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Politik: Akw Krümmel: Plutonium im Marschland

Was passierte in den achtziger Jahren in der Elbmarsch südöstlich von Hamburg? Etwa 8000 Menschen leben dort, 21 von ihnen erkrankten seit 1989 an bösartigen Blutveränderungen, darunter innerhalb von drei Jahren fünf Kinder an Leukämie.

Was passierte in den achtziger Jahren in der Elbmarsch südöstlich von Hamburg? Etwa 8000 Menschen leben dort, 21 von ihnen erkrankten seit 1989 an bösartigen Blutveränderungen, darunter innerhalb von drei Jahren fünf Kinder an Leukämie. Statistisch wäre nur ein Fall in 20 Jahren zu erwarten gewesen. Alle Betroffenen leben höchstens fünf Kilometer vom Kernkraftwerk Krümmel entfernt - die Bevölkerung der Elbmarsch vermutet seit langem den Atommeiler als Ursache der Häufung. Wissenschaftliche Studien haben dies nie zweifelsfrei belegt. Jetzt lenkt ein neues Gutachten den Verdacht in eine andere Richtung.

In den vergangenen Wochen haben Wissenschaftler der Arbeitsgemeinschaft Physikalische Analytik und Messtechnik Gießen (PHAM) Bodenproben in der Umgebung des Atomkraftwerks Krümmel und der nahen Anlage der Gesellschaft zur Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt (GKSS) entnommen. Fündig wurden sie im Wurzelbereich alter Bäume. Bei einer elektronenmikroskopischen Untersuchung der Proben wurden strahlende Kügelchen von bis zu einem Millimeter Durchmesser sichtbar: aus Plutonium, Americium und Curium bestehender Kernbrennstoff. Schätzungsweise ein Kilogramm dieses Materials soll im Erdboden der Elbmarsch verteilt sein.

Für den PHAM-Physiker Hans-Werner Gabriel, der das Gutachten im Auftrag der "Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch" erstellt hat, ist das Kernkraftwerk Krümmel damit entlastet: "Die Geometrie der Teilchen weist keinerlei Ähnlichkeit mit denen des Reaktorbrennstoffs auf. Das Kraftwerk scheidet als Verursacher der Leukämiefälle aus." Auch mit radioaktiven Überbleibseln oberirdischer Kernwaffentests oder der Tschernobyl-Katastrophe haben die in Geest und Marsch gefundenen Partikel keine Ähnlichkeit.

Im November 1999 hatte die ebenfalls von der Bürgerinitiative beauftragte Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake in der Umgebung des Atomkraftwerks Americium 241 festgestellt. Ihre Schlussfolgerung, das Americium stamme aus Krümmel, war auf heftige Kritik in der Fachwelt gestoßen. Wissenschaftler hatten darauf verwiesen, dass Americium nach dem Fallout von Tschernobyl und dem von Atomtests überall in Europa vorkomme.

Gabriel zufolge hat es vor etwa 15 Jahren in der Elbmarsch "eine größere Freisetzung" gegeben. "Dieses Ereignis oder die übrig gebliebenen radioaktiven Partikel sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Ursache für die extreme Kinderleukämiehäufung in der Nähe der Geesthachter Nuklearanlagen". Den möglichen Verursacher der Kontamination will der Wissenschaftler bislang nicht benennen: "Die dahingehenden Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Die strahlenden Partikel stammen aber eindeutig aus dem Forschungsbereich." Für den SPD-Landtagsabgeordneten und Vertreter der Bürgerinitiative Uwe Harden rückt damit die seit den 50er Jahren bei Geesthacht arbeitende Forschungsstelle GKSS in den Mittelpunkt des Interesses: "Außer Röntgenärzten wüsste ich keine andere Einrichtung in der Umgebung, die sich mit radioaktivem Material beschäftigt." Die GKSS betreibt einen Forschungsreaktor und dient als Sammelstelle für radioaktive Abfälle. Der Strahlenschutzexperte Christian Küpppers vom Öko-Institut in Darmstadt bezweifelt, dass Winde ein Millimeter große strahlende Partikel über eine längere Distanz transportiert haben könnten.

Die "Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg" erwarten bereits den "größten Atomskandal Deutschlands". Sie haben Strafanzeige gegen die GKSS wegen Freisetzung radioaktiver Stoffe gestellt. Hans-Friedrich Christiansen, Sprecher der GKSS, sagt: "Ein unentdeckter Zwischenfall ist ausgeschlossen."

Rico Czerwinski

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