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Politik: Der Mut zum Besonderen

DIE SPD WILL ELITE-UNIS

Von Hermann Rudolph

Ein Stein wird ins Wasser geworfen, damit sich Kreise bilden. Aber wohin sollen die etwas plötzlichen Sympathien ausgerechnet für Hochleistungsuniversitäten weisen, die Franz Müntefering, Stratege und Stichwortgeber der SPD, und deren Generalsekretär Scholz sozusagen im Gleichtakt zu Protokoll gegeben haben? Natürlich, sie sollen die Innovationsoffensive illustrieren, die der Bundeskanzler ausgerufen hat und über die die SPD seit gestern in Weimar berät. Aber etwas verwundert darf man auch sein: Der Sehnsuchts-Blick nach den Ivy-League-Universitäten in England oder Amerika, die Forderung nach Leistungseliten waren noch nie Sache der SPD. War sie nicht eben erst dabei, sich von neuem in die alte Debatte über soziale Gerechtigkeit zu verstricken?

Natürlich stellt sich da sogleich der hässliche Verdacht ein, es gehe der SPD vor allem darum, in der vorherrschenden Stimmungslage von Krisen- und Aufbruchbeschwörung ein Feld zu besetzen, auf dem es, wie bekannt, in der Bundesrepublik nicht gut aussieht, auf dem man aber, vielleicht, einmal ernten kann, wenn man sich seiner annimmt. Andererseits ist die SPD seit längerem dabei, sich aus ihren alten Stellungen hinauszubewegen. Dazu passt die Entdeckung nicht schlecht, dass die SPD doch eigentlich eine Partei des Fortschritts, der Erneuerung und der Zukunft ist. Dass bei ihr also auch herausragende Leistung, Exzellenz, gut aufgehoben sein könnte – die SPD nicht nur Tanker und Versorgungsdampfer, sondern auch Forschungsschiff und ehrgeizige Hochseeyacht und vielleicht sogar Eisbrecher.

Immerhin operierte die SPD damit in Sichtweite der aktuellen deutschen Problemkulisse. Die Hochschulen wissen ja längst, dass sich in der Ausbildung von Leistungsträgern und Spitzenforschern ihre – und unsere – Zukunft entscheidet. Niemand braucht auch den Forschungseinrichtungen zu sagen, dass sie hart am Wind der internationalen Konkurrenz segeln. Eine Berliner Initiative – getragen von der Robert-Bosch-Stiftung, der Gesellschaft für Auswärtige Politik, der Stiftung Wissenschaft und Politik und dem privaten Tönnissteiner Kreis – arbeitet sich seit 1999 an den Defiziten ab, an denen die Bundesrepublik personell auf der internationalen Ebene leidet. Und in den letzten Wochen haben gleich zwei „Schools of Governance“, bestimmt zur Qualifizierung von Führungskräften, das Licht der Welt erblickt – die eine eine Gründung der Berliner Humboldt-Universität und der in Frankfurt/Oder, die andere der Hertie-Stiftung, auch sie in Berlin.

Mittlerweile wissen aber auch alle, dass die Bundesrepublik hier vieles versäumt hat. So lange ist es ja noch nicht her, dass Elite in Deutschland ein Reizwort war, weil es die mächtige Überzeugung von der Notwendigkeit von Ausgleich und Gleichbehandlung verletzte. Noch immer ist es fraglich, ob sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass moderne Gesellschaften nicht nur auf eine gute Portion Gleichheit, sondern auch auf die Herausforderung der Ungleichheit angewiesen sind. Und dass Elite nicht Kaste und Allüre meint, sondern die Antwort auf die Frage darstellt, wie in einer durchorganisierten Gesellschaft genügend Freiräume und Kapillaren offen gehalten werden können, damit das Besondere, das Neue, das bislang Ungedachte entsteht – zu unser aller Nutzen.

Mit flotten Jahresanfangs-Interviews, den Finger im Wind des Zeitgeistes, ist es da nicht getan. Auch nicht mit Parade-Projekten, die man auf internationales Niveau päppelt – vorbei an einem Hochschulwesen, das man im eigenen, finanziell ausgedünnten Saft köcheln lässt. Weiter führte es schon, wenn Schwerpunkte zielstrebig und ausdauernd gefördert würden, in den Hochschulen und außerhalb von ihnen. Aber nicht zuletzt brauchte es eine Änderung des öffentlichen Bewusstseins: nämlich die Bereitschaft, anderes und Besseres nicht nur zu tolerieren, sondern zu wünschen, dazu die Einsicht, Exzellenz nicht nur gelten zu lassen, sondern als notwendige Bedingung unserer Zukunft zu begreifen. Da muss man dann wirklich über die Hürde. Man kann nämlich das Besondere nicht haben, wenn es zugleich alle anderen auch haben sollen.

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