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Atomwaffen in Europa: Mitten in der Lernkurve

Die Mutation vom Innenpolitiker zum Außenminister geht einher mit einer steilen Lernkurve. Das gilt für Guido Westerwelle wie zuvor bei Joschka Fischer.

Die Mutation vom Innenpolitiker zum Außenminister geht einher mit einer steilen Lernkurve. Das gilt für Guido Westerwelle wie zuvor bei Joschka Fischer. Die neu gewonnenen Einsichten führen zu Positionswechseln in Sachfragen. Die muss jeder neue Außenminister so vollziehen, dass er die nationalen Interessen wahrt, die Verbündeten beruhigt, zu Hause aber den Eindruck vermeidet, er habe eine inhaltliche Kehrtwende vollzogen. Paradebeispiel bei Fischer wie Westerwelle sind die US-Atomwaffen.

Aus Gründen, die den Partnern in Ost und West schwer verständlich sind, tun deutsche Innenpolitiker im Wahlkampf oft so, als bereiteten ihnen US-Atomwaffen zur Verteidigung ihrer Heimat mehr Sorgen als die mehrfache Menge russischer Sprengköpfe, die auf Deutschland gerichtet sind. Vielleicht wissen sie es da noch nicht besser. Fischer und Westerwelle forderten jedenfalls den Abzug aller Atomwaffen von deutschem Boden. Dann werden sie Außenminister, machen ihren Antrittsbesuch in den USA und müssen erklären, was sie eigentlich gemeint haben. Inzwischen haben sie einen Crashkurs in der für sie neuen Materie absolviert und gelernt, dass sie, sachlich betrachtet, so ziemlich alles falsch gemacht haben: Zeitpunkt, Begründung, nationaler Alleingang statt Vorstoß im Bündnis. Bei Westerwelle kommt hinzu: Die Forderung steht im Koalitionsvertrag. Damals galt das als Sieg, heute ist es ihm unangenehm.

Westerwelle vollzieht die Korrektur schneller als Fischer, hinter verschlossenen Türen. Die Botschaft an Amerika lautet jetzt: 1. Wir stehen zum Nato-Konzept der nuklearen Abschreckung. 2. Ziel ist, dass die Russen ihre 2000 bis 2500 taktischen Atomwaffen eliminieren; wenn der Preis ist, dass die nur 240 US-Atomwaffen aus Europa abgezogen werden, sind wir dazu bereit. (Fraglich bleibt, ob Russen und Amerikaner da mittun.) 3. Den Vorstoß dazu machen wir in der Nato – aber erst, nachdem die Start- Gespräche über die Reduzierung strategischer Atomwaffen abgeschlossen sind; diesen Handel wollen wir keinesfalls stören.

Für die Öffentlichkeit ist die steile Lernkurve erst zur Hälfte sichtbar. Westerwelle bekommt zudem ungewollte Schützenhilfe für seine frühere Position. Zu Belgiens Vorstoß, bereits bei Obamas Atomgipfel im April über den Abzug der US-Waffen aus Europa zu reden, sagen Westerwelle-Erklärer: Das ist nicht mit uns abgesprochen. Am Ende siegt doch das nationale Interesse.

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