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Politik: Die Versuchung der Steuermänner

GROSSE FINANZREFORM

Von Ursula Weidenfeld

Diese Idee eines Steuersystems ist wirklich verlockend: Zum Jahresende zählen jeder Bürger und jedes Unternehmen Einkommen und Gewinn zusammen, schreiben die Summe auf eine Postkarte und liefern die beim Finanzamt ab. Jeder weiß schon beim Abschicken, was an Steuern fällig wird. Keine umständliche Steuererklärung, kein teurer Steuerberater, kein Überlegen, was in letzter Minute noch steuermindernd angeschafft werden kann. Nur einen klaren Steuersatz für jeden: zwölf Prozent für Geringverdiener, 24 Prozent für mittlere Einkommen, 36 Prozent für Spitzenverdiener und Kapitalgesellschaften. Keine Ausnahmen, keine Subventionen, keine Vergünstigungen. Das ist es: elegant, klar und radikal.

Das wäre es. Doch ein solches Steuerkonzept, wie der CDU-Spitzenpolitiker Friedrich Merz es will, verlangt mehr als finanzpolitische Konsequenz. Es verlangt entschlossenes Umdenken – nicht nur bei Bürgern und Firmen. Auch und vor allem beim Staat. Die Steuerbürger müssten sich an ein Leben mit viel mehr persönlicher Freiheit gewöhnen. Das ist für viele keine Verlockung – anders lässt sich die allgemein verbreitete Abneigung gegen das aktuelle rot-grüne Reformprogramm kaum lesen. Wie viel bedrohlicher wäre also für viele Menschen ein Staat, der seinen Bürgern zwar 45 Milliarden Euro zurückgäbe – aber seine eigenen Leistungen um denselben Betrag reduzierte. 45 Milliarden Euro, die für viele nicht nach mehr Freiheit, sondern nach mehr persönlichem Risiko klingen.

Mindestens ebenso wichtig ist aber, dass ein solches neues Steuersystem ein anderes Verständnis des Staates, der Politik von sich selbst verlangt: ein Staat, der die Kraft hat, sich zurückzunehmen. Ein Staat, der bereit ist, seine Bürger freizugeben. Ein Gemeinwesen, das darauf verzichtet, seinen Bürgern das Abschließen einer Lebensversicherung, das Leben auf dem Land, das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel oder das Sparen fürs Alter schmackhaft zu machen. Das ihn nicht bestraft, wenn er sein Geld für Dinge verprasst, die der Staat verwerflich findet.

Wer sich fragt, warum ein solch radikales Steuermodell bisher fast nur in den Reformstaaten Osteuropas, in Neuseeland und teilweise in den USA verwirklicht wurde, findet hier den größten Teil der Antwort: Für kontinentaleuropäische westliche Traditionen ist es bisher kaum vorstellbar, dass der Staat sich in diesem Ausmaß zurücknimmt.

Und zwar nicht nur, weil die Politik nur von dem Verlangen geleitet wäre, die Zügel in der Hand zu behalten. Nein, das Selbstverständnis eines steuernden Staates geht viel tiefer: Er lässt sich von dem Gedanken leiten, dass der Bürger gelenkt werden will. Genau an diesem Punkt macht auch Friedrich Merz kleinmütig kehrt: In der Familienpolitik ist sein klares Konzept durch hohe Freibeträge weich gespült, bei der Eigenheimförderung soll alles bleiben, wie es ist. Auch will er das Dienstmädchenprivileg wieder einführen – was nichts anderes heißt, als dass die Betreuung von Kindern und Alten im Haushalt zu erwünschtem Verhalten erklärt und deshalb von der Steuer freigestellt wird.

Da ist er wieder, der lenkende, der besserwissende Staat, den Merz gerade feierlich verabschiedet hatte. Da ist sie wieder, die Frage, wer in der Politik die Kraft hat, es dem Bürger zu überlassen, welche Ziele und Werte er in seinem Leben verfolgen will. Da ist er wieder, der Verdacht, dass statt einer neuen Steuer etwas ganz anderes entwickelt wurde: die Verhandlungsmasse für ein Ja der Union zum Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform. Im guten alten System der progressiven Einkommenbesteuerung mit den vielen schönen Ausnahmen.

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