofern ist das auch eine Frage der Solidarität.

Lassen Sie es wirklich auf einen Streik ankommen? Halten SPD und PDS das durch?

Ich habe sowohl meiner Partei als auch den Vertretern der PDS von Anfang an klar gemacht, welche Konsequenzen unsere Linie haben kann. Ich hoffe, dass es nicht zum Streik kommt, aber wir würden einen Streik durchstehen. Ich habe keinen Zweifel, dass SPD wie PDS weiter zum Senatskurs stehen.

Auf welche Belastungen und Sparauflagen müssen sich die Bürger gefasst machen?

Ich habe keine Erkenntnisse, dass wir mehr Geld zur Verfügung haben werden. Daher müssen weitere Umstrukturierungen und Härten sein. Wir wollen Prioritäten setzen, zum Beispiel Bildung und Ausbildung schonen. Aber ich kann auch da nicht garantieren, dass es gar keine Veränderungen gibt.

Sollen Eltern die Schulbücher ihrer Kinder künftig selbst bezahlen?

Das ist in vielen Bundesländern üblich, bei einer Sozialregelung für Eltern, die nicht zahlen können. In Berlin werden wir das diskutieren. Ich kann die Abschaffung der Lernmittelfreiheit nicht ausschließen. Das gilt auch für die Einführung von Studiengebühren. Auch da ist eine Grundsatzentscheidung notwendig, aber bundesweit. Derzeit wird über Unterschiede zwischen Erststudium, Zweitstudium und Langzeitstudenten diskutiert.

Haben Sie Hoffnung auf eine Trendwende am Arbeitsmarkt?

Ich hoffe, dass die Umsetzung der Beschlüsse der Hartz-Kommission Wirkung zeigt. Wir haben aber nach wie vor erhebliche Probleme, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Trotzdem hatten wir im letzten Jahr Erfolge mit der Ansiedlung von Unternehmen. Wir rollen den Unternehmen den roten Teppich aus, stehen aber in Konkurrenz zu anderen Standorten in Deutschland und Europa. Es ist eine Schlüsselinvestition, dass MTV nach Berlin kommt. Berlin ist der stärkste Musikstandort in Deutschland mit Sony, mit Universal, mit Bertelsmann Music, mit MTV. Wir haben auch andere Ansiedlungserfolge. Eine hochspezialisierte VW-Tochter wurde in Berlin gegründet. SAP verdoppelt den Mitarbeiterbestand. Coca-Cola konzentriert seine Deutschland-Aktivitäten in Berlin.

Bleibt Berlin auf der Bankgesellschaft sitzen?

Die Frage kann ich heute nicht beantworten. Wir wollen die Landesaktien der Bankgesellschaft verkaufen. Ich kann aber nicht sagen, ob es ein vernünftiges Angebot gibt. Wir verkaufen nicht um jeden Preis. Das hängt davon ob, ob der Erwerber Risiken mitträgt. Es macht keinen Sinn, uns von Eigentum zu trennen, wenn der Erwerber alle Gewinne hat und wir auf allen Risiken sitzen bleiben.

Können Sie einen realistischen Zeitplan für den Bau des Großflughafens Schönefeld nennen, der 2007 fertig sein sollte?

Wir führen Vertragsverhandlungen zur Privatisierung der Flughafengesellschaft. Für den Bau hoffe ich auf den Planfeststellungsbeschluss im Jahr 2004. Danach braucht man eine Bauzeit von 50 bis 60 Monaten.

Also bis 2010?

Das kann auch früher sein, vielleicht 2008.

Die Fusion von Berlin und Brandenburg kommt nicht voran. Ist der Traum ausgeträumt?

Der Traum ist nicht ausgeträumt. Das gemeinsame Land Berlin-Brandenburg ist eines der wichtigsten Zukunftsprojekte für die Region. Ich kämpfe dafür und bin froh, dass Ministerpräsident Platzeck gemeinsam mit mir deutlich erklärt hat, wir wollen die Volksabstimmung 2006 und das gemeinsame Land 2009. Wir haben die verbale Zustimmung aller Fraktionen in beiden Parlamenten, aber ich weiß, dass erhebliche innere Widerstände zu überwinden sind.

Was tun Sie dafür?

Platzeck und ich haben die Chefs der Senatskanzlei und der Staatskanzlei beauftragt, einen Fahrplan zu erarbeiten zu den Fragen, was wann geklärt sein muss. Es wird zum Beispiel erörtert, ob die gemeinsame Landesverfassung schon zur Volksabstimmung vorliegen muss.

Wollen Sie Oberbürgermeister der Hauptstadt werden oder lieber Ministerpräsident des neuen Landes?

Ich habe den Ehrgeiz, der letzte Regierende Bürgermeister von Berlin zu sein.

Das Gespräch führten Brigitte Grunert und Gerd Nowakowski.

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