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Stadtleben: Ganz arme Platte

Seine Heimat sind die Hochhausschluchten von Marzahn. Dort sei das Ghetto, sagt er. Joe Rilla ist der Gangsta-Rapper des Ostens

Man sieht einen bellenden Kampfhund, dann endlose Plattenbauten. Dann einen stämmigen Mann, der mit seinem bloßen Glatzkopf Rigips-Stapel zertrümmern kann. Und schließlich rappt Joe Rilla die Zeile, die alles zusammenfasst, worum es in diesem Musikvideo geht: „Ich bin der Stolz dieser Platten. Ich steh für Jungs, die nie eine faire Chance hier hatten.“

Das Video trägt den Titel „Der Osten rollt“. Auf fast fünf Minuten Länge schafft es der Rapper, kein einziges Mal zu lächeln. Die Botschaft ist klar: Deutschland hat einen weiteren, ziemlich gefährlichen Gangsta-Rapper. Aus einem Berliner Viertel, das bisher nicht als HipHop-Hochburg aufgefallen ist: Marzahn.

Wenn er über seine Musik spricht, klingt Joe Rillas Stimme angenehm freundlich, aber immer noch bestimmt. „So etwas gab es bisher nicht“, sagt er. „Ich gebe den Ostlern ihre Stimme zurück.“ Oder auch: „Ich bin die Speerspitze des ostdeutschen Raps.“ Für Pressefotos posiert Rilla vor Marzahner Plattenbauten, vorzugsweise vor solchen mit zerbrochenen Fensterscheiben. Auf seinem neuen Album „Auferstanden aus Ruinen“ rappt er über Ketwurst und Broiler, beklagt sich über Hartz IV und dass sich nicht genug um die Menschen im Osten gekümmert werde.

Eigentlich heißt er Hagen Stoll. Er ist 32, trägt Glatze und Bomberjacke. Und nein, er ist kein Nazi, darauf legt er Wert. Im Gegenteil: In seiner Jugend in Marzahn habe er oft unter Nazis leiden müssen, sei auch verprügelt worden, weil die Rechtsextremen Hip-Hop als „Negermusik“ ablehnten. Um Missverständnissen vorzubeugen, prangt auf seiner Internetseite der Slogan „Laut gegen rechts“.

Für seine Ost-Raps hat Joe Rilla in den letzten Monaten viel Zuspruch bekommen. Er hat auch eine eigene Fangruppe. Die hat er allerdings selbst gegründet. Sie heißt „Kampfgruppe Ost“, wer eintritt, bekommt Sticker und Poster zugeschickt. Übrigens werde er nicht nur im Osten geliebt, sagt Joe Rilla, sondern auch von den Menschen im Ruhrgebiet. „Die haben dort eine ähnliche Mentalität und ähnliche soziale Probleme.“

So hart, wie Rilla das Leben in Marzahn darstellt, sei es dann aber doch nicht. „Eigentlich hatte ich eine glückliche Kindheit.“ Er wohnte mit seinen Eltern im Plattenbau, im neunten Stock, mit Durchreiche. Inzwischen ist er weggezogen, er hat in Brandenburg ein Haus gebaut für sich und seine Frau und seine dreijährige Tochter. Das Grundstück sei aber bloß eine Viertelstunde von Marzahn entfernt: „Ich verbringe immer noch viel Zeit in meinem alten Kiez.“

Joe Rilla rappt schon seit 13 Jahren. Doch erst, seit er eng mit dem umstrittenen Label Aggro Berlin zusammenarbeitet und nun dort auch das neue Album veröffentlicht hat, betont er in Texten seine Ost-Herkunft. Das ist kein Zufall, sondern das Erfolgsprinzip von Aggro Berlin: Jedem Künstler des Labels wird zu Werbezwecken ein möglichst spezielles, oft provozierendes Image zugeschrieben. Da ist als erstes Sido, der Maskenmann. Dann gibt es B-Tight, der einen dunkelhäutigen US-Amerikaner zum Vater hat und sich deshalb als „der Neger“ vermarkten lässt. In der offiziellen Künstlerinfo der Plattenfirma heißt es: „Der Neger in ihm ist unter anderem der Auslöser seiner unglaublich aggressiven, blutigen Texte“. Der Deutschlibanese Tony D wird als „Vollblutaraber“ beworben. Besonders umstritten ist der Berliner Patrick Losensky, der unter dem Namen Fler auftritt und die Rolle des stolzen Deutschen übernimmt.

Jetzt also Joe Rilla, der harte Ostler aus dem Plattenbau. „Es geht hier nicht um Rollen, die wir spielen“, sagt Rilla. Die Macher von Aggro Berlin hätten „einfach das Talent, Dinge aus einem hervorzukitzeln und auf den Punkt zu bringen“. Mit dem Ost-Image ist er sehr glücklich. Und er lässt kein Klischee aus: Gerade will er sich einen alten Wartburg tieferlegen lassen. In Rapperkreisen nennt man das Aufmotzen von Autos „Pimpen“, mit einem Wartburg hat das aber noch keiner gemacht. „Wenn ich den fertig habe, bin ich der King von Marzahn.“ Immerhin lacht er dabei. Man weiß nicht, was Joe Rilla von alledem wirklich ernst meint.

In einem Punkt unterscheidet sich der Rapper ganz grundlegend von seinen Gangsta-Kollegen: Er führt keine Kleinkriege gegen andere Hip-Hopper. „Diese Fehden interessieren mich nicht.“ Auch dass Sido ihm die Textzeile „Der dicke Hagen kriegt ’n verkleinerten Magen“ widmete, nimmt er nicht übel: „Ich war ja wirklich voluminös.“ Aber jetzt macht er Fitness. Und er hat seinen alten Sport wieder aufgenommen, in dem er als 15- Jähriger DDR-Meister seiner Altersklasse wurde. Joe Rilla ist ein begnadeter Tischtennis-Spieler. Sebastian Leber

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