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Politik: Allein unter Männern - Tanja Kreil kämpft für ihr Recht als Frau an der Waffe

Soldatin will sie sein. Deshalb hat die 23-Jährige vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt.

Soldatin will sie sein. Deshalb hat die 23-Jährige vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Der will heute sein Urteil verkünden.Lars von Törne

Das soll also die Frau sein, die den Kampf gegen eine der letzten Männerbastionen der Bundesrepublik aufgenommen hat? Die 23-Jährige, die an diesem Januartag in einer verrauchten Hannoveraner Eckkneipe sitzt, wirkt auf den ersten Blick nicht gerade wie eine zähe Kämpferin für die Gleichberechtigung. Eher wie ein junges Mädchen, Typ kleine Schwester, das da in etwas Großes hineingestolpert ist. Vielleicht liegt das an Äußerlichem: Tanja Kreil hat lange blonde Haare, strahlend blaue Augen und ist vom Weihnachtsurlaub mit ihrem Verlobten auf Kuba noch ganz braun gebrannt. Sie lächelt viel, fast ein bisschen unschuldig, und bietet ihrem Gesprächspartner gleich das "Du" an. Sie ist klein und eher kräftig gebaut, misst gerade mal 157 Zentimeter vom Kopf zum Fuß. So eine Frau kann man leicht unterschätzen.

Wieso gerade sie es ist, die seit drei Jahren mit aller Kraft dafür kämpft, als Frau in der Bundeswehr mit Waffen hantieren zu dürfen - wo doch Jahr für Jahr Tausende Männer viele Mühen auf sich nehmen, um eben diesem Dienst zu entgehen? Tanja Kreil ist nicht der Mensch, der dafür eine intellektuelle oder politische Antwort parat hätte. "Vielleicht bin ich einfach ein Dickschädel", sagt sie, nimmt einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und erzählt ihre Geschichte.

Die begann vor gut drei Jahren. Tanja Kreil war damals 19 und im zweiten Lehrjahr zur Energieelektronikerin bei Siemens. Die Chancen auf eine feste Stelle in dem klassischen Männerberuf standen schlecht. Dann kam ihr die Idee mit der Bundeswehr. Ihr damaliger Freund, der heutige Verlobte, war Zeitsoldat. Richtladeschütze im Leopard II, zuständig dafür, dass der Schuss sein Ziel erreicht. Was er ihr von seiner Arbeit erzählt hatte, gefiel ihr. Als sie einen Wehrdienstberater fragte, welche Perspektiven es mit ihrer Ausbildung denn für sie beim Bund gebe, bekam sie zu hören: Es sieht gut aus - aber nicht für Sie als Frau. Auch die Frauenbeauftragte der Stadt hatte wenig Verständnis. Und auf ihren Brief an den damaligen Verteidigungsminister Rühe bekam sie zur Antwort: Danke für Ihr Interesse, aber da gibt es leider keine Chance.

Wie David gegen Goliath

Spätestens an diesem Punkt hätten wohl die meisten Frauen aufgegeben und sich einen anderen Job gesucht. Aber Tanja Kreil ist eine Kämpferin. So beschreibt sie sich selbst: "Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann will ich das auch erreichen", sagt die junge Frau und fixiert ihren Gesprächspartner mit einem festem Blick. "Dabei ist es mir egal, welche Hindernisse man mir in den Weg legt." So war es schon in der Schule, wo sie sich mit den Lehrern stritt, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlte; so war es bei Siemens, wo sie sich nach der Ausbildung als Elektronikerin eine feste Stelle erkämpfte; und so war es auch, als sie die Ablehnung von der Bundeswehr bekam. "Ich wurde richtig sauer", erinnert sie sich. "Das kann doch in der heutigen Zeit nicht mehr sein, dass mir einer sagt: Nur weil du eine Frau bist, darfst du nicht." Sie beschloss, es der Bundeswehr zu zeigen.

Vor drei Jahren hat sie beim Verwaltungsgericht Hannover geklagt, das wiederum den Europäischen Gerichtshof einschaltete. Wenn die Luxemburger Richter ihr heute Recht geben, würde das der Bundeswehr einen der größten Umbrüche ihrer Geschichte bescheren.

"Meine Eltern haben mich damals für verrückt gehalten", erinnert sie sich. Ihr Vater hatte sich in den siebziger Jahren dem Wehrdienst entzogen, indem er einfach einen Tag vor der Einberufung heiratete. Kein Verweigerer aus Überzeugung also, aber dass ausgerechnet seine Tochter sich bei der Bundeswehr einklagen wollte, bereitete ihm anfangs doch "kräftige Bauchschmerzen". "Der hat gesagt: Bist Du bescheuert, wie David gegen Goliath zu kämpfen?" Die Tochter hat das nicht gebremst, ganz im Gegenteil. Sie suchte sich einen starken Bündnispartner für ihren Kampf. Von ihrem Verlobten bekam sie den Tipp, sich an den Deutschen Bundeswehrverband zu wenden. Für die militärische Lobbyorganisation, die seit Jahren die Öffnung der Bundeswehr für Frauen fordert, war die junge Hannoveranerin ein Geschenk des Himmels. Jetzt war endlich eine Frau gefunden, die man zur Vorkämpferin aufbauen konnte.

Und Tanja Kreil war froh, endlich jemanden zu haben, der auf ihrer Seite war und über genügend Macht verfügte, um ihr zu helfen. Auf Anraten des Bundeswehrverbands reichte sie eine Bewerbung ein, von der klar war, dass sie abgelehnt werden würde: für die Instandsetzung der Waffenelektronik des Leopard-II-Panzers. In ihrer Antwort verwies die Bundeswehr auf ihr Geschlecht und den Artikel 12a des Grundgesetzes, der nach Bundeswehr-Auslegung Frauen nur den Dienst im Sanitäts- oder Musikdienst erlaubt. Tanja Kreils Anwalt, den ihr der Bundeswehrverband an die Seite gestellt hatte, klagte unter Berufung auf das europäische Gebot der Gleichbehandlung der Geschlechter - erst in Hannover, dann in Luxemburg.

Inzwischen hat Tanja Kreils Klage Wellen geschlagen, die alle ihre Erwartungen übertreffen. Die junge Frau steht tatsächlich kurz vor ihrem Ziel, die Bundeswehr in die Knie zu zwingen. Die Chance, dass der Europäische Gerichtshof die Personalpolitik der Bundeswehr heute als Frauendiskriminierung verwirft, stehen gut. Dann hätte Tanja Kreil wieder mal erreicht, was sie wollte. "Ich glaube, ich habe ein ganz schönes Chaos angerichtet", sagt sie. Und darauf ist sie sichtlich auch ein bisschen stolz. "Als kleines Rädchen in der Gesellschaft habe ich die Großen wachgerüttelt. Das ist doch schon etwas Besonderes."

Vielleicht liegt ja auch in diesem Wunsch zu zeigen, dass sie etwas Besonderes ist, eine der Triebkräfte für den Kampf der jungen Frau: "Ich bin kein Mensch, der mit dem Strom schwimmt", sagt sie fast trotzig. "Ich möchte zeigen, dass ich einzigartig bin."

Ihr eigentliches Ziel, eine Stelle bei der Bundeswehr zu bekommen, ist mittlerweile in den Hintergrund geraten. Denn Tanja Kreil ist inzwischen von Siemens als Monteurin übernommen worden. Allerdings musste sie auch hier ihre Hartnäckigkeit erst beweisen. "Ich habe ständig bei meinem Chef angerufen und ihn terrorisiert, bis sie mich dann irgendwann als Einzige aus dem ganzen Ausbildungsjahr übernommen haben", erzählt sie stolz. Auf Dauer findet sie allerdings die Berufsmöglichkeiten bei der Bundeswehr aufregender, sagt sie.

Wenn sie von der Waffenelektronik des Leopard II erzählt, gerät sie fast ein wenig ins Schwärmen: "Das ist faszinierend, was da alles drinsteckt. Da wird die Temperatur der Munition gemessen, die Windstärke ermittelt, und dann im Bruchteil einer Sekunde ist ein perfekter Schuss da. Bei Siemens habe ich so etwas nicht." Ist sie in Waffen vernarrt? Auf keinen Fall, sagt sie. Einen Panzer will sie nicht fahren, ein Flugzeug nicht fliegen. Waffentechnik ist für sie eben in erster Linie eine Sache der Elektronik, und die ist ihr Beruf.

Den Gedanken, dass zum Waffendienst ja auch Töten und Getötetwerden gehören kann, wischt sie mit einer schnellen Antwort weg: "Dann dürfte ich mich auch nicht mehr ins Auto setzen, weil ich dann jemanden totfahren könnte." Und die Frage nach dem generellen Nutzen einer Armee beantwortet sie mit einem Satz, dem man anhört, dass sie ihn schon oft gesagt hat: "Bei der Vereidigung meines Verlobten sagte der Redner: An einem Ort, an dem es 30 Jahre lang nicht gebrannt hat, würde doch auch niemand auf die Idee kommen, die Feuerwehr abzuschaffen. Außerdem übernimmt die Bundeswehr ja heute immer mehr humanitäre Aufgaben."

Die Vorstellung, in eine klassische Männerdomäne einzubrechen, findet Kreil eher attraktiv als abschreckend. "Bei Siemens bin ich auch die einzige Frau in der ganzen Abteilung, und das klappt super", sagt sie. "Wenn ich unter Frauen bleiben wollte, hätte ich auch eine Friseurlehre machen oder ins Büro gehen können. Aber ich arbeite einfach lieber mit Männern als mit Frauen zusammen." Ein großer Teil ihres Freundeskreises besteht aus Männern, sagt sie, und die meisten von ihnen haben gedient oder sind noch beim Bund. Das habe sie geprägt. Mit Mädchen kam sie schon in der Schule nicht gut klar: "Die Mädels waren zickig, und wenn man was Falsches gesagt hat, hatte man fünf Jahre lang verschissen. Bei den Männern geht das direkter. Wenn mir was nicht passt, sage ich: Du laberst Scheiße, dann sagen die mir: Du bist eine blöde Kuh, und dann hat sich das erledigt."

"Das ist purer Egoismus"

Tanja Kreil versteht sich mitnichten als Vorkämpferin für die Gleichberechtigung. "So werde ich immer dargestellt, aber das bin ich nicht." Sie interessiert sich kaum für derartige politische Anliegen, sagt sie. Sie will einfach nur das bekommen, was ihr nach ihrem Gerechtigkeitsempfinden zusteht. "Es geht mir in erster Linie um mich. Ich will meine berufliche Zukunft haben, ich will etwas erreichen, das ist purer Egoismus." Statt eine Vorkämpferin zu sein, beschleicht sie manchmal eher das Gefühl, "dass ich die doofe Nuss bin, die das jetzt alles ausbadet".

Dieser Medienrummel. Fast 200 Interview-Anfragen von Fernsehsendern und Zeitungen hat sie in den vergangenen drei Jahren bekommen. Anfangs ließ sie sich noch bereitwillig auf jeden Gesprächswunsch ein. Bald aber nervte es sie, immer wieder die gleiche Geschichte zu erzählen. Und als ihr dann eine Zeitschrift mal ein falsches Zitat in den Mund legte, beschloss sie, keine Interviews mehr zu geben. Für kurze Zeit überlegte sie gar, die Klage fallen zu lassen. "Ich habe mich gefragt: Für wen mache ich mich hier eigentlich zum Kasper?" Sie zog sich zurück, ließ sich eine Geheimtelefonnummer geben.

Da bekam es der Bundeswehrverband mit der Angst zu tun. Er fürchtete offenbar den Verlust des öffentlichen Interesses an dem Fall. Tanja Kreil ließ sich vom Verband und von ihrem Verlobten überreden, für die gute Sache bis zum Schluss ihren Kopf hinzuhalten. Auch wenn sie noch gar nicht weiß, was sie machen wird, wenn die Richter ihr Recht geben. "Ich werde bestimmt nicht gleich am Mittwoch kündigen, sondern erst mal abwägen, was für meinen persönlichen Berufsweg das Beste ist." Aber den Verband könne sie nicht hängen lassen, sagt sie, "die haben schon so viel Mühe und Geld in mich reingesteckt." Neben den Anwaltskosten zahlen sie unter anderem auch die Fahrten zum Luxemburger Gericht. Also hält Tanja Kreil durch. Man kann schließlich nicht so kurz vor dem Ziel aufgeben. Sagt sie und lächelt wieder.

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