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Tom Buhrow

© ddp

Karneval: Kampf um Kamelle

Auch ein seriöser Tagesthemen-Moderator dreht mal durch. Tom Buhrow passiert das stets im Karneval. Dieses Jahr wirft er mit Bonbons um sich. Eine Lebensbeichte.

Caren Miosga und ich haben den Moderationsplan extra so gestaltet, dass ich Rosenmontag in Köln dabei sein kann. Dieses Jahr – das ist die höchste Ehre, die mir als Kölschem Jung zuteilwerden kann! – fahre ich nämlich selber auf einem Wagen vom Festkomitee mit. Die sind immer am Ende vom Zug, das Finale.

Das fängt erst mal mit einem Frühstück an, die wollen ja nicht, dass man mit den Zähnen klappert oder umfällt. Das haben sie mir schon gesagt: Man muss eine Menge Kondition mitbringen. Man kann auf dem Wagen nicht, wenn einem kalt ist, Kaffee trinken; oder Kölsch, wenn man Durst hat. Ich komme ja vier, fünf Stunden nicht auf die Toilette. Da muss man durchhalten.

Das Kostüm kriege ich gestellt, eine Art Marquis-Uniform mit Hut. Wie viel Kilo Kamelle ich schmeiße, weiß ich noch nicht, ist ja das erste Mal. Da werden Säcke hingestellt und man bedient sich. Mir wurde gesagt, ich muss mich nur um die gute Laune kümmern – und dass die Leute genug abkriegen. Wie man das einteilt, da werde ich gucken. Es sollen am Ende nicht noch wahnsinnig viele Bonbons übrig sein, aber ich will auch nicht in der Mitte schon alle weggeschmissen haben. Das kenne ich aus meiner Kindheit: Am Ende vom Zug sah’s mau aus.

Ich bin im Schatten des Doms groß geworden, in Siegburg, 30 Kilometer von Köln entfernt. Da gab’s natürlich auch einen Karnevalszug. Als Kind konnte man da nach vorne kommen, die Erwachsenen haben einen durchgelassen, man hat Kamelle gesammelt und ist zwischendurch nach hinten, hat die bei den Eltern abgeliefert. Das war ja schon in meiner Kindheit so, dass reichlich geschmissen wurde.

Ich habe mich oft als Cowboy verkleidet. Das war praktisch, man konnte den Cowboyhut hochhalten, und die Sachen sind reingeprasselt. Das lernt jedes Kind im Rheinland: die besten Techniken, Bonbons aufzufangen. Die Erwachsenen nehmen schon mal Schirme und drehen die um, aber das ist nicht ganz nett, weil man damit anderen die Sicht versperrt. Das kann man machen, wenn man irgendwo in einer Wohnung im Fenster hängt. Hut war immer gut, besonders ein Chinesenhut, weil der so trichterförmig ist. Wenn die Bonbons auf den Rand vom Cowboyhut geprallt sind, fielen sie gleich auf die Erde. Das ist eine richtige Schlacht, man bückt sich und grabscht, grabscht, grabscht – aber das ist nicht ohne da unten. Der Zug geht ja weiter, die Erwachsenen gucken alle nach oben, keiner nach unten. Man muss aufpassen, sich aber gleichzeitig durchsetzen im darwinistischen Kampf um die Bonbons. Bei dem war ich immer irgendwo in der Mitte. Ich bin nicht der rücksichtsloseste Typ, aber ich war schon auch nicht ungeschickt.

Man sammelt natürlich erst mal Masse, klarer Fall. Aber wenn der Beutel prallvoll war, haben wir auch welche liegengelassen. Es gab nämlich billige Bonbons, das sah man auch gleich, billige Importware, dann wurde gemixt. Die Zuckerbonbons in diesen weißen Papierchen, die mochten wir nicht, die klebrigen Kaubonbons waren viel beliebter.

Ab und zu kam ’ne „Strüssjer“, wie wir sagen, das war für die Frauen das Größte, uns hat das nicht so interessiert: ein Sträußchen Blumen. Manchmal auch, das war der große Preis, eine Pralinenschachtel, eine Tafel Schokolade oder ein Riegel mit Puffreis – die fliegen heute, wo der Wohlstand gewachsen ist, viel häufiger.

Ein paar Wochen konnte ich immer zehren von dem, was ich geschnappt hatte. Aber irgendwann hatte man auch keine Lust mehr, dann waren nur noch die billigen Bonbons übrig. Meine Töchter, die sind jetzt elf und 13 Jahre alt, fangen am Rosenmontag so viel Zeugs, dass wir fast bis zum Sommer was davon haben. Wir portionieren das, sonst wären die nur noch im Zuckerrausch. Dabei schmeißen wir schon heimlich Bonbons weg oder geben sie weiter. Aber sie haben auch Glück, sie konnten immer mit mir auf die WDR-Tribüne, das ist ein Logenplatz.

Der Rosenmontagszug ist nämlich so voll, da kommen ungefähr eine Million Menschen, da haben die Kinder keine Chance vorzudringen. Bei Kölner Familien sind deshalb die Scholl- und Veedelszöch viel beliebter, die gehen durch die ganze Stadt, werden aber nicht von den großen Karnevalsvereinen mit Wagen bestückt, sondern von Schulen und Stadtteilen, das ist mehr so wie in meiner Kindheit. Viele kommen mit Bollerwagen, da sind Frikadellen und Käse und Kölsch drin, man trifft sich mit Nachbarn und Freunden, zieht durch die Kneipen. Das hat was ganz ganz Nettes, Unkompliziertes, da erzählt man ein bisschen und macht Witzchen. Das ist ja das Schöne am Karneval, dass man sich nicht Gedanken machen muss: Wie sieht man aus, was stellt man dar – man feiert einfach.

Als ich noch Korrespondent war, sind wir, so oft es ging, zum Karneval an den Rhein, vor allem aus Paris. Wenn ich dann mal nach Köln musste, weil ich was im Sender zu tun hatte, haben die Kinder gesagt, das ist gemein! Wir wollen auch Karneval feiern! Die dachten, da ist immer Karneval, sie kannten Köln nur aus dieser Zeit.

In Washington im Studio sind 90 Prozent der Leute vom WDR, darunter war auch ein richtiger Karnevalist. Der hat am 11.11. bei uns im Studio den Karneval eingeläutet: hat die Beschallungsanlage aufgebaut und Karnevalsmusik mitgebracht und dekoriert – und wir sind alle verkleidet gekommen und haben gefeiert. Die amerikanischen Kollegen dachten, das gibt’s doch nicht! Die hatten ja ein ganz anderes Bild von Deutschland, sehr zugeknöpft. Die waren von den Socken. Dazu gab’s Frikadellen und Berliner, ich weiß gar nicht, wo die herkamen, und Kölsch – da hatten wir eine Connection. Das war schon was Besonderes.

In Paris klingelte es einmal an meinem Geburtstag an der Tür, da standen Freunde aus Köln davor, die hatten ein Pittermännchen mit, so ein kleines Fässchen Kölsch, und Kartoffeln, die haben sie mit der Hand gerieben und mir Reibekuchen zum Geburtstag gebraten. Die sind ja auch beim Karneval toll, man findet sie nur nicht überall.

Es gab eine Zeit, da bin ich dem Karneval entflohen, man dachte, das ist spießig, so auf Knopfdruck fröhlich. Da hatte ich auch das Gefühl, da hab ich jetzt nichts mit zu tun, und bin in die Berge gefahren. Aber dann kam ’ne Wende, Anfang der 90er Jahre. Da gab’s zwei Jahre hintereinander keinen Zug, einmal wegen des Golfkriegs, das andere mal wegen heftiger Stürme. Und danach war da dieses Gefühl, dass Karneval wieder Volkskarneval für alle war. Die alternativen, anarchistischeren „Stunksitzungen“ hatten die ganze Zeit schon dafür gesorgt – aber erst Anfang der 90er Jahre war da dieses allgemeine Gefühl: Alles ist Köln, und alles ist prima!

Das ist auch das ganze Geheimnis. Das Getrommel, diese Rhythmen, die Atmosphäre, das Maskiertsein, das Kölsch, das sorgt dafür, dass man die Individualität aufgibt, um es mal ein bisschen akademisch auszudrücken. Straßenkarneval ist zum Mitmachen, nicht wie Sitzungskarneval, wo man sich was anhört. Auf der Straße redet man mit Wildfremden und Freunden, man geht in der Masse auf. Das muss man allerdings wollen und sich dem hingeben. Das ist ein einziges Wogen und Toben. Ich bin einmal mit Freunden so von Kneipe zu Kneipe gezogen, die sind alle brechend voll, die Karnevalsmusik ist laut, man bewegt sich nicht von der Stelle, kann man auch nicht, nicht mal umfallen, man steht da eingeklemmt. Und nach ein paar Stunden haben wir gesagt, so, jetzt können wir eigentlich weiter – wobei es überall dasselbe ist –, und da sagte der Mann neben mir: „Wullt ihr at jonn? War doch su schön med üsch!“ – „Wollt ihr schon gehen? War doch so nett mit euch!“ Ich hatte kein einziges Wort mit dem gewechselt, kein einziges Wort, man hat nur Karnevalslieder gesungen und dagestanden, Schulter an Schulter. Aber man fühlt sich als Teil der Gemeinschaft.

Von Aschermittwoch bis Ostern versuche ich dann zu fasten. Letztes Jahr bin ich schwach geworden, aber ich nehm mir das immer wieder vor. Jedes Mal was anderes. Letztes Jahr habe ich keine Süßigkeiten gegessen, oft trinke ich keinen Alkohol. Das ist keine schlechte Übung, man lebt ein bisschen bewusster, wenn man mal auf was verzichtet, egal was. Man könnte sich ja auch vornehmen: Ich fluche nicht. Da merkt man erst mal, wie oft man flucht. Welche Rolle bestimmte Dinge im Alltag spielen. Das ist nicht übel. Und grad nach diesen ausschweifenden Tagen ein ganz netter Wechsel.

Aufgezeichnet von Susanne Kippenberger

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