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Berlin: Wem gehört das Bad?

Wie die Polizei bei einem Routine-Einsatz am Schwimmbecken in große Schwierigkeiten geriet

Plötzlich, Anfang August ist der Sommer doch noch was geworden. Die Sonne knallt vom Himmel, es wird richtig heiß, also nichts wie raus zum Freibad. Der kleine Strolch hört nicht auf, Leute anzumachen und ins Wasser zu spucken. Die Bademeisterin sieht sich das eine Weile an, dann reicht es ihr. Dann muss der eben auch raus, wie die drei anderen Lümmel vorher.

Auch die Polizei packt die Badehose ein. Sogar im Dienst. Schwimmbadüberwachung zur Kriminalitätsbekämpfung. Standard seit anno knips. In Freibädern wird geklaut, werden andere Gäste schikaniert, Frauen und Mädchen angepöbelt oder angefasst. Auch Körperverletzung kommt vor. Testosterongesteuerte Jünglinge machen gern mal den dicken Max.

Am 5.August 2004 kommt die Polizei um ein Uhr mittags ins Sommerbad Wilmersdorf. 16 junge Männer und Frauen vom ersten Zug der 22. Einsatzhundertschaft (EHu) in Zivil, also in Badehose oder Bikini. „Ganz normal, wie eine lustige Clique.“ Sie geleiten die ersten drei Lümmel zum Ausgang, nacheinander, jeweils zu zweit. Ohne Probleme. Dann ist Ruhe. Gegen 16 Uhr schickt die Bademeisterin zum vierten Mal das Stichwort durch den Lautsprecher. Jello und ein Kollege gehen zu dem Jungen, geben sich als Polizisten zu erkennen, erklären ihm, dass er des Schwimmbads verwiesen ist, und gehen mit ihm Richtung Ausgang. Der Junge ist ruhig, „kooperativ“. Bis zum Ausgang kommen die drei dennoch nicht.

„Plötzlich waren hinter uns 20, 30 Leute“, erzählt Jello, ein schlanker, muskulöser 21-jähriger Polizeimeister. Er dreht sich um, erklärt, dieses sei ein Polizeieinsatz, der Junge habe Hausverbot und das werde gerade durchgesetzt, da kriegt er den ersten Faustschlag ins Gesicht. Die Kollegen beobachten die Szene aus gut 100 Metern Entfernung. Die Menschenmenge verdoppelt sich im Nu. „Die kamen aus allen Richtungen“, sagt die 27-jährige Polizeiobermeisterin Antschie, die sofort mit den anderen hinläuft. „Da flog schon ein Stehtisch.“ Micki, auch 27 und POM, bleibt bei den Decken und passt auf die Sachen auf, mit einem sehr unguten Gefühl. „Das sah aus, als ob das halbe Schwimmbad zusammenläuft.“ Jello verliert wertvolle Sekunden, weil er erstmal überlegt, was das geschickteste Verhalten ist. „Keine taktische Abwehrhaltung. Nicht provozieren lassen, nicht provozieren, sonst rumst es hier richtig.“ Sponge ist als Erster da. Sieht, wie Jello den zweiten Fausthieb ins Gesicht kriegt, von demselben Jüngling, der immer schnell wieder im Pulk verschwindet. Sponge, 27, Polizeiobermeister und ein kompaktes Kraftpaket, ruft: „Polizei! Das hier ist ein Polizeieinsatz. Der wird bloß rausgebracht, sonst nichts.“ Es hilft nichts, im Gegenteil. Die Menge schwillt weiter an, die Aggressivität steigt auch akustisch. Erwachsene feuern Jugendliche an, geben Kampfkommandos, Frauen und Kinder schreien: „Nazischweine, Scheißbullen!“ Der kleine Strolch geht stiften. Der Prügler taucht wieder aus dem Rudel auf und schlägt Jello zum dritten Mal die geballte Faust ins Gesicht. Kleine Jungs geiern die Polizistinnen in Bikinis an, kleine Mädchen spucken und kreischen mit: „Fotzen!“ und „Schlampen!“ Die „Rudelbildung“ ist bei etwa 150 Leuten noch nicht zu Ende. Der Lautsprecher der Bademeisterin kommt so wenig durch wie die Unterstützung der herbeieilenden Beamten. Sponge versucht, den zwei attackierten Kollegen den Rücken freizuräumen. Der kleine Hausverbotsstrolch ist jetzt egal. Sie müssen den Schläger ruhig kriegen und festnehmen. Immer wieder fischen sie ihn aus der Meute, immer wieder tritt und schlägt er um sich, ruft Fäkalbegriffe, immer wieder kann er – weil gleichzeitig etliche andere, sogar ein erwachsener Mann mit kleinem Kind auf dem Arm, an den Beamten zerren und schubsen – ihrem Kreuzfesselgriff entwischen. Nur mit gezielten Schlägen ist er zu Boden zu bringen. Sie nehmen ihn in den Schwitzkasten und bringen ihn zu den Umkleidekabinen, wo ein Raum für Festnahmen reserviert ist. Er tritt um sich wie aufgezogen.

Die Traube von jetzt etwa 200 Menschen immer hinterher. Davor, dahinter, dazwischen ein Dutzend Polizistinnen und Polizisten. Der Weg ist gut hundert Meter lang. „Es war ätzend“, sagt Antschie, „herabwürdigend, vor allem als Frau. Die haben uns nur beleidigt, verbal und mit Blicken.“ Auch Lena, die 22-jährige Polizeimeisterin kriegt die volle Kelle Frauenverachtung ab, als sich alle vor den Festnahmeraum stellen und versuchen, die Menge vom Sturm auf den Raum abzuhalten. „Du stehst da mit dem Rücken fast an der Wand, völlig ungeschützt im Bikini, und die kucken dich an, so à la: Jetzt besorgen wir dir’s richtig!“ An etwas anderes als Deeskalation ist gar nicht zu denken. Außer dem Einsatzleiter hat sowieso niemand eine Waffe dabei, und der nimmt seine auch nur zur Abschreckung in die „entschlossene Sicherungshaltung“. Sie müssen Zeit gewinnen, bis Unterstützung da ist. „Ehrlich gesagt, ich hab auf den warmen Messerstich gewartet“, sagt Lena. Antschie, „schon ein paar Tage länger dabei“, rekapituliert zum x-ten Mal Manöverkritik. „Es war ein Moment, der zog sich wie Kaugummi. Aber wir haben uns nicht provozieren lassen. Wir haben keinen geschlagen. Wir haben uns deeskalierend verhalten. Und es war superschwer, da den Überblick zu behalten, was unser Gegenüber an Straftaten begeht und was die Kollegen so machen.“

Auch für Jello im Raum mit dem Festgenommenen ist die Lage brenzlig. „Ich dachte: Hier kommste nicht raus, theoretisch können die uns plattmachen.“ Er erinnert sich an ein „Gefühl der Hilflosigkeit“. Ja, auch Angst. „Da kann man nur Angst haben, bei so einer zahlenmäßigen Überlegenheit!“ Als die uniformierte Verstärkung eintrifft, ist die Menschenmenge blitzschnell zerstoben. Ein paar hauen über die Zäune ab, andere hechten zurück auf ihre Decken und tun, als wäre nichts gewesen. Zehn werden im Schwimmbad wiedererkannt, sechs außerhalb. Sie werden wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung und Landfriedensbruch festgenommen, erkennungsdienstlich behandelt und freigelassen. Alle haben arabische, türkische, kurdische Namen. Manche sind polizeibekannt. Die eine Hälfte ist über 18, die andere 15, 16 Jahre alt, der Hauptschläger ist 16 und Gymnasiast. Ältere sind im Libanon geboren, Jüngere in Deutschland. Schimpfwörterdeutsch beherrschten alle. Die dritte Einwanderergeneration.

Was war das Ganze? Eine neue Eskalationsstufe in Sachen „gewalttätige ausländische Jugendliche“, wie manche Medien mutmaßten? „Nein“, sagt Sicherheitschef Heidel von den Berliner Bäderbetrieben (BBB). „Die Zahl solcher Vorfälle hat sich nicht erhöht.“ Krawall in Freibädern haben schon „Halbstarke“ gemacht, vor einiger Zeit versuchten immer mal wieder „Autonome“, das Prinzenbad hops zu nehmen. Die BBB gehörten dem Land Berlin. Von den 26 Freibädern, die zwischen April und September geöffnet sind, werden 17 von Mitarbeitern privater Sicherheitsdienste überwacht. Flexibel einsetzbar, je nach Wetterlage, allein oder zu zweit, auch mal zu viert, oft mit Hund, immer mit dem Wort „Sicherheit“ auf dem Rücken. Zusätzlich ab 30 Grad Hitze mobile Schutzgruppen (MSG), die zu viert mit Hunden die unruhigsten Bäder abfahren. „Die Zusammenarbeit mit der Polizei klappt hervorragend“, sagt Heidel. Im letzten April gab es eine gemeinsame Plakataktion, mit der Besucher daran erinnert wurden, Wertsachen lieber zu Hause zu lassen. Die BBB würden das gern berlinweit ausdehnen und hofft für 2005 auf Unterstützung durch die Polizeiführung. Präsenz zeigen sei das effektivste Mittel. „Allein der Einsatz von Sicherheitspersonal kostet jährlich eine Summe im höheren sechsstelligen Bereich.“ Dazu kommt Kameraüberwachung. Neue Anlagen werden erst installiert, wenn der Datenschutzbeauftragte sie „abgenommen“ hat.

Präsenz zwecks Abschreckung praktiziert auch die Polizei. Vor allem außerhalb der Badeanstalten, wo Fahrräder gestohlen werden oder Platzhirsche versuchen, sich „ihren“ Autoparkplatz mittels Nötigung zu sichern. Auch für die Polizei sind Schwimmbäder kein neues Konfliktfeld. Sie gehören zur allgemeinen Kriminalitätslage einer Millionenstadt so wie öffentliche Orte und öffentliche Verkehrsmittel. Auch öffentliche Bäder sind, wie Sicherheitschef Heidel sagt, „quasi ein Querschnitt durch die Berliner Bevölkerung“.

Mit allen Konfliktfeldern haben die jungen Beamten der geschlossenen Einheiten der zwei Berliner Bereitschaftspolizeiabteilungen (BPA) regulär zu tun. Sie sind keineswegs die Jungs fürs Grobe, die bloß auf Demos brüllen und prügeln können. Erstens gehören mittlerweile fast 14 Prozent Frauen dazu, zweitens sind ihre Aufgaben so breit gefächert, dass sie von Dumpfbacken gar nicht zu bewältigen wären. Die zehn EHus sichern nicht nur Staatsbesucher und Hollywoodstars, Konferenzen, Bannmeilen, Volksfeste, Sportveranstaltungen und Konzerte aller Art, sondern auch Schulwege, Geld-Transporte, Fußgänger gegen Radfahrer und den Autoverkehr gegen Raser, Farbenblinde und Handy-Besessene. Sie unterstützen die verschiedensten Kripo-Bereiche bei Einsätzen, überwachen kriminelle Brennpunkte, haben eigene Aufklärungs-, Fernmelde- und BeDo-Trupps (Beweissicherung und Dokumentation), eigene Zivilstreifen, eigene Sanitäter, Arbeitsgruppen gegen häusliche Gewalt und Umweltdelikte, Computerspezialisten für Internet-Cafés und vieles andere mehr. Sie sind ständig berlinweit unterwegs, auch wenn jede BPA ihre „Patendirektionen“ hat. Alle Sachgebiete erfordern spezielle rechtliche Kenntnisse, alle Einsätze taktisches, logistisches und organisatorisches Knowhow. Auch die kleinste Schwimmbadüberwachung wird vorbereitet und nachbereitet. Was war richtig? Was hätten wir besser machen können? „Ständig neue Qualifikationen, Transparenz, motivierende Herausforderungen sind ein Exorzismus für den unseligen alten Korpsgeist“, sagt Axel Last, Erster Polizeihauptkommissar und Leiter der 22. EHu. Auch er hatte ihn noch erwartet, als er vor zwei Jahren den Dienst als Leiter beim Spezialeinsatzkommando gegen den in der Bereitschaftspolizei tauschte. „Der Korpsgeist ist weg, das ist eine neue Generation.“ Die Jungen meinen etwas anderes, wenn sie immer wieder fassungslos die „Respektlosigkeit ohne Ende“ schildern, die ihnen von den Kids im Sommerbad Wilmersdorf entgegenschlug. Ihr Gefühl für Respekt leitet sich eher vom englischen „respect“ und „disrespect“ ab. „Don’t dis me!“, ist ein Slogan der Jugendkultur. Auch Simon, der 30-jährige Polizeioberkommissar, wertet den Gewaltausbruch vom 5. August in diesem Rahmen. „Da haben ein paar Leute zuviel Boyz ’n the Hood gesehen und denken, hier ist South Central, L.A., und sie können ihre eigenen Regeln machen.“

Hans-Joachim Sell, Regionalleiter der BBB für Spandau, Charlottenburg und Wilmersdorf, hat eine andere Erklärung aus langer Erfahrung. Das Biotop Freibad muss sich jedes Jahr neu sozial feinjustieren. „Unser Personal kommt aus verschiedenen Hallenbädern und muss sich einspielen, untereinander, mit den Sicherheitsleuten und mit den Besuchern.“ Wo sind kritische Grüppchen, wer hat da das Sagen? „Das braucht immer ein paar Wochen. Aber die gab es im Sommer 2004 nicht.“ Der fing erst im August überhaupt an und ging sofort „von Null auf Hundert, ohne Vortraining waren die Bäder voll. Und wenn’s dann noch so heiß ist, springt der Zündfunke schneller mal über“.

Ein Einzelfall also? Jello ist skeptisch. Auch andere Kollegen haben den Eindruck, es ist rauer und roher geworden. Jello hat die schwersten Verletzungen von allen abgekriegt. Beulen an beiden Augen und am Kopf, Rippen- und Lendenwirbelprellungen, Schürfwunden am ganzen Körper. Er war vier Wochen krankgeschrieben, und ein Fuß und eine Schulter sind immer noch nicht heil. Er hat aber noch ein anderes Problem: Einen Prozess wegen „Körperverletzung im Amt, Beleidigung, Nötigung und unterlassener Hilfeleistung“. Der 16-jährige Schläger, der trotz mehrmaliger Fragen im Freibad keinen Arzt sehen wollte, hat ihm den eingetütet. „Kommt mir vor wie eine Retourkutsche“, sagt Jello. „Als müsste er den Gymnasiasten raushängen lassen.“

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