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Ursula von der Leyen antwortet auf die Lebensumstände in Deutschland mit dem PR-Coup Leistungsrente.

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Bestandsaufnahme: Wie uns die moderne Sozialpolitik den Wohlstand sichert

Die Lebensumstände in Deutschland sind nicht so schlecht, wie es einem manche weis machen wollen. Im Gegenteil: Uns geht es gut. Höchste Zeit, den angehäuften Wohlstand in die Zukunft zu investieren.

Von Lutz Haverkamp

Ein Blick in den Abgrund: Die deutsche Gesellschaft zerfällt zunehmend in einen kleinen reichen und einen großen armen Teil. Der Mittelstand löst sich auf, die Altersarmut kommt mit aller Macht, prekäre Arbeitsverhältnisse nehmen rasant zu, Pflegenotstand, Hartz IV, Staatsverschuldung und jetzt auch noch ein wirtschaftlicher Abschwung. Es ist zum Heulen.

Ist es das wirklich? Nicht unbedingt. Die Lebensumstände in Deutschland lassen auch eine ganz andere Betrachtung zu. Noch nie gingen so viele Deutsche wie jetzt einer Erwerbstätigkeit nach, die Arbeitslosigkeit war seit 20 Jahren nicht mehr so niedrig. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts ist die Ungleichheit der Einkommensverteilung zurückgegangen, knapp 80 Prozent der privaten Haushalte schätzen ihre finanzielle Situation selbst als relativ gut bis sehr gut ein. Niemals zuvor hatte der Staat so hohe Steuereinnahmen, die Sozialversicherungen schwimmen im Geld, manche Krankenkassen zahlen ihren Versicherten sogar etwas zurück, die Renten steigen, die Beiträge zur Alterssicherung sinken.

Was macht die Politik mit diesem widersprüchlichen Bild? Sie macht sich ihr eigenes. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen erfindet den PR-Coup Lebensleistungsrente. Die SPD entsinnt sich des Klassikers Umverteilung und will das Kindergeld ärmeren Familien in größerem Umfang zukommen lassen. Und das sind nur zwei Beispiele aus dem aufziehenden Wahlkampf. Jeder findet seine ganz eigene Zielgruppe, seine ganz spezielle Klientel. Was fehlt, ist eine Gesamtschau auf die Gesellschaft und ihre Probleme – die jetzigen und die, die vielleicht noch kommen.

Hier sind zwei Bereiche, die aus all den Fehlsteuerungen, Unschärfen und falschen Planungen hinausragen: Bildung und Arbeit. Die größten Ungerechtigkeiten mit all ihren bitteren Kurz- und Langzeitfolgen für die Betroffenen selbst und die Gesellschaft als Ganzes entstehen, weil es immer noch zu viele Menschen gibt, denen Zugang zu qualifizierter Bildung und gerecht entlohnter Arbeit versagt bleibt. Das beste Mittel gegen Armut im Alter ist nicht die Lebensleistungsrente, es ist ein gut bezahlter Job. Und bei rund 200 Milliarden Euro für familienpolitische Leistungen pro Jahr erscheint es zumindest fragwürdig, ob das neue Betreuungsgeld oder mehr Kindergeld für einige die richtigen Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft sind.

Die Voraussetzungen für eine ehrliche Bestandsaufnahme waren lange nicht mehr so günstig. Die Wirtschaft ist robust, der Arbeitsmarkt entspannt sich, die Steuereinnahmen sind überraschend hoch. Höchste Zeit – und eine gute Zeit –, den angehäuften relativen Wohlstand in die Zukunft zu investieren, in die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, anstatt ihn für kurzfristige, rückwärtsgewandte Wahlgeschenke zu verschleudern. Die Lösung kann nicht darin bestehen, dass sich politische Parteien nach Belieben Rentner, Arbeitnehmer, Unternehmer oder Familien als Zielobjekt vermeintlicher sozialer Wohltaten heraussuchen; Taten, die oft so teuer wie wirkungslos sind.

Deutschland braucht die besten Schulen und Universitäten der Welt und muss führend bei Entwicklung und Forschung sein. Das versetzt die Menschen viel eher in eine Lage, aus der sie eigenverantwortlich ihr eigenes und das Leben ihrer Kinder gestalten können. Das ist die moderne Fortsetzung von Sozialpolitik mit neuen Mitteln. Sie sichert und vermehrt den Wohlstand. Alles andere ist nur ein Abgrund – von Heuchelei.

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