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Meinung: FDJ-Mädchen im Kreml

Roger Boyes, The Times

Sogar der Zar pflegte seine Pelzmütze abzunehmen, wenn er an der Christusikone des Spaskijturms vorbeikam. Nach der russischen Revolution wurde die Ikone natürlich abmontiert. Trotzdem erfüllt jeden, der heute durch das Tor in den Kreml gelangt – in einer Limousine vorbeirauschend – noch eine gewisse Ehrfurcht. Das vollkommene Mysterium der russischen Macht.

Angela Merkel wird das am Montag auch spüren können. Der bisherige Verlauf ihrer Kanzlerschaft war eher prosaisch: Vor allem lange Treffen mit Männern mittleren Alters in dunklen Anzügen, die sich auf die Kekse in der Tischmitte stürzen. Das ist bekanntes Gebiet für Merkel; Etikette und Naschkultur auf Klausurtagungen wie der auf Schloss Genshagen haben sich seit den Tagen von Helmut Kohl nicht verändert. Und was ihre Kurzbesuche in Paris, London und Washington angeht: dabei kommt in Wahrheit nicht viel rum. Natürlich will Frau Merkel einen guten Eindruck machen, aber das ist eines ihrer Talente: ältere Männer mit ihrer Ernsthaftigkeit und Faktenstärke zu beeindrucken.

Russland ist jedoch eine ganz andere Hausnummer. Für ein ehemaliges FDJ-Mädchen die unendlich langen Korridore des Großen Kremlpalasts hinunterzuschreiten, mit dem Führer der großen russischen Nation zusammenzusitzen und ihn Angesicht zu Angesicht zu kritisieren – das ist ein großer psychologischer Moment.

Und die Sache wird noch komplizierter, weil neben Putin sein neuer Geschäftspartner Gerhard Schröder sitzen wird. Ja natürlich, Schröder wird unsichtbar sein, aber seine Gegenwart wird so deutlich zu spüren sein wie der Geist von Banquo beim Festmahl des Mörders Macbeth.

An diesem Montag, allerspätestens, wird die Kanzlerin verstehen, dass Schröder ein echtes Hindernis auf dem Weg zu einer neuen Ostpolitik darstellt. Die Glaubwürdigkeit Deutschlands in Osteuropa ist durch Schröders Entscheidung, bei dem Konsortium anzuheuern, das unter der Leitung von Gasprom steht, schwer beschädigt. Die Vorstellung, dass Schröder im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine vermitteln könnte, war lächerlich. Niemand in Kiew würde einen Gasprom-Mitarbeiter als ehrlichen Makler wahrnehmen. Die Polen und Balten sind noch wütender. Schröder ist die Fleischwerdung des Geistes von Rapallo: der Idee, dass Deutschland und Russland die Angelegenheiten Europas über die Köpfe der zentraleuropäischen Mächte hinweg ordnen. Schröders Job ist längst mehr als ein Interessenkonflikt. Er ist ein echter Störfaktor.

Sobald Frau Merkel aus Moskau zurück ist, sollte sie Matthias Platzeck dazu bewegen, sich von Schröder zu distanzieren. Platzeck sollte „die Merkel machen“ und sich von seinem alten Förderer abgrenzen. Das ist natürlich schon deshalb schwierig, weil in dieser Regierung einer dabei ist, im Werder’schen Markt nämlich, dessen Autorität sich ausschließlich von Schröder herleitet. Die Idee hinter Frank-Walter Steinmeier ist, dass er Kontinuität verkörpert. Aber keine zurechnungsfähige Person könnte die anbiederische Russlandpolitik von Schröder fortsetzen wollen. Der Schröder’sche Geist sollte deshalb ausgetrieben werden. Und die Verantwortung für die Ostpolitik in Teilen wenigstens vom Auswärtigen Amt ins Kanzleramt verlagert werden.

Den Historikern fällt nun die Aufgabe zu, das politische Geschehen der vergangenen 18 Monate im Licht von Schröders GaspromEngagement neu zu bewerten. Wann genau begann die Karriereberatung durch Putin? Bei wessen Geburtstagsfeier? Vor der Entscheidung für Neuwahlen oder danach?

Die große Koalition traut sich verständlicherweise an diese Fragen nicht heran. Aber Frau Merkel muss anfangen, nachzubohren. Sie hat ein Bild von Katharina der Großen in ihrem Büro und sie kann sich etwas von der eisigen Entschlossenheit der Zarin abgucken (schlief die nicht mit dem eingelegten Kopf eines ehemaligen Liebhabers auf dem Nachtisch? Das heutige Gegenstück wäre natürlich der Kopf eines russophilen Sozialdemokraten). Eines ist sicher: Diese Koalition wird nichts neues zustande bringen, bevor die SPD sich selbst von den merkwürdigen Spät-Schröder-Jahren befreit hat.

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