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SPIEL Sachen: Nur noch Bestnoten

Andreas Schäfer geht vor einem Ausnahmeautor, Stewart O'Nan, auf die Knie.

Allein dafür muss man ihm ewig dankbar sein: Der Schriftsteller Stewart O'Nan hat den vergessenen Richard Yates aus der Versenkung geholt, dessen genialer Debütroman "Zeiten des Aufruhrs" gerade in der Sam-Mendes-Verfilmung mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio zu sehen ist. Den Filmstart haben die Kritiker noch einmal genutzt, um zu Recht kollektiv vor diesem Ausnahmeautor auf die Knie zu gehen. Welch Gabe der Plastizität, welch untergründig pochende Dringlichkeit, was für präzise und kompakt erfasste Charaktere! Richard Yates lesen heißt glücklich sein! Obwohl seine Figuren wohl die traurigsten Geschöpfe sind, die man sich vorstellen kann, unrettbar verloren in dem dunklen Schacht, der zwischen Illusion und Wirklichkeit in die Tiefe geht. Sieben Romane und zwei Erzählungsbände hat Yates insgesamt veröffentlich, doch als er 1992 starb, war er nicht nur völlig verarmt, seine Bücher waren auch alle vergriffen. Bis Stewart O'Nan 1999 den begeisterten Essay "Die verloren Welt des Richard Yates" veröffentlichte, der schon kurz darauf eine Neuauflage von Yates' Werken in Amerika nach sich zog. In Deutschland hat sich die Deutsche Verlagsanstalt inzwischen seiner angenommen.

Wie Yates ist auch sein Bewunderer O'Nan ein Beobachter des tristen amerikanischen Alltags und ein großartiger Erzähler. Doch könnte der Unterschied zwischen ihnen kaum größer sein. Während Yates - lungen- und alkoholkrank und psychisch labil schon in jungen Jahren - zeit seines nicht sehr langen Lebens am Abgrund balancierte und sich seine Bücher in eigens angemieteten Baracken neben seinem Brotberuf als Redenschreiber und Creative-Writing-Dozent regelrecht erkämpfte, geht O'Nan die Sache weniger dramatisch an. In seinem früheren Leben war der 1961 geborene O'Nan Flugzeugingenieur, und als er mit dem Schreiben begann, bereitete er sich, wie er in einem Interview sagte, sehr methodisch vor. Er stellte sich Aufgaben und probierte verschiedene Stimmen und Formen aus, um sie alle, wenn es dann ans Romanverfassen ging, in seinem Schreibwerkkasten parat zu haben. Seit Anfang der neunziger Jahre veröffentlicht O'Nan nahezu jährlich und unter großer Aufmerksamkeit einen Roman. Dabei lässt er sich nicht nur von Comics, Filmen und den Nachrichten inspirieren, er kann offenbar auch über alles schreiben: Über Vietnam-Veteranen, Mörderinnen, die in der Todeszelle sitzen, Opfer von Feuersbrünsten oder Frauen, die über Jahrzehnte ihrem im Gefängnis sitzenden Mann die Treue halten. Bei dieser geradezu journalistischen Vorgehensweise mutet es fast unheimlich an, dass O'Nans Schreiben subtil ist und ohne grelle Effekte auskommt.

Sein neuester, gerade erschienener Roman heißt "Alle, alle lieben dich" und spielt in einer amerikanischen Kleinstadt, die nach dem spurlosen Verschwinden der jungen Kim in einen Ausnahmezustand gerät. Freunde werden zu Verdächtigen, die aktionistische Mutter entwickelt sich zum Medienprofi, und Schwester Lindsay schwört - bis Kim wieder auftaucht -, nur noch Bestnoten zu schreiben. Am Freitag, 30. Januar, ist Stewart O'Nan im Literarischen Colloquium (Am Sandwerder 5) zu erleben. Die Lesung findet auf Deutsch, das folgende Gespräch in englischer Sprache statt.

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