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Von Susanne Güsten: Aus dem Gleichgewicht

Mit Kritik an Israel ermuntert die Türkei den Antisemitismus im eigenen Land

Nach der Entschuldigung der israelischen Regierung für die Demütigung des türkischen Botschafters sieht sich die Türkei als diplomatische und moralische Siegerin. Die Regierung in Ankara kündigt selbstbewusst an, auch in Zukunft die israelische Politik im Gazastreifen kritisieren zu wollen. Doch die Türkei sollte lieber über eigene Fehler nachdenken und über die Gründe, warum sich die Auswanderung türkischer Juden verzehnfacht hat.

Außenpolitisch gefährdet die Türkei mit einer einseitig anti-israelischen Haltung ihre eigene Rolle in der Region. Als Freund Israels ist die Türkei einzigartig in der muslimischen Welt – als Feind Israels ist sie nur ein Land unter vielen. Ankara tritt mit dem Anspruch einer Regionalmacht an, die zugleich nach Westen und nach Osten schaut, als moderne Demokratie mit EU-Ambitionen, die mit allen Nachbarn gut auskommen und eine Führungsrolle spielen will. Dabei gibt es durchaus Erfolge, etwa bei der Annäherung an Armenien. Doch beim Thema Israel muss sich die Regierung Erdogan den Vorwurf der Einseitigkeit gefallen lassen. So kritisiert sie scharf und kontinuierlich das israelische Vorgehen im Gazastreifen. Ähnlich wütende Stellungnahmen türkischer Spitzenpolitiker nach Untaten radikaler Palästinenser sucht man jedoch vergeblich. Auch die mehrfach wiederholten Drohung des iranischen Präsidenten Mahmut Ahmadinedschad, den Staat Israel von der Landkarte zu tilgen, blieben in Ankara ohne empörte Gegenreaktionen.

Mittel- und langfristig tut sich die Türkei keinen Gefallen damit. Innenpolitisch ermuntert die Regierung den Antisemitismus. Nach einer Umfrage wollen 42 Prozent der Türken keinen Juden als Nachbarn. Auch wenn sie religiösen Minderheiten im Land offener gegenübersteht als alle türkischen Regierungen vor ihr, hat die Regierung Erdogan doch viel zu wenig getan, um solche Tendenzen klar zu verurteilen. Die Juden in der Türkei fühlen sich nicht mehr wohl. In einem normalen Jahr ziehen rund 60 türkische Juden nach Israel. Im vergangenen Jahr, also nach dem Streit zwischen Erdogan und dem israelischen Staatschef Schimon Perez in Davos und dem anschließenden Beifall aus dem nationalistisch-religiösen Lager für Erdogan, waren es 600.

Auch in der Außenpolitik schadet sich die Türkei selbst. Nicht trotz, sondern wegen ihrer Nähe zum Westen und auch zu Israel wird sie in der muslimischen Welt als besonderer Akteur gesehen. Wenn etwa die Syrer direkt mit Israel verhandeln könnten, würden sie das tun und würden nicht, wie vor zwei Jahren, die Vermittlung der Türkei in Anspruch nehmen. Als der Irak daran ging, sein Verhältnis zur Türkei zu verbessern, begründete Bagdad das auch damit, die Türkei sei ein Tor nach Europa. Das bedeutet: Die Türkei sollte in ihrer Nahostpolitik nicht das Gleichgewicht verlieren.

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