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Von Claudia von Salzen: Langes Zuschauen, kurzer Krieg

Laut dem Bericht zur Georgienkrise haben beide Seiten Schuld. Seine eigene Rolle blendet Europa aus

Es war ein Bericht, den am Ende keiner mehr wollte. Die Georgier nicht, weil sie nach Vorabmeldungen befürchten mussten, dass die Untersuchungskommission ihnen die Hauptschuld am Fünftagekrieg zwischen Georgien und Russland im August 2008 zuweisen würde. Die Russen nicht, weil die Europäer das Thema schon fast wieder vergessen zu haben schienen. Doch auch die EU, die doch den Bericht selbst in Auftrag gegeben und finanziert hatte, machte ein wenig den Eindruck, als hätte sie das Papier am liebsten ohne viel Aufsehen in einer Schublade verschwinden lassen. Eine inhaltliche Diskussion über das Thema fand nicht statt, öffentlich präsentiert wurde der Untersuchungsbericht schon gar nicht. Zu groß war die Sorge in Brüssel, mit einer starken Stellungnahme die immer noch schwelenden Spannungen im Südkaukasus wieder anzuheizen.

Dabei gibt der Bericht selbst keineswegs nur einer Kriegspartei die Schuld, wie im Vorfeld von manchen befürchtet worden war. In einer ersten Reaktion sahen sich am Mittwoch daher sowohl Russland als auch Georgien in ihrer Version bestätigt. So neu sind die Ergebnisse des Berichts im Übrigen nicht: Schon früh gab es massive Zweifel an der Darstellung des georgischen Präsidenten Saakaschwili, der den Beschuss des südossetischen Zchinwali durch seine Truppen nur als Reaktion auf einen Einmarsch der Russen verstanden wissen wollte. Auch die russischen Provokationen im Vorfeld des Krieges waren lange bekannt. Dennoch ist es wichtig, den Gang der Ereignisse nachzuzeichnen und die Verantwortung klar zu benennen, und sei es nur, um daraus für die Zukunft zu lernen.

Der Krieg in Georgien war alles andere als unvermeidlich. Saakaschwili ließ sich durch russische Provokationen in diesen Konflikt treiben, auf mahnende Stimmen aus dem Westen hörte er nicht oder wollte er nicht hören. Deshalb feuerten georgische Soldaten die ersten Schüsse ab. Diese Verantwortung bleibt und Georgien muss sich ihr ehrlich stellen. Doch auf der anderen Seite hatten Russlands Premier Putin und sein Präsident Medwedew ihrerseits ein Interesse daran, den Konflikt immer weiter auf die Spitze zu treiben: Monatelange Provokationen waren dem Krieg vorausgegangen, und kaum hatte der bewaffnete Konflikt begonnen, marschierten russische Soldaten weit über die Grenze Südossetiens ins georgische Kernland.

Doch solange in beiden Ländern dieselben Akteure an der Macht sind wie bei dem kurzen Krieg im Sommer, ist es kaum denkbar, dass sie Lehren aus der Vergangenheit ziehen. Im Gegenteil, die Spannungen wachsen derzeit sogar wieder.

Umso mehr müssen sich die Europäer fragen lassen, warum sie nicht früher gehandelt haben. Erinnern wir uns: Nach fünf Tagen schaffte es Frankreich, einen Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien auszuhandeln. Hätte ein ähnlich beherztes Eingriffen im Vorfeld den Krieg vielleicht sogar verhindern können?

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