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Berlin: Rettende Mauerstadt

Asylbewerber gab es schon immer viele in Berlin – nicht erst in der jüngeren Vergangenheit.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Fluchtpunkt Berlin. Sie kamen seit Mitte der siebziger Jahre aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus Sri Lanka, den Staaten Ex-Jugoslawiens und der zerfallenen Sowjetunion, aber auch aus Afrika oder China.

Meistens Menschen, die vor politischer Verfolgung und Kriegen flüchteten, aber auch angelockt von der trügerischen Aussicht auf ein besseres Leben. Stets waren es dieselben Probleme, mit denen die Flüchtlinge dann konfrontiert wurden: Die schwierige Suche nach menschenwürdiger Unterkunft, fehlende Betreuungs- und Schulplätze für Kinder, mangelnde ärztliche Hilfe, Bürokratie und Schikane, Kompetenzgerangel zwischen Landes- und Bezirksbehörden.

Seit mehr als drei Jahrzehnten ist das so. Wer es jetzt als spektakulär empfindet, dass Berlin in diesem Jahr 3500 neue Asylbewerber aufnimmt, sollte einen Blick in die Vergangenheit werfen. So trieb der Bürgerkrieg im Libanon seit 1976 jedes Jahr zehntausende Palästinenser und Libanesen nach Europa, vor allem in den Westteil Berlins. Die Asylanträge wurden in der Regel nicht anerkannt, doch auf Grund der Genfer Konvention wurden die Flüchtlinge geduldet. Was aber auch hieß: Sie durften nicht arbeiten, lebten in Massenunterkünften, viele Kinder gingen nicht zur Schule.

Anfang der achtziger Jahren kamen die Tamilen, die den Pogromen auf Sri Lanka entkamen. Auch sie nutzten, nach dem Flug bis Schönefeld, das Nadelöhr am S-Bahnhof Friedrichstraße, denn die DDR gewährte ungeprüft Transit. Im Westen der Stadt wurden die Asylbewerber auf Heime verteilt, nur wenige fanden, etwa als Betreuer oder Küchenhelfer für die gemeinnützigen Träger, eine Beschäftigung. 1984/85 wurden in Berlin jeweils 12 000 Flüchtlinge registriert, davon ein Drittel Tamilen. Danach stellte die DDR, in Kooperation mit der Bundesregierung und zur Erleichterung des Senats, keine Transitvisa mehr aus. Der Präsident des Roten Kreuzes, Botho Prinz von Sayn-Wittgenstein, hatte ohnehin kein Verständnis für den Zustrom aus Sri Lanka: „Warum kommen die in unser Land und holen sich Erkältungen?“

Reichlich verschnupft waren auch jene Menschen, die nach 1991 den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien entkamen. Vor allem Bosnier, Serben und Kroaten. Im März 1995 zählten die Vereinten Nationen 735 000 Flüchtlinge aus dieser geschundenen Region, davon fanden 32 000 Zuflucht in Berlin. Danach endete die große Flucht aus den Mordregionen der Welt in die deutsche Hauptstadt. Im letzten Jahrzehnt kamen nur noch einige hundert Asylbewerber jährlich nach Berlin. Jetzt, da sich die Zahl der Flüchtlinge wieder erhöht, ohne annähernd die Dimensionen früherer Zeiten zu erreichen, ist die Aufregung groß.

Die echten Dramen spielten sich aber zu ganz anderen Zeiten ab. Zum Beispiel 1983, als in der berüchtigten Abschiebehaftanstalt am Augustaplatz sechs Menschen elend verbrannten. Wenig später sprang Cemal Altun, ein nicht anerkannter türkischer Flüchtling, aus dem sechsten Stock des Verwaltungsgerichts in den Tod. Ein neuer Ausländererlass erleichterte in jenen Jahren die Ausweisung von Jugendlichen und Heranwachsenden. Asylbewerbern wurde gesetzlich verboten, eine Arbeit anzunehmen, und der Grundsatz der freien Arztwahl von manchen Heimträgern ignoriert.

Erst 1990 führte der Senat die Schulpflicht für asylsuchende und geduldete Kinder ein, das Bleiberecht wurde liberalisiert und die Härtefallkommission gegründet. Noch 1999 gab es Proteste, als die bezirklichen Sozialämter die Sozialleistungen und medizinische Betreuung für Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien zeitweise einstellten. Erst 2003 erhielten die Asylbewerber wieder Bargeld statt Sachleistungen per Chipkarte, um ihr Leben zu fristen und sie durften nach drei Monaten Aufenthalt sogar eine Wohnung anmieten. Ein zunächst erfolgreiches Projekt, das auch Kosten sparte, denn die Unterbringung in Heimen und Pensionen war für die öffentliche Hand viel teurer. Nur die städtischen Wohnungsunternehmen stellten sich quer, und seitdem der Wohnraum knapp geworden ist, geht der Trend wieder zur Heimunterbringung.

Immer noch prägt eine verwirrende Verwaltungsstruktur den Umgang mit den Flüchtlingen: Dazu gehören Ordnungsamt und Ausländerbehörde, Landesamt für Gesundheit und Soziales, dem die zentrale Aufnahmeeinrichtung und die zentrale Leistungsstelle für Asylbewerber zugeordnet sind. Außerdem die Sozial-, Gesundheits-, Jugend- und Wohnungsämter der Bezirke sowie der Integrations- und Migrationsbeauftragte des Senats sowie ein gleichnamiger Landesbeirat. Für die Einschulung der Kinder ist die Bildungsverwaltung des Senats zuständig, die Arbeitsagentur für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis und die Härtefallkommission ist Feuerwehr, wenn es um strittige Abschiebungen geht. Da greift selten ein Rädchen wie geschmiert ins andere. Ulrich Zawatka-Gerlach

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