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Berlin: Treptow: Spaziergang im Niemandsland

Es ist fast so, als wäre nichts gewesen. Die Bouchéstraße im Norden Treptows schlängelt sich rund einen Kilometer lang von der Straße Am Treptower Park bis zum Neuköllner Schifffahrtskanal.

Es ist fast so, als wäre nichts gewesen. Die Bouchéstraße im Norden Treptows schlängelt sich rund einen Kilometer lang von der Straße Am Treptower Park bis zum Neuköllner Schifffahrtskanal. Die meisten Altbauten haben gerade eine Schönheitskur hinter sich. Es gibt es eine Fahrschule, eine Gaststätte, eine Apotheke und einen Laden für Eisenbahnfreunde. Auf den ersten Blick ein Kiez wie viele andere in der Stadt. Und doch hat die Straße seit der Wende eine Wiedergeburt erfahren. Dort, wo inzwischen die Autos der Anwohner parken, verhinderte 28 Jahre lang die Mauer ein normales Leben. An der Ecke Harzer Straße kam man nicht weiter. Ost-Berlin war zu Ende, und der Westteil fing an. Die Bewohner derselben Straße konnten sich nicht begegnen.

Für den zehnjährigen Sascha aus dieser Gegend ist das heute kaum vorstellbar. Er kennt dieses Kapitel deutscher Geschichte nur aus Erzählungen. Aber seinen Verwandten von außerhalb kann er trotzdem noch die Grenze zeigen. Denn als die Straße einen neuen Belag erhielt, wurde deren früherer Verlauf mit Kopfsteinpflaster markiert. An einigen Stellen sind Metalltafeln mit der Aufschrift "Berliner Mauer 1961-1989" eingebracht. Sonst erinnert dort kaum etwas an die Trennung. Wer aber auf die Bäume achtet, merkt, dass sie im Neuköllner Teil größer sind.

In einem sind sich Neuköllner und Treptower Nachbarn einig: Es ist lauter geworden. "Früher hat sich hierher kaum jemand verirrt", sagt Barbara Weiß. Die West-Berlinerin musste täglich den Weg an der Harzer Straße benutzen und fühlte sich dort immer sicher, erzählt sie. Einkaufen geht sie jetzt nach Treptow. Viele ältere Treptower schwärmen von ihren neuentdeckten Spazierwegen am Kiehl- und Maybachufer. Riesige Trauerweiden umsäumen den Landwehrkanal, und die kleinen Fußgängerbrücken verbreiten ein wenig den Charme des Spreewaldes. Obwohl das Wasser mehr grün als durchsichtig vor sich hin plätschert, ist die Idylle perfekt. Viele Radler sind unterwegs, und das Kindergeschrei von einem Spielplatz macht einem bewusst, dass man sich mitten in der Stadt aufhält.

Nicht weit entfernt, an der Lohmühlenstraße, ist ein neuer Park entstanden: Sozusagen im Dreiländereck, zwischen Neukölln, Kreuzberg und Treptow. Blumenrabatten wurden angelegt, Bänke aufgestellt und Kirschbäume gepflanzt. Auf einem Feldstein ist zu lesen, dass sie japanische Bürger aus Freude über die Wiedervereinigung gespendet haben. Früh drehen hier Jogger ihre Runden, und Hundebesitzer führen ihre Vierbeiner aus. "Das gab es früher nicht, das war Niemandsland", erinnert sich eine alte Dame. Mit einer Freundin trifft sie sich oft zum Plausch auf ihrer Lieblingsbank, ganz dicht am Landwehrkanal. Sie ärgert sich allerdings über die Familien, die manchmal abends dorthin zum Grillen kommen. "Das können die doch auch in Kreuzberg machen", findet sie.

Nicht so gut ist die Dame auch auf die jungen Leute zu sprechen, die seit Jahren mit ihren bunten Wagen an der Lohmühlenstraße hausen. "Die machen Dreck und verbreiten Unruhe", schimpft sie. Der Bezirk duldet die Wagenburgler aber seit Jahren.

Kaum wiederzuerkennen ist die Karl-Kunger-Straße. War sie zu Ost-Zeiten ein Insidertipp - dort bekam man Sachen, nach denen man sonst oft vergeblich suchte - stehen jetzt immer mehr Geschäfte leer. Einige sind ins "Park-Center" an die Elsenstraße gezogen, andere mussten aufgeben. "Kein Wunder, die Mieten sind viel zu hoch und entsprechen nicht dem Standort", ärgert sich eine Gewerbetreibende. Sie spricht vom "Problemkiez", der sich hier nach der Wende entwickelte.

Tatsächlich hat sich die Bevölkerung Alt-Treptows verändert. Vor der Modernisierung der Häuser sind viele Besserverdienende weggezogen. Unter den Neuen sind nun viele Sozialhilfeempfänger. Das Bezirksamt wollte das Karree im Rahmen eines Sanierungsgebietes entwickeln. "Wir hätten beispielsweise Mietobergrenzen festlegen können", sagt die Leiterin des Stadtplanungsamtes, Ingeborg Both. Doch das wurde vom Senat abgelehnt. Dennoch gilt dieses Treptower Areal als "Untersuchungsgebiet". Für einzelne Modernisierungen sind demnach auch Fördergelder geflossen.

Auch Neues entstand hier in den letzten Jahren. Moderne Wohnanlagen mit begrünten Innenhöfen wurden errichtet, und der nach einem Brandanschlag zerstörte Jugendklub "Gérard Philipe" ist längst wieder aufgebaut. Auf einem Gelände an der Jordanstraße siedelten sich kleine und mittelständische Unternehmen an, und die Bewag errichtete an der Bouchéstraße ihre Hauptniederlassung für die neuen Bundesländer und Berlin.

Einige Pläne musste der Bezirk aber auch wieder in der Schublade verschwinden lassen. So war eigentlich eine Fläche an der Wildenbruchstraße für den Bau neuer Wohnungen vorgesehen. "Aber es besteht kein Bedarf", sagt die Leiterin des Stadtplanungsamtes. Die Treptower scheinen ganz froh darüber zu sein, denn so können sie dort weiterhin ihre Hunde spazieren führen.

Steffi Bey

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