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Gesundheit: Ein Kliniknetz für Kinder

In Deutschland erkranken Jahr für Jahr 2000 Kinder an Krebs – doch die meisten können geheilt werden

Vieles von dem, was Günter Henze als Medizinstudent über sein späteres Fachgebiet lernte, stimmt heute nicht mehr. Bis in die 70er Jahre hinein stand zum Beispiel in den Lehrbüchern, Leukämie sei eine unheilbare Krankheit. Heute werden 85 Prozent der Kinder, die an akuter lymphoblastischer Leukämie leiden, geheilt. Diese häufigste Form des Krebses der Blut bildenden Zellen bei Kindern hat besonders gute Heilungschancen. Nimmt man alle Krebserkrankungen zusammen, so überleben heute drei von vier Kindern. Die Erfolge sind vor allem ausgeklügelten Chemotherapien und den Möglichkeiten zur Transplantation von Knochenmark und Stammzellen zu verdanken.

Glücklicherweise ist Krebs bei Kindern selten: In Deutschland gibt es etwa 2000 Neuerkrankungen pro Jahr. Etwa 80 bis 100 von ihnen kommen in die Charité. Dass die Fälle rar sind, macht die Forschung schwierig.

„Wir haben sehr früh begriffen, dass wir wegen der Seltenheit der Erkrankungen zusammenarbeiten müssen", sagt Henze, heute Leiter der Klinik für Pädiatrie der Charité auf dem Campus Virchow. 95 Prozent aller erkrankten Kinder und Jugendlichen werden im Rahmen von Therapieoptimierungsstudien behandelt, an denen sich zahlreiche Kliniken beteiligen. Jede einzelne Behandlung wird dokumentiert und zentral ausgewertet. Sie dient damit zugleich dem kranken Kind und späteren jungen Patienten.

Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie, die jetzt an der Charité tagte, hat schon vor Jahrzehnten mit solchen Studien begonnen. Geld dafür kam immer wieder von der Deutschen Krebshilfe und der Deutschen Kinderkrebsstiftung. Seit zwei Jahren gibt es zudem das vom Bundesforschungsministerium geförderte Kompetenznetz Pädiatrische Onkologie und Hämatologie, dessen Sprecher Henze ist. Zehn Einzelprojekte werden auf diese Weise mindestens noch bis 2004 finanziert.

Es geht dabei unter anderem um bösartige Zweiterkrankungen. Sie treffen Menschen, die als Kinder schon einmal Krebs hatten, im Lauf ihres Lebens zehnmal häufiger. „Wir möchten genauer herausfinden, ob bei diesen Kindern die genetischen Risiken höher sind oder ob die Zweiterkrankung eine Folge der Therapie ist", sagt Ursula Creutzig, Leukämie-Spezialistin an der Uni Münster. Beim Morbus Hodgkin, einer Form des Lymphknotenkrebses, konnte durch eine veränderte Chemotherapie die Gefahr für die Kinder gesenkt werden, später an einer Leukämie zu erkranken. „Heute gibt es nach dieser Krankheit bei uns deutlich seltener Zweittumoren als in den USA", stellt Ursula Creutzig nicht ohne Stolz fest.

Auch beim Neuroblastom, das aus unreifen Nervenzellen entstehen kann, und beim Wilms-Tumor, einer Geschwulst der Niere, sind die Behandlungsergebnisse im internationalen Vergleich sehr gut. Diese Krebserkrankungen, die in den ersten fünf Jahren auftreten, werden dank Vorsorgeuntersuchungen für Säuglinge und Kleinkinder erfreulich oft im frühen Stadium erkannt.

Henze gibt sich mit dem Erreichten noch längst nicht zufrieden. „Unser Ziel ist, dass eines Tages vier von vier Kindern gesund werden." Die Möglichkeiten, das mit immer intensiverer und auch aggressiverer Therapie zu erreichen, sind jedoch wahrscheinlich nahezu ausgereizt. Die Experten plädieren für die Konzentration der Behandlung in den 33 Kliniken, in denen schon heute 75 Prozent aller krebskranken Kinder behandelt werden. Die Heilungschancen seien dort vor allem bei komplizierteren Erkrankungen deutlich höher als in kleinen Krankenhäusern, sagt Creutzig. „Das rechtfertigt weite Wege."

Zukunftshoffnungen knüpfen sich vor allem an spezifische Therapien. Dazu gehören Medikamente, mit denen genetische Defekte gezielt attackiert werden, aber auch unterschiedliche Dosierungen der Chemotherapie für verschiedene Typen von Patienten. „Und natürlich hoffen wir, dass eines Tages Chemotherapien überhaupt nicht mehr nötig sind und die Kinder keine Spätfolgen der Medikamente mehr befürchten müssen."

Trotz der immensen Fortschritte ist die Betreuung der Patienten, die nicht geheilt werden können, ein wichtiges Thema geblieben. Für sie ist das Zuhause meist der beste Ort. „Es sind oft Kleinigkeiten in der Logistik, die den Hausärzten und den Familien dann weiterhelfen", weiß Henze aus Erfahrung. In der Großstadt können spezialisierte Pflegekräfte die Kinder bis zuletzt zu Hause betreuen. Auch eine telemedizinische Beratung des Hausarztes in Fragen der Schmerztherapie oder der Ernährung dient diesem Ziel. Sie wird derzeit in einem Modellprojekt getestet. Auch so kann Vernetzung aussehen.

Adelheid Müller-Lissner

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