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Meinung: EU-REFERENDUM Wer hat Angst vorm Volk?

Unser Leser Rasmus Helt plädiert für die direkte Bürgerbeteiligung in Europafragen. Europa-Politiker Matthias Wissmann vertraut der parlamentarischen Demokratie

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Zu: „Bei allem Respekt", vom 22. April 2004

Die Argumentation des Autors ist nicht stichhaltig. Die europäische Integration wird nur auf basisdemokratischer Ebene zu einem Erfolg zu führen sein. Hierzu gehört auch, dass das jeweilige politische Establishment auf die Interessen seiner Bevölkerung Rücksicht nimmt und gegebenenfalls einen europapolitischen Beschluss revidiert. Nicht aber, die Menschen auszutricksen und nach einem negativen Votum erneut über eine vorab gefasste Gesetzesvorlage abstimmen zu lassen.

Wer glaubt, Europa von oben herab, also auf einer technokratischen Ebene, erbauen zu können, der läuft einer Illusion hinterher. Das belegen unter anderem die Euro-Plebiszite in den beiden skandinavischen Ländern Dänemark und Schweden, mit deren Ergebnissen beide Volkswirtschaften übrigens bislang sehr gut fahren. Jenen Menschen vorzuwerfen, sie hätten mit ihrer Ablehnung der Gemeinschaftswährung irrational und auf Grund falscher Annahmen geurteilt, ist schlicht falsch. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Beide Bevölkerungen eint ein verhältnismäßig hohes Maß an politischer Allgemeinbildung, das, glaubt man den letzten OECD-Studien, im Regelfall besser als hierzulande ist und auch durch die Fehlinformation dieses Tagesspiegel-Kommentars unterstrichen wird, die schwedische Zentralbank könne ihre Zinspolitik nicht unabhängig von der Europäischen Zentralbank gestalten. Diese Annahme ist formal gesehen falsch.

Rasmus Helt, dänischer Staatsbürger, der nicht für den Euro abgestimmt hat, Hamburg

Lieber Herr Helt!

Als dänischer Staatsbürger stammen Sie aus einem Land mit einer plebiszitären Tradition. Ihr Vertrauen in das Prinzip der Volksabstimmung in allen Ehren – aber wie kommen Sie zu dem Schluss, dass die europäische Integration nur auf basisdemokratischer Ebene erfolgreich sein kann?

Europa ist Vielfalt – kulturell, historisch und gesellschaftlich. Dazu gehört auch eine Vielzahl verschiedenster Verfassungstraditionen. Allein, wenn man den jetzigen historischen Erweiterungsschritt betrachtet, wird deutlich, dass die Basis für die erfolgreiche Integration Europas durchaus durch eine Staatengemeinschaft gelegt werden kann, die aus Mitgliedstaaten mit unterschiedlichsten Verfassungstraditionen besteht.

In der hoffentlich bald zur Abstimmung stehenden EU-Verfassung wird auf diese Vielfalt Rücksicht genommen – jedes Land soll die Verfassung so ratifizieren, wie es die eigene nationale Tradition vorsieht. Das deutsche Grundgesetz enthält auf Bundesebene keine plebiszitären Elemente, und mit Ausnahme der FDP sind sich alle Parteien grundsätzlich einig, dass sich die Ratifizierung der EU-Verfassung in Deutschland nicht für ein Referendum eignet. Hat das wirklich mit dem, was Sie Desinteresse des „politischen Establishments“ an den Interessen der Bevölkerung nennen, zu tun? Ist Deutschland auf Grund seiner parlamentarischen Demokratie undemokratischer und wird dadurch das Projekt der europäischen Integration gefährdet? Nein! Vielmehr ist es so, dass selbst die Grünen, generelle Befürworter von Plebisziten, erkannt haben, dass sich eine so komplizierte Materie wie die EU-Verfassung nicht für einen Einstieg in die Basisdemokratie eignet und dass ein Volksabstimmungsschnellschuss wie dieser der europäischen Sache sogar großen Schaden zufügen kann.

Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass Europa nicht von oben herab funktionieren kann. Ohne den Willen der Bürger Europas ist das harte Stück Integrationsarbeit, das die EU nach der Erweiterung erwartet, nicht zu bewältigen. Doch Kommunikation und nicht Basisdemokratie ist hier gefragt.

Matthias Wissmann (CDU) ist Vorsitzender des Europaausschusses des Deutschen Bundestages.

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