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Seitenlage. Der Untergang der Costa Concordia.

© dpa

Untergang der Costa Concordia: Wie ein zweiter Geburtstag

Ein Jahr danach erinnert sich eine Berliner Überlebende des Schiffsunglücks vor der italienischen Insel Giglio. Und gedenkt der 32 Passagiere, die auf dem Kreuzfahrtschiff starben.

Bei den Sechzehntelnoten wird ihre Hand vielleicht zittern. Aber heute könnte eigentlich ein Tag wie jeder andere sein. Monika Lentfer wird wie an vielen Abenden mit ihrem Cello im Orchestergraben der Komischen Oper sitzen und „La Traviata“ spielen. Aber der heutige Sonntag ist ein besonderer Jahrestag für die 57-Jährige Musikerin: „Der 13. Januar wird jetzt immer eine große Rolle für mich spielen. Er ist doch für jeden von uns Überlebenden wie ein zweiter Geburtstag. Wir werden an die 32 Menschen denken, die an Bord geblieben haben.“ Und nach der Vorstellung wird sie mit ihrem Mann auf ihre „Wiedergeburt“ anstoßen. Der 13. Januar 2012 hat ihr Leben verändert. Vor genau einem Jahr überlebten die Hellersdorferin und ihr Mann den Untergang des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia vor der italienischen Insel Giglio – ebenso wie mindestens sechs weitere Berliner. Ein älteres Paar aus Adlershof, beide gehbehindert, gehörten zu den 32 Passagiere, die dabei starben.

Überlebende. Cellistin Monika Lentfer war vor einem Jahr auf der Costa Concordia

© Doris Spiekermann-Klaas

Mag man nach einem Jahr und unzähligen Zeitungsberichten überhaupt noch darüber reden? Ja, sagt Monika Lentfer. „Es tut eigentlich ganz gut noch mal davon zu erzählen, jetzt wo ich die Erlebnisse verarbeitet habe.“ Und dann spricht sie ganz unbefangen von jenem Abend. Vom Balkon ihrer Kabine auf Deck sechs sahen sie wie die Costa Concordia den Felsen rammte, direkt unter ihnen. „Das Geräusch, als das Schiff am Stein vorbeischrammte, werde ich nie vergessen“, sagt Monika Lentfer. Ebenso wenig die folgenden Stunden: „Zuerst habe ich die Nerven behalten, ich bin ja ein sehr rationaler Typ.“ Doch dann bekam sie die Anweisung, sich auf die andere Seite des Schiffs zu begeben, das da schon fast auf der Seite lag. Sie sollten von der oberen Reling, die in die Luft zeigte, zur unteren, die fast im Wasser zu gelangen, weil nur dort Rettungsinsel zu Wasser gelassen werden konnten. „Das war eine 60-Grad-Schräge, die wir runter mussten. Erst hing ich am Hosenboden meines Mannes, dann er an meiner Hand. Wir schlidderten da runter und mein Handgelenk brach.“ Da geschah es: „Das Erschreckende war, dass mein Intellekt auf einen Schlag weg war. Dass mein Mann und ich überlebten, war plötzlich das einzige, was noch wichtig war. Alle anderen Menschen waren mir egal und ich habe mir mit den Ellenbogen einen Weg gebahnt.“ Das Erlebnis veränderte ihr Bild von sich selbst. Und es schweißte das Paar enger zusammen. „Wir haben am eigenen Leib gespürt. wie schnell das Leben vorbei sein kann. Deshalb haben wir schneller geheiratet, als wir es sonst getan hätten.“ Ende Mai war die Hochzeit, nach eineinhalb Jahren Beziehung.

Es könnte alles so schön sein, wenn da nicht der Nagel in ihrem Handgelenk wäre, das sich beim Unglück gebrochen hat. Die Cellistin zeigt die lange Narbe unter ihrer Uhr: „Das ist meine Bogenhand. Ich bin immer noch in ärztlicher Behandlung.“ Zwar spielt sie wieder im Orchester – aber ihre Feinmotorik wird wohl für immer eingeschränkt bleiben. „Ich habe jetzt ein Problem, bei langen schnellen Sechzehntel-Ketten.“ Auch in „La Traviata“, der Oper, die sie heute abend spielt, kommen solche Ketten vor. Manchmal fängt ihre Hand dann an zu zittern, sie muss einige Takte aussetzen. „Ich habe vor jedem Auftritt Sorge, zu versagen. Das ist schon eine Belastung.“ Als Solistin Bachkantaten spielen wie früherm – das geht nicht mehr. Sie hat aber eine Entschädigung bekommen, die sie als „angemessen“ empfindet. Psychisch, sagt sie, habe sie keinen Schaden zurückbehalten. Sie und ihr Mann haben sogar gleich wieder eine Kreuzfahrt gemacht: Im vergangenen November ging es in fünf Tagen über den Atlantik von Genua nach Miami. „Das ist nun mal die Art Urlaub, die wir lieben“ – selbst als sie eins Abends tief unten im Schiffsbauch war und das genau das gleiche schreckliche Geräusch hörte, dass sie schon kannte: Das Schiff hatte etwas gerammt. „Wahrscheinlich war es nur ein Stück Holz. Mir ging es durch und durch. Ich dachte: nicht schon wieder!“ Nach wenigen Minuten war aber klar, dass nichts Schlimmes geschehen war – anders als vor Giglio.

„Ich denke vor allem oft an den Geiger, der auf der Kreuzfahrt jeden Abend im Trio mit Kontrabass und Klavier ein Konzert gab“, sagt die Cellistin. Sie hatte sich öfter mit ihm unterhalten und ihm jeden Abend zugehört. Zuletzt sah sie ihn, kurz bevor sie die 60-Grad-Schräge in Richtugn Rettungsinsel hinunterrutschte. „Später hab ich erfahren, dass er zu den Opfern gehörte.“ Es hätte auch ihr Schicksal sein können.

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