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Gesundheit: Freie Bahn für das Blut?

Eine Impfung gegen Hochdruck ist umstritten

Die Telefone stehen derzeit kaum still im Studienzentrum der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Medienberichten zufolge soll an der dortigen Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen eine Impfung getestet werden, die langfristig gegen hohen Blutdruck schützen soll. „Wenn es so weitergeht, haben wir bald alle Teilnehmer für unsere Studie zusammen“, freut sich der Internist Bernhard Schmidt von der Arbeitsgruppe Hypertonie an der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen der Hochschule. Experten bezweifeln, dass es möglich ist, eine so komplexe Krankheit wie Bluthochdruck mit einer Impfung zu behandeln.

Das Interesse an einer wirkungsvollen Therapie indes ist groß: Die Hälfte der deutschen Bevölkerung über 60 Jahre hat Blutdruckwerte, die mit mehr als 90 zu 140 mmHg (Millimeter Quecksilbersäule) zumindest als überhöht gelten. Viele der Betroffenen müssen regelmäßig Medikamente nehmen, um ihr Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Nierenschäden zu senken.

Das Konzept der Impfung klingt bestechend. Verpackt in eine Hülle aus Virenmaterial wird in den Körper eine geringe Menge des Hormons Angiotensin II eingeschleust. Eigentlich treibt dieses Eiweiß den Blutdruck in die Höhe: Es bringt die Blutgefäße dazu, sich zusammenzuziehen. Wird es in Form des Impfstoffs CYT006-AngQb eingeschleust, den die Züricher Firma Cytos entwickelt hat, regt es den Organismus aber zur Bildung von Antikörpern an. Sie neutralisieren die Wirkung des körpereigenen Angiotensin II. Dadurch verengen sich die Gefäße nicht so stark.

Noch aber steht die Impfung gegen Bluthochdruck am Anfang. Im März ist im britischen Fachblatt „Lancet“ eine Studie erschienen, die zeigte, dass der Impfstoff bis auf geringe Nebenwirkungen verträglich ist und leichten bis mäßigen Hochdruck für einige Wochen senken kann (Band 371, S.821-27). Nun soll unter der Regie der MHH eine Folgestudie starten. Vorgesehen ist eine fünfmalige Impfung – und zwar in drei unterschiedlichen, deutlich höheren Dosierungen als bei bisherigen Versuchen. „Da wir die Teilnehmer bis ein Jahr nach der letzten Impfung beobachten werden, ist mit Ergebnissen frühestens in eineinhalb bis zwei Jahren zu rechnen“, dämpft Schmidt vorschnelle Erwartungen.

Bereits beim Erscheinen der ersten Studie hatten Hochdruck-Experten zur Vorsicht gemahnt. Da an der Regulierung des Blutdrucks im Körper mehrere komplizierte Systeme beteiligt sind, dürfte es längst nicht allen Hochdruck-Patienten nützen, wenn nur an der einen „Schraube“ namens Angiotensin gedreht wird. Dauerhaft in dieses entwicklungsgeschichtlich alte System einzugreifen, könnte riskant sein, schrieben damals die schwedischen Mediziner Ola Samuelsson und Hans Herlitz in einem Kommentar in Lancet. „Bei akutem Wasser- und Salzmangel kann es sogar lebensgefährlich werden“, warnen die Forscher. Außerdem seien die Langzeitfolgen einer solchen Impfung für das Immunsystem noch nicht bekannt.

Bei den Tabletten, die heute auf dem Markt sind, ist das anders. „Die vorhandenen Möglichkeiten zur Behandlung der Hypertonie sind bereits so gut, dass es für Innovationen schwer ist, besser zu sein“, sagt Karl- Heinz Rahn von der Uni Münster. Experten wie der Charité-Pharmakologe Thomas Unger, Vizepräsident des Hypertonie-Kongresses, der im Juni in Berlin stattfand, sehen die Zukunft eher in Verordnungen, die auf die individuellen Voraussetzungen der Betroffenen eingehen. Dass eine Impfung für alle den Risikofaktor Bluthochdruck ein für allemal aus der Welt schafft wie bei Pocken oder Polio, ist schon deshalb extrem unwahrscheinlich.

Adelheid Müller-Lissner

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