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Meinung: Starke Worte, taube Ohren

Es war die wohl bemerkenswerteste Rede eines pakistanischen Staatschefs seit langer Zeit. General Pervez Musharraf sagte dem islamistischen Extremismus, der ganz Pakistan unterwandert hat, den Kampf an.

Es war die wohl bemerkenswerteste Rede eines pakistanischen Staatschefs seit langer Zeit. General Pervez Musharraf sagte dem islamistischen Extremismus, der ganz Pakistan unterwandert hat, den Kampf an. Das war auch ein ernsthafter Versuch, den drohenden Krieg mit Indien zu verhindern und eine friedliche Lösung für Kaschmir zu finden. Ob die Enttalibanisierung Pakistans gelingt, wird sich erst nach Monaten zeigen.

Dass es zu einer Entspannung auf dem Subkontinent kommt, ist dagegen jetzt schon fraglich. Während die übrige Welt die Entschlossenheit Musharrafs begrüßt, dem Terror der Fundamentalisten ein Ende zu machen, bleiben die Inder ihrer alten Linie treu - Skepsis und Misstrauen. Außenminister Jaswant Singh will Taten sehen, Innenminister Advani betonte, Ansprachen könnten ihn nicht beeindrucken. Regierungschef Vajpayee sagte öffentlich gar nichts; auch damit möchte Delhi das Gewicht der Rede Musharrafs herunterspielen.

Für die regierenden Rechts-Nationalisten in Delhi kommt die ausgestreckte Hand des Pakistani zu früh. Erst sollen noch die Februar-Wahlen im wichtigen Unionsstaat Uttar Pradesh mit Hilfe der nationalistischen Kriegsbegeisterung gewonnen werden. Eine Million Mann stehen sich an der 3600 Kilometer langen Grenze gegenüber, unter enormer Hochspannung. Jederzeit kann ein Funke die große Explosion auslösen.

Umso wichtiger sind Vermittlungsbemühungen. Musharraf hat die Außenwelt, speziell die USA, in einem bewusst auf englisch gehaltenen Abschnitt seiner Rede dazu aufgefordert. Indien lehnt das weiterhin ab. Am Sonntag war Chinas Premier Jhu Rongji in Delhi, der erste hochrangige Vertreter Perings seit über zehn Jahren. Mitte der Woche wird US-Außenminister Colin Powell erwartet. Peking will einen Flächenbrand vor seiner Haustür verhindern, Washington den Erfolg seiner Anti-Terror-Kampagne sichern.

Wer Südasien vor den fundamentalistischen Gefahren bewahren will, muss eine Lösung des Kaschmir-Problems finden. Indien hat den Kaschmiris schon vor einem halben Jahrhundert das Selbstbestimungsrecht versprochen. Pakistan muss hinnehmen, dass die Kaschmiris vermutlich nicht ins Reich ihrer islamischen Brüder und Schwestern wollen. General Musharraf hat offenbar akzeptiert, dass Pakistan den Anschluss auch mit dem Einschleusen bewaffneter Extremisten nicht erzwingen kann. Terroristen sollen keinen Unterschlupf mehr finden, auch nicht unter dem Vorwand der Befreiung Kaschmirs. Das ist ein großer Schritt vorwärts. Das Verbot von fünf terroristischen Organisationen, darunter die beiden, denen Indien den Anschlag auf das Parlament Mitte Dezember vorwirft, ist selbst in Delhi begrüßt worden.

Vom prinzipiellen Standpunkt zu Kaschmir will Musharraf zwar nicht abrücken: "Kaschmir ist wie unser eigenes Blut. Kein Pakistani wird jemals einer Abtrennung zustimmen." Wenn es ihm aber gelingt, aus dem "Schurkenstaat", wie die USA Pakistan nannten, als sie das Land noch nicht brauchten, einen "modernen und ehrenwerten" Partner zu machen, wird sich die politische Landkarte in Südasien verändern. Kriege werden unwahrscheinlich. Ein Ende des Rüstungswettlaufs würde enorme Ressourcen freisetzen für sozialen Fortschritt.

Musharraf hat sein Schicksal mit der weltweiten Anti-Terror-Koalition verknüpft. Er sieht die die einmalige Chance, die schleichende Talibanisierung Pakistans zu beenden. Kein Nicht-Militär hätte dieses Wagnis eingehen können: Bekenntnis zum säkularen Staat, Trennung von Politik und Religion.

Gabriele Venzky

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