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© imago images / United Archives

Eine Liebe, viele Formen: Warum gibt es eigentlich so viele Sorten Pasta?

Fäden, Röhren, Kringel, Spriralen, Körner, Ohren... rund 350 Varianten ihrer liebsten Teigwaren kennen die Italiener. Und noch viel mehr Wörter für sie. Zwei Experten klären auf.

Von Felix Denk

Neulich hatte ein Amerikaner so eine Idee. Warum nicht eine neue Pastasorte erfinden? Eine, die alles kann: Die Sauce perfekt aufnehmen, einen optimalen Biss bieten und dann noch einfach mit der Gabel zu essen sein. Nach profunden Recherchen kam Dan Pashman mit den Cascatelli um die Ecke, eine kurze, kringelige Form, die vage an einen Wasserfall erinnert. Weil Pashman ein berühmter Food-Podcaster ist, war die erste Lieferung, die er produzierte, sofort ausverkauft. Das beweist erst mal eins: Nudeln kann es nie genug geben.

Dabei existieren ja schon einige. In Italien zählt man rund 350 verschiedene Pastasorten – und mehr als 1000 Namen für sie. So steht es jedenfalls in der „Encyclopaedia of Pasta“, dem ehrgeizigsten Kompendium zum ausufernden Thema. Was die Sache nicht übersichtlicher macht. Manchmal wechseln die Bezeichnungen von Dorf zu Dorf. In der Renaissance-Perle Urbino mit ihrem stolzen Dom nimmt man zum klassischen Ragù ausschließlich Strozzapreti, etwas südlicher in den Marken sind es Strangolapreti, in Spoleto in Umbrien dann Strangozzi, weiter entlang der Adria wiederum gelten Stringozzi als die einzigen Nudeln, die für jene Fleischsauce in Frage kommen, die die Welt Bolognese nennt und gemeinhin mit Spaghetti kombiniert. Nur halt nicht die Italiener.

Simone Cinotto lehrt Neueste Geschichte an der Slow Food Universität in Pollenzo und warnt davor, glutenfreies Mehl für Ravioli zu verwenden.

© Simone Cinotto

„Wir sind ziemlich hardcore, wenn es um regionale Traditionen geht“, sagt Simone Cinotto, der an der Slow-Food-Universität in Pollenzo Geschichte unterrichtet. Und das ist auch schon ein wichtiger Grund, warum aus einem einfachen Produkt wie einer Nudel solch eine endlose Vielfalt an Formen entstehen konnte.

Über die Explosion an Sorten kann man ganz unterschiedlich nachdenken. Simone Cinotto, dicke Brille, lange Haare, leidenschaftlicher Erzähler, fängt ganz grundsätzlich an. Pasta sei eine große und sehr alte Familie, erklärt der Professore. Man unterscheide zwischen frischer und getrockneter Pasta. Erstere gibt es auf der ganzen Welt. Man braucht Mehl, Wasser, vielleicht Eier, die garantieren mehr Protein und Haftung. Den Teig kann man kneten, ausrollen, schneiden, formen, wie man will. Das kann jeder und man braucht nur die Hände, keine Maschine. „Man kann aus ganz wenig etwas Besonderes schaffen.“

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Das Problem ist, diese Pasta hält nicht lange, sie bricht, sie schimmelt. Dafür kann man jedes Mehl verwenden – fast jedes. „Ich habe gerade versucht, Ravioli mit glutenfreiem Mehl zu machen. Keine gute Idee. Bitte probieren Sie das nicht“, sagt Cinotto. Getrocknete Pasta dagegen verlangt nach Hartweizenmehl. Die hat viel mehr Gluten, ist entsprechend stabiler, dafür aber auch schwerer zu verarbeiten. Man braucht dafür eine Maschine. Einmal getrocknet, ist sie dafür praktisch unverwüstlich. „Aus dieser Pasta kann man ein Geschäftsmodell machen, man kann sie über weite Distanzen transportieren.“

Marco Polo spielt in dieser Geschichte keine Rolle

Diese Variante wurde wohl von den Arabern in die italienische Küche gebracht. Jedenfalls gab es im 12. Jahrhundert in Sizilien bereits Pasta-Manufakturen. Bald darauf entwickelte sich Neapel zum wichtigen Produktionsstandort, danach Genua. Und, nein, Marco Polo spielt in dieser Geschichte keine Rolle, dafür eine technische Erfindung: Die schraubengetriebene Pastapresse, die im 17. Jahrhundert in Neapel auftaucht. Vor den Toren der Stadt, wo einst Mühlen waren, entstand jetzt die Vorstufe der heutigen Pastaindustrie. In rund 30 verschiedene Formen wurde der Teig durch Lochplatten gepresst, etwa als Trenette, eine Art Spaghetti mit ovalem Durchmesser, oder als Stellette, kleine, flache, sechsstrahlige Sterne. „Oft wurden Formen, die vorher mit der Hand hergestellt wurden, nun mit den Maschinen gemacht“, sagt Cinotto. Manchmal wurden auch neue erfunden.

Und noch etwas veränderte sich. Pasta wurde ein Gericht für die breite Masse, denn sie wurde billiger. Die Vielfalt der Formen ist ein Stück Technikgeschichte, vor allem aber ein Nebenprodukt der Migrationsgeschichte. Als Millionen Italiener um 1900 nach Übersee auswanderten, hatten sie Pasta im Gepäck. Die Nachfrage wuchs, die Industrie ebenso, Pasta wurde ein globales Gericht. Und auf dem großen Markt entstanden neue, verrückte Vertriebsideen. „Die Pastapackung, in der nur eine Sorte ist, wurde in den 1930er Jahren erfunden“, erzählt Cinotto. Und zwar in den USA. Seine Oma sei immer mit einer dunkelblauen Tüte vom Einkaufen gekommen, in der verschiedene Sorten gemischt waren, die im Laden lose verkauft wurden. Manche Gerichte, wie die neapolitanischen Pasta Fagioli, die sieben verschiedene Formen verlangten, erinnern noch an diese Zeit.

Total exotisch: Spaghetti mit Tomatensauce

Die Expats in der Neuen Welt waren, was den kulinarischen Horizont anging, teilweise weiter als ihre Landsleute in der Heimat. Als in den Fünfzigern viele aus dem agrargeprägten Süden in den industrialisierten Norden zogen, blieben sie ihren Essgewohnheiten treu. „Campanilismo“ nennt man das Phänomen. Ein Lokalpatriotismus, der auch in der Ferne seine Kraft nicht verliert. Spaghetti mit Tomatensauce, heute das Nationalgericht, war für die meisten Norditaliener exotisch und manchen ziemlich suspekt. Pizza übrigens auch. Beides brachten die Neuankömmlinge mit.

Luca Cesari hat ein Buch über die Geschichte der Pasta in zehn Gerichten geschrieben. Für eine Carbonara kommen nur Hartweizen-Spaghetti oder Rigatoni in Frage.

© Gianluca Simoni

Überhaupt: die Saucen. An dieser Stelle müssen wir Luca Cesari zu Rate ziehen. Er hat ein Buch über Spaghetti Carbonara geschrieben und eines über die Geschichte der italienischen Pasta in zehn Gerichten, das im November auf Deutsch erscheint (Harper & Collins). Natürlich passen manche Saucen besser zu manchen Formen, sagt Cesari, geschwungener Bart, begeisterter Koch, profunder Kenner der italienischen gastronomischen Literatur. Manches ist aber auch einfach Zufall. Oder schlicht unverhandelbare Tradition. Die ringförmigen Anelli werden etwa ausschließlich für einen sizilianischen Auflauf verwendet, die röhrenförmigen Ziti, die man vor dem Kochen in der Mitte bricht, wiederum gibt es nur für Ragù genovese, ein kampanisches Kalbsragout, das langsam mit Tropea-Zwiebeln geschmort wird. Dosenthunfisch kombiniert man mit Fussili. Ein ungeschriebener, manchmal mysteriöser Code, der aber wirkungsmächtig ist. „Die traditionellen Gerichte multiplizierten auch die Formen. Bis zum Ersten Weltkrieg standen in den Kochbüchern nur drei, vier Sorten getrocknete Pasta.“

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Neue Formen tauchen auch heute immer wieder in den Supermarktregalen auf: Rotelle, die wie Wagenräder, Radiatori, die wie Heizkörper aussehen. Andere, ländlich geprägte geraten in Vergessenheit, weil die Industrie sie nicht herstellt. Wie es wohl den Cascatelli von US-Blogger Dan Pashman ergehen wird? „Ich denke nicht, dass die in Italien mit großem Zuspruch rechnen können, falls sie je hier ankommen“, vermutet Luca Cesari. Ihnen fehle das gewisse Etwas, dass das Charisma der italienischen Küche ausmacht, die poetische Verbindung von Ort und Identität. Essen bedeutet in Italien immer ein Stück Heimat.


Hier gibt es handgemachte frische Pasta in Berlin

Pasta-Werk

Melanie Fischer bereitet täglich die Teige zu aus Weizen-, Dinkel- oder Buchweizenmehl, jeweils mit oder ohne Ei. Was nicht zu kleinen und größeren Ravioli wird und gefüllt werden muss, bringt sie erst nach eingehender Bestellung frisch in Form. Hohe Pastakunst, außergewöhnlich in Qualität und Handwerk, dazu ausgesuchte Pesto-Rezepte und Saucen aus Italien.
Schöneberg, Bülowstr. 50

Pasta d'Abruzzo

Seit mehr als zehn Jahren bietet die traditionelle Pastamanufaktur präzises Handwerk bei klassischen Ravioli und unterschiedlichen Bandnudelsorten. Dazu sehr gute Saucen aus vorwiegend italienischen Zutaten und meist dienstags backfertige Lasagne zum Mitnehmen, donnerstags Gnocchi und nach Vorbestellung auch Maultaschenteig und vegane oder glutenfreie Bandnudeln.
Tiergarten, Alt Moabit 78

Il Mattarello

Nachfolger von „Pastificio Tosatti“. Im winzigen Laden wird mit Hingabe und Können Pasta noch mit der Hand in Kleinstmengen frisch zubereitet, dazu gibt’s ziemlich gute Saucen im Glas. Leider sind die Nudeln zum Mitnehmen immer schnell vergriffen, vor Ort kann aber probiert werden. Mehr als beim Vorbesitzer steht bei ihm aktuellen Betreiber der Restaurantbetrieb im Vordergrund, der unter Pasta-Kennern noch als Geheimtipp gehandelt wird. Prenzlauer Berg, Schliemannstr. 14a

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Luisa Kocht

Luisa Giannitti stammt aus Neapel und versammelt mit Kompetenz und Leidenschaft in ihrem Feinkostgeschäft ausgesuchte Produkte ihrer Heimat von Wurst, Käse, Antipasti bis Wein, Trüffel, frischem Obst und Gemüse. Dass sie mediterrane Genusskultur nicht nur kuratieren, sondern sie auch selbst herstellen kann, zeigt sie bei der frischen Pasta und bei Ravioli, aber auch bei ihrem Pizzateig zum Selberbacken und den Focacce.
Prenzlauer Berg, Danziger Str. 49

Pasta e Più

2004 gründeten Mitra und Reza Mohammadi diese Pastamanufaktur, die inzwischen auf vielen Wochenmärkten vertreten ist mit ihrem großen Sortiment aus Bandnudeln, klassischen, aber auch innovativ gefüllten Ravioli und farbigen Gnocci. verschiedene Märkte, u.a. Winterfeldtplatz, Maybachufer und Boxhagener Platz

Mani in Pasta

Die süditalienischen Pasta-Experten bereiten sehr erfolgreich einfache Tellergerichte an ihrem Stand in der Markthalle IX zu. Man kann die wechselnden Sorten – alle aus Bio-Zutaten –, die sie hinter Glas appetitlich frisch aus den Maschinen holen, aber auch ungekocht mitnehmen. Wer nach weiteren Rezeptideen für die Nudelvielfalt sucht, wird auf der Seite maniinpasta.de fündig und wer keine Lust zum Kochen hat, besucht das Restaurant in der Reichenberger Straße 125.
Kreuzberg, Markthalle IX, Eisenbahnstr. 42/43

Nudel & Co.

Relativ große Pastamanufaktur im Havelland, die neben täglich frisch gefertigten Bandnudeln mit Bio-Eiern aus der Uckermark auch unterschiedlich gefüllte Ravioli, die größeren Tortellacci, Gnocchi, Schupfnudeln, Maultaschen, Knödel und die gefüllten Pfannkuchen, Crespelle, im Sortiment führt. Über das wechselnde Angebot kann man sich unter nudelundco.eu informieren. Freitags Direktverkauf ab Werk in Dallgow-Döberitz, Seegefelderstr. 6c. verschiedene Märkte, unter anderem Wittenbergplatz, Karl-August- und Kollwitzmarkt, Rüdesheimer Platz

Zusammengestellt von Kai Röger

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