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Von Gerd Appenzeller: Diese Schlappe wirkt nach

Es gab vor der Wahl des neuen Bundespräsidenten gute Gründe, die schwarz-gelbe Koalition auch für den Fall nicht in der Krise zu sehen, dass Joachim Gauck zum Staatsoberhaupt gewählt wird. Schließlich ist der frühere DDR-Bürgerrechtler eine in allen politischen Lagern (bis auf das der Linken) hoch angesehene Persönlichkeit.

Es gab vor der Wahl des neuen Bundespräsidenten gute Gründe, die schwarz-gelbe Koalition auch für den Fall nicht in der Krise zu sehen, dass Joachim Gauck zum Staatsoberhaupt gewählt wird. Schließlich ist der frühere DDR-Bürgerrechtler eine in allen politischen Lagern (bis auf das der Linken) hoch angesehene Persönlichkeit. Aber schon das Ergebnis des ersten Wahlgangs hat gezeigt, dass die Bundesregierung in einer schweren, in einer existenziellen Krise steckt – und das gilt zuallererst für die Bundeskanzlerin selbst. Die hohe Zahl der Abtrünnigen aus dem schwarz-gelben Lager wirkt wie eine Ohrfeige für die Regierungschefin, und als genau das war die verweigerte Gefolgschaft wohl auch gedacht. Das verbesserte Abschneiden Christian Wulffs im zweiten Wahlgang mag den Schmerz lindern, aber das Faktum bleibt: Angela Merkel ist angeschlagen. Die Zügel der Koalition sind ihr entglitten, das Misstrauen, mit dem sie regiert, schlägt ihr nun von denen unverhohlen entgegen, mit denen sie allzu oft technisch-kalkulierend und wenig einfühlsam, man kann auch sagen herzlos (Ursula von der Leyen, Wolfgang Schäuble) umgegangen ist. Dass man die Menschen mitnehmen muss, das hatte die kluge Technikerin der Macht nicht in ihren Grundrechenarten.

Man muss die Zahlen des ersten Wahlgangs analysieren, um das ganze Ausmaß des Scheiterns – ja, es ist ein Scheitern! – zu begreifen. Union und FDP blieben dabei 44 Stimmen unter ihrer Mehrheit, für ihren Kandidaten Christian Wulff stimmten nur 600 von 644 der eigenen Wahlfrauen und Männer. Joachim Gauck, der Kandidat von Rot-Grün, erhielt 37 Stimmen mehr, als SPD und Grüne zusammen auf die Waage bringen konnten. Selbst wenn man annimmt, dass auch die zehn Vertreter der Freien Wähler für Gauck votierten, bleiben immer noch 34 aus dem Regierungslager auf seiner Seite. Und dann sind da noch die 13 Enthaltungen, die ebenfalls nur von Schwarz-Gelb kommen konnten. Und auch im zweiten Durchgang fehlten dem Kandidaten Wulff noch mehr als 20 der koalitionsnahen Stimmen.

Eine knappe Niederlage im ersten Wahlgang hätte die CDU-Vorsitzende mit einem kühlen Lächeln übergehen können. Bei diesem Ergebnis geht das nicht. Das war kein Warnschuss. Das war gezieltes Sperrfeuer. Und das Signal lautet: So geht es nicht mehr weiter! Die klugen Ratgeber, die an die Kanzlerin appellierten, die Abstimmung freizugeben, haben sich von Anfang an getäuscht. Dieses Votum musste nicht erst freigegeben werden, es war von Anfang an frei und geheim und unkontrollierbar, und die Wahlfrauen und Männer haben es gewusst. Sie beleidigt Heckenschützen zu nennen, ist dumm. Wer hat sie denn in die Büsche getrieben, wenn nicht eine Parteivorsitzende, die die Stimmung verkennt?

Angela Merkel hat nun die Quittung bekommen für die Nominierung Wulffs von oben herab, so wie sie und Guido Westerwelle schon 2004, damals unter hilflosem Zuschauen von Edmund Stoiber, Horst Köhler 2004 erstmals ins Rennen schickten. Nun brach sich in der Union der Zorn über neuerliche Bevormundung Bahn, bei den liberalen Delegierten aus den Ländern wohl auch gegen die dilettierende eigene Parteiführung in Berlin. Vielleicht waren auch ein paar christdemokratische, ganz persönliche Denkzettel aus dem Südwesten Deutschlands dabei, adressiert an den niedersächsischen Ministerpräsidenten, der im Machtpoker zwischen VW und Porsche wenig Rücksicht auf den Autostandort Baden-Württemberg genommen hatte.

Die geradezu verzweifelten Hinweise prominenter FDP- und Unionsanhänger auf frühere Präsidentenwahlen, die ebenfalls erst im dritten Durchgang entschieden wurden, greifen nicht. Sowohl bei Roman Herzog als auch bei Gustav Heinemann mussten sich die Blöcke erst während des Wahlverfahrens bilden – diesmal fand sich die rechnerisch klar vorhandene Mehrheit nicht zusammen. Wie auch immer Angela Merkel und Guido Westerwelle uns diese Wahl schönreden werden: Diese Pleite fügt sich nahtlos an den desolaten Start ihrer Regierung an.

Gerd Appenzeller

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