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Von Charlie Chaplin inspiriert: Eine Szene aus „Valentin“.

© All-Verlag

Comic-Klassiker „Valentin“: Ein Vagabund in Turbulenzen

„Valentin“ ist ein hierzulande kaum bekanntes Frühwerk von René Goscinny („Asterix“) und Jean Tabary („Isnogud“) . Nun erscheint die Reihe auf Deutsch.

Sein Outfit ist ihm schnuppe: die geflickte grüne Jacke passt nicht zur zu weiten lila Hose, der wohl vom Regen eingelaufene winzige Hut nicht zur wuscheligen blonden Mähne. Valentin, der Vagabund, hat zwar kein Dach über dem Kopf, aber stets gute Laune. Trotzdem muss so ein Tramp auch mal essen, und so schlittert Valentin auf der Suche nach einer warmen Mahlzeit in jedem Abenteuer von einer haarsträubenden Situation in die nächste und muss sich nicht selten vor bornierten Gendarmen in Acht nehmen...

Der jugendlich-unbekümmerte Valentin ist ein grundsympathischer Comicheld, der im März 1962 im Magazin „Pilote“ das erste Mal in Erscheinung trat. Kein Geringerer als der französische Szenarist René Goscinny schrieb die ersten Geschichten, und sein Landsmann Jean Tabary fand den richtigen flotten Strich für den ungewöhnlichen Helden, der kein schmuddeliger Clochard, sondern vielmehr ein leichtfüßiger Poet des Alltags ist.

Im All Verlag ist kürzlich der erste Band einer zweibändigen Gesamtausgabe dieser Valentin-Geschichten veröffentlicht worden (248 S., 29,80 €), der erstmals sämtliche Episoden auf deutsch herausbringt, Band 2 soll im Juni 2021 erscheinen.

Wie kommt es, dass diese Figur im Vergleich zu den anderen von Goscinny erdachten Figuren wie „Asterix“ oder „Der Kleine Nick“ weitgehend unbekannt ist? René Goscinny konnte in den 1960ern endlich die Früchte seiner Bemühungen ernten, denn im Jahrzehnt zuvor schuf er in Allianz mit verschiedenen Zeichnern wie Albert Uderzo, Jean-Jacques Sempé oder Morris eine schier unfassbar große Anzahl so unterschiedlicher Serienhelden wie Pitt Pistol, Umpah-Pah, dem Kleinen Nick oder Lucky Luke (die Figur erfand allerdings Morris).

Am Ende des Jahrzehnts wurde 1959 mit der Gründung des Comicmagazins „Pilote“ und dem ersten Asterix-Abenteuer dann der ganz große Erfolg eingeleitet, der Goscinnys Produktivität auch finanziell belohnen sollte. Trotzdem arbeitete er vor allem in der Startzeit von „Pilote“ eifrig weiter an der Entwicklung neuer Serienhelden, denn auch Asterix hatte noch lange nicht seinen Zenit erreicht.

Eine weitere Szene aus „Valentin“.

© All-Verlag

Jean Tabary (1930-2011) wiederum war ein erfolgreicher Zeichner und Autor, der zunächst, ab 1956, für das Jugend-Comicmagazin „Vaillant“ arbeitete und dort verschiedene Serien kreierte und zeichnete. „Richard et Charlie“ handelte von zwei Abenteurern, während „Totoche und seine Freunde“ (deutsch: „Toto“) eine immens beliebte, humoristische Serie um eine Bande Jugendlicher in Paris war.

Sein erstes Album der Serie „Corinne et Jeannot“ (dt. „Sebastian und Isabelle“) enthielt ein Vorwort von René Goscinny, der mit Tabary seit einiger Zeit befreundet war. 1960 debütierte Tabary dann in Pilote mit einer zweiseitigen Geschichte um zwei Vagabunden (!), die von einem betrunkenen Bourgeois in die „bessere“ Gesellschaft eingeführt werden.

Für die Januar-Ausgabe des Magazins „Record“ schufen Goscinny und Tabary schließlich 1962 ihre bekannteste gemeinsame Figur - „Isnogud“ - um jenen dauer-tobenden, gehässigen Giftzwerg von Großwesir, der gerne „Kalif anstelle des Kalifen“ wäre. Die Serie nannte sich damals noch „Die Abenteuer des Kalifen Harun al Pussah“. In einer Karikatur zeichnete Tabary sich einmal selbst am Zeichentisch und kommentierte: „In jedem Mensch schlummert ein Isnogud“.

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Nur zwei Monate nach Isnoguds erstem Auftritt schlug der stets vor Ideen sprühende René Goscinny Tabary vor: „Ich habe da eine Idee für einen Vagabunden“... Valentin wurde daraufhin aus der Taufe gehoben – als Figur verkörperte er geradezu das Gegenteil des schändlichen Isnogud: fröhlich, hilfsbereit, genügsam und nie Böses im Schilde führend.

Insgesamt 15 Valentin-Geschichten entstanden bis 1974, doch schrieb Goscinny zwischen 1962 und 1963 nur insgesamt vier kürzere Episoden um den charmant-naiven Titelhelden. Dann gab er ihn auf, weil seine anderen Serien, vor allem „Asterix“ und die Chefredaktion von „Pilote“ ihn voll in Anspruch nahmen.

Zwischen Komödie und purem Klamauk

Tabary führte die Serie alleine fort (nur eine späte Geschichte, voraussichtlich in Band 2 enthalten, ist von Fred getextet). Auch wenn Tabary seine Sache gut machte, ist beim heutigen Lesen der Geschichten doch ein kleiner Bruch spürbar: während die von Goscinny erdachten kürzeren Geschichten fein gewobene Komödien mit pointiertem, anspielungsreichem Humor sind, überwiegt bei Tabary ein nicht minder treffender Slapstick-Humor, der manchmal in puren Klamauk ausartet.

Besonders anschaulich wird das in der ersten albenlangen Geschichte „Der widerspenstige Gefangene“ von 1963, einer ländlichen Posse, in der ein Bauernbursche einen Juwelendiebstahl begeht, den Valentin auf sich nimmt – um der vermeintlich leckeren Küche im Gefängnis willen. Wie in einer Kettenreaktion folgt eine Komplikation auf die nächste, und damit steigt auch die Gag-Dichte. Der Leser amüsiert sich gut, während Valentins Problemlage immer kniffliger wird.

Die Hauptfigur auf dem Titelbild des ersten Bandes der Gesamtausgabe.

© All-Verlag

Nach diesem Prinzip funktionieren viele Geschichten Tabarys: Meist beginnt es damit, dass der stets gutgelaunte Valentin an einem neuen, ihm unbekannten Ort auftaucht und dort in einen Konflikt gerät, der auf haarsträubende Weise ausartet. Valentin versucht nur zu helfen, verheddert sich aber im Gestrüpp der Intrigen anderer.

Die Gesellschaft kommt dabei nicht gut weg – oft sind es bornierte, engstirnige Bauern, hochnäsige Snobs und Adelige, gierige Verwandte, die ihre eigene Sippschaft übers Ohr hauen wollen oder Gauner, die Profit aus der Dummheit anderer Menschen ziehen wollen.

In der Episode „Valentin gibt dem Affen Zucker“ kommt noch ein seltsam intelligenter Menschenaffe dazu. Besonders häufig tauchen, oft im Duo, Repräsentanten jenes Typus des dämlichen Gendarmen auf, der kurze Zeit später auch in Louis de Funès´ Filmen derselben Ära („Der Gendarm von St. Tropez“ von 1964 und folgende) zum Zentrum des Spotts wurde.

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Tabary hatte Spaß daran, diesen laut seiner Aussage in einem Interview „einfältigen“ Typus zu benutzen, da ihn jeder aus dem echten Leben kenne und man ihn deswegen nicht weiter einzuführen brauche... Am Ende jedes Abenteuers verhilft Valentins beherztes Eingreifen letztlich doch immer der Gerechtigkeit zum Siege. Und wie der „Lonesome Cowboy“ Lucky Luke zieht er mit dem Bündel über der Schulter weiter seines Weges, einmal sogar gen Sonnenuntergang...

Die Comics um „Valentin“ sind in jedem Falle eine Wiederentdeckung wert. Im kenntnisreichen Vorwort werden seltene Zeichnungen und Covergestaltungen Tabarys präsentiert. Und manches Detail zur Entstehungsgeschichte wird anschaulich, wenn etwa Typoskripte von Goscinnys Originalszenario abgebildet werden, in denen er seine Hauptfigur beim ersten Auftritt poetisch umschreibt: „Kleine Vögel und Schmetterlinge fliegen um ihn herum...“

Man merkt Goscinny die Liebe für seine frisch erdachte Figur an, und auch die Umsetzung durch Tabarys dynamische Linienführung passt dazu perfekt. Valentin sollte so eine leicht modernisierte Version von Charles Chaplins Tramp werden, ergänzt um eine gute Portion französischer Lebensart. Das ist den beiden gelungen. Mit ihrem verträumt-jugendlichen Helden nahmen sie zugleich die Flower-Power-Generation vorweg, die wenige Jahre später den Zeitgeist bestimmen sollte.

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