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Meinung: Trau keinem über 30!

Ob öffentlicher Dienst oder Sozialsysteme: Die Last wird auf die Jungen abgewälzt

Noch regt sich kein Widerstand bei jungen Krankenpflegern, Müllmännern oder Kindergärtnerinnen. Dabei hätten sie Grund dazu. Denn der Kompromissvorschlag, der derzeit zwischen den Gewerkschaftsvertretern und den öffentlichen Arbeitgebern diskutiert wird, enthält die Staffelung der Arbeitszeit nach Alter. Jüngere sollen künftig länger und Ältere kürzer arbeiten dürfen, der Streik könnte beendet werden, die Müllberge würden von den Straßen verschwinden.

Rechtsexperten sprechen bereits von einem möglichen Verstoß gegen das europäische Anti-Diskriminierungsgesetz – wegen der Diskriminierung der Jungen durch die Alten. Das klingt überraschend, denkt man doch bei Diskriminierung reflexartig an die Älteren, die kaum noch eingestellt werden.

Der Kompromissvorschlag im öffentlichen Dienst ist aber in der Tat ein weiteres Beispiel für viele Benachteiligungen, die den Jungen zugunsten der älteren Generation aufgebürdet werden – und die auch ihren Teil dazu beitragen, dass die jungen Generationen kaum noch Kinder bekommen.

Wer heute 30 ist, hat zehn harte Jahre vor sich. Oftmals hat man gerade erst seine Ausbildung beendet und startet die Karriere. Vor allem in Deutschland ist die Arbeitsbelastung – wenn man überhaupt Arbeit findet – in dieser Phase hoch. Über 40 Prozent der deutschen jungen Paare arbeiten zusammen mehr als 80 Stunden die Woche. In den Niederlanden oder in Schweden sind es nur 16 Prozent.

Hinzu kommt, dass die Bezahlung insgesamt zwar etwas höher ist als die der Generation der Eltern, dafür aber sind die Jungen extrem mit den gestiegenen Beiträgen für die Sozialkassen belastet – um die Rente und Gesundheit ihrer Eltern und Großeltern zu finanzieren. Gleichzeitig müssen sie viel Geld in die private Altersvorsorge stecken, denn sonst wird es ihnen im Alter sehr schlecht gehen. Und in dieser Zeit müssen sie sich auch noch für oder gegen Kinder entscheiden – ohne dass auch nur annähernd eine ausreichende staatliche Kinderbetreuung gewährleistet wäre.

Diese schwierige Zeit, in der sich Karriere und Familienplanung in nur wenigen Jahren ballen, ist auch auf viele Versäumnisse der älteren Generation zurückzuführen. Investitionen in die Bildung sind vernachlässigt worden, das deutsche Bildungssystem hat die längsten Ausbildungszeiten in Europa. Obwohl Experten schon in den siebziger Jahren davor warnten, dass man 2030 die Renten wegen der demografischen Entwicklung nicht mehr finanzieren werden kann, wurden die Reformen aufgeschoben. Das Gleiche gilt für das Gesundheitssystem und den Arbeitsmarkt.

Diese Vorwürfe sind längst bekannt. Genau deshalb aber ist es unverständlich, warum es so viel Widerstand gegen die Rente mit 67 gibt oder die Jungen die größte Last bei der Verlängerung der Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst schultern sollen.

Natürlich sollten Menschen, die körperlich schwere Arbeiten verrichten, nicht so lange arbeiten wie Büroangestellte. Aber es geht um die Erstellung neuer Lebens- und Erwerbsbiografien, die die Lasten gerechter zwischen den Generationen verteilen. Viele Ältere könnten die Jüngeren finanziell und zeitlich entlasten, wenn sie etwas mehr und länger arbeiteten. Das müssen natürlich auch die Arbeitgeber unterstützen, indem sie mehr Ältere einstellen.

Es geht nicht um einen Generationenkrieg, sondern darum, wie man die vorhandenen Probleme jetzt gerecht löst. Ein bisschen Protest von jungen Müllmännern könnte nicht schaden.

Flora Wisdorff

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