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My BERLIN: Hund vor den Kamin, Kind ins Internat

Der Kult um den Hund gerät aus dem Gleichgewicht. Mittlerweile gibt es mehr glückliche Hundebesitzer als glückliche Eltern.

Sicher, Daniel Wall kann mit seiner „Dog Service Station“ auf dem George-Grosz-Platz zufrieden sein. Ich bin mir aber nicht sicher, dass ich es bin. Der orangefarbene Automat spuckt eine ökologisch wertvolle, CO2-neutrale braune Tüte aus, so schick, dass ich am liebsten Strauchtomaten reinstecken würde. In Großbritannien nennen wir so was pooper-scoopers. Die Kottütchen von Herrn Wall sind an den Seiten verstärkt, so dass Sie die Hinterlassenschaft Ihres Hundes abkratzen können, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Deutschland, Land der Ideen. Es sah alles so einfach aus, als Herr Wall junior seine Erfindung vorstellte.

Ich frage mich nur: Hat er seine Tüte jemals nachts (in Berlin also nach 16 Uhr) eingesetzt? Kleine Reste bleiben an den Rändern der Tüten zurück (in meinem Fall letzte Woche), Sie merken nicht, dass Ihre Ärmel mit dem Zeug vollgeschmiert sind, bis Sie im hell erleuchteten Empfangsraum einer Botschaft auftauchen und dem Botschafter die Hände schütteln. Am nächsten Tag regnet es – und, glauben Sie mir, Sie haben dann keine Lust, den Ku’damm mit einer matschigen „Recycling-Papiertüte zur hygienischen Aufnahme von Hundekot“ abzuschreiten. Ich weiß, die Wall AG meint es gut, aber vielleicht sollten wir lieber aufwärtsblicken, auf die firmengesponserte Weihnachtsbeleuchtung, nicht auf den Straßenbelag.

Vielleicht machen wir ohnehin zu viel Aufhebens nicht nur über die Hundescheiße, sondern über die Rolle von Hunden in der Gesellschaft insgesamt. Meine Lieblingsidee für die Stadt war es schon immer, die Hundehaufen vakuumzuverpacken und in Biosprit zu verwandeln – um Berlin nicht nur zum Zentrum des Kotuniversums zu machen (400.000 Haufen pro Tag!), sondern auch zum Retter von Kyoto. Aber wer hört schon auf einen Engländer? Gewiss, in der Hundefrage sind wir voreingenommen, weil wir ganz offensichtlich Hunde gegenüber Kindern bevorzugen. Jungen werden ins Internat geschickt, Labradore vor den Kamin. Wenn Sie aber wie ich aus einer hundezentrierten Kultur kommen, dann können Sie bestimmte Tendenzen schneller ausmachen als andere. In Berlin ist mir schon vor geraumer Zeit bewusst geworden, dass hier ein existenzieller Krieg tobt – zwischen Hunden und Kindern. Und die Promenadenmischungen gewinnen die Oberhand.

Gestatten Sie mir nur einen kleinen Vergleich:

Hunde Kinder

In Restaurants Werden dort willkommen wie Nagetiere behandelt

Bekommen Werden vorm

regelmäßig Fernseher

Auslauf abgestellt

Eigener Schwimmen im

Badestrand vollgepissten

im Grunewald Wasser in Tropical Island

Gefüttert mit Gefüttert bei

Cesar Burger King

Verstehen Sie, was ich meine? Die Deutschen ziehen längst Hunde gegenüber Kindern vor. Im Wartezimmer beim Tierarzt (das natürlich besser ausgestattet ist als eine Durchschnittspraxis für Menschen) sehen Sie drei Grundtypen des Hundebesitzers: junge Paare mittleren Alters, ohne Kinder (keine Zeit für Kinder, die Festlegung darauf wäre zu langfristig), geschiedene Leute – und alte Leute, deren Kinder von zu Hause weg sind. Das sind die Gruppen mit dem höchsten verfügbaren Einkommen in Berlin. Früher überredeten Kinder ihre Eltern dazu, ihnen einen Hund zu kaufen. Jetzt ersetzen Hunde Kinder. Kein Wunder: Die Kosten, um ein Kind aufzuziehen, sind in den letzten fünf Jahren dramatisch gestiegen. Die Kosten für einen Hund sind dagegen praktisch unverändert, und Sie können sich sicher sein, dass er nicht als Drogenabhängiger endet oder das Familienauto zu Schrott fährt.

Die Tendenz hin zum Hund, weg vom Kind ist überdies ein Zeichen kultureller Dekadenz, ein US-Import. Ach, Amerika. Da, wo das oberste Prozent der Haustiere besser lebt als 99 Prozent der Weltbevölkerung. Immer mehr Amerikaner lieben Haustiere. Aus Kalifornien sind gerade die Weihnachtskataloge eingetroffen: mit „Doggles“ (Sonnenbrillen für Hunde), Aknesalbe für Pudel, Zahnweiß, Hundeschmuck, Hundesitzen fürs Auto. In Amerika gibt es Hundespielgruppen, Hundedating, Hundepsychotherapie (vor und nach Hundehochzeiten), und weil sie immer länger leben, werden sie von Hundeherzspezialisten behandelt. Wenn der Moment dann doch kommt, ist es Zeit für das Hundebegräbnis. Währenddessen kaufen US-Kinder unbemerkt von den Eltern Pistolen und überlegen, wie sie den Schulrektor erschießen sollen.

Warum sehe ich mehr glücklichere Hundebesitzer als glückliche Eltern? Irgendwas ist da aus dem Gleichgewicht geraten. Der Kult um den Hund geht mit der Vernachlässigung der Kinder geradezu einher. Bevor es zu spät ist: Sollten wir unsere Kinder nicht endlich so behandeln, dass sie merken, dass wir sie wirklich wollen? Warum lachen wir nicht mehr mit ihnen? Hunde mögen niedlich sein, aber sie bleiben Hunde. Kinder sind du und ich.

Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Bickerich.

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