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Politik: Fischer sagt aus: Sein Blick in den Abgrund

Er hat sich gesträubt gegen diesen Auftritt in Frankfurt. Er hätte seine Aussage am liebsten unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Berlin gemacht.

Er hat sich gesträubt gegen diesen Auftritt in Frankfurt. Er hätte seine Aussage am liebsten unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Berlin gemacht. Er wollte den Frankfurter Gerichtssaal gestern diskret durch einen Hintereingang betreten, aber auch das hat ihm der Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke verwehrt, der Joschka Fischer wie jeden anderen Zeugen behandelt sehen wollte. Das ist der amtierende Außenminister natürlich nicht. Doch auch ein Normalsterblicher würde sich nicht gerne in einem Prozess gegen einen mutmaßlichen Terroristen erklären, der dreier Morde beschuldigt wird.

Die Verlegenheit des Joschka Fischer greift allerdings tiefer. Die Konfrontation mit Hans-Joachim Klein ist ein später Blick in jenen Abgrund, an dem Fischer selbst einst knapp vorbeischlitterte, in jener Zeit, aus der in diesen Wochen Fotos auftauchten, welche die beiden Frankfurter Spontis Klein und Fischer beim gemeinschaftlichen Verprügeln eines Polizisten zeigen. Der Anfang der Geschichte ist längst nicht ehrlich erzählt, nur das vorläufige Ende ist bekannt: Der Angeklagte Klein steht vor einer hohen Gefängnisstrafe und den Trümmern seiner Existenz. Der Zeuge und frühere Mitstreiter Fischer wurde Außenminister.

Doch dass die Aussagen Fischers gestern kaum mehr als beredtes Ausweichen zutage förderten, liegt auch daran, dass er in der Öffentlichen Wahrnehmung längst selbst zum Angeklagten geworden ist. Zur Last gelegt werden ihm die wilden Fotos aus den siebziger Jahren und der bislang nur durch vage Aussagen genährte Verdacht, dass Fischer indirekt auch an schlimmeren Straftaten beteiligt war, zum Beispiel am Brandanschlag auf den Polizisten Jürgen Weber am 10. Mai 1976. Daraus folgern konservative und linke Kritiker Fischers, dass er als Außenminister untragbar geworden sei. Die einen halten ihm die Vergangenheit vor, die anderen die Gegenwart - als ein einziger Verrat an der eigenen Biografie.

Aber die Forderungen nach einem Rücktritt sind immer noch ungerechtfertigt. Denn es ist ja wahr, wofür seine vielen öffentlichen Verteidiger plädieren: Dass das politische Leben Fischers ein Beweis für die Lernfähigkeit eines ehemaligen Extremisten und für die Integrationskraft der deutschen Demokratie ist. Man muss aber hinzufügen, dass dies nur so lange gilt, wie die heutigen Erkenntnisse nicht durch neue widerlegt werden. Auch vor Gericht hat sich Fischer festgelegt: Mit Molotow-Cocktails hatte er nie etwas zu tun.

Es gibt noch eine andere Form der Schuld, deren Eingeständnis nicht zum Rücktritt führen würde, sondern die Glaubwürdigkeit des Politikers erst unter Beweis stellte. Es ist die Frage nach der Verantwortung für die persönlich begangenen Fehler. Da war Fischer bislang trotz seiner eilfertig augesprochenen Entschuldigung nicht überzeugend. Nur wenige gehen gerne mit Straftaten hausieren. Dennoch ist der Vorwurf seiner Gegner berechtigt, Fischer habe immer nur dann etwas preisgegeben, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden ließ.

Es mag ja sein, dass er das Abdriften seines Genossen Klein in den Untergrund nicht bemerkte, und womöglich hat Fischer tatsächlich nie den Einsatz von Brandbomben befürwortet. Doch anders etwa als etliche ehemalige Extremisten aus Italien (die seinerzeit mit den Frankfurter Spontis gut vernetzt waren) hat sich merkwürdigerweise noch nie einer aus der "Putzgruppe" als "schlechter Lehrmeister" bekannt - als falsches Vorbild für andere Genossen, die etwas weniger smart waren oder nur etwas weniger Glück hatten, und das wirre Zeug, das die Fischers und Cohn-Bendits propagierten, etwas zu wörtlich nahmen.

Der Außenminister führt zur Rechtfertigung indes nicht den eigenen Geisteszustand an, sondern den Geist jener Zeit - als ob die winzige Szene der Linksradikalen in Frankfurt stellvertretend für eine ganze Generation gewütet hätte. Wäre das so gewesen, dann hätte sie es vielleicht sogar geschafft, wie geplant, die parlamentarische Demokratie zu zerschlagen oder den Kapitalismus abzuschaffen, was bekanntlich doch nicht ganz gelungen ist. Ein kleiner Teil der kleinen Szene amtiert heute statt dessen als Minister, Botschafter oder Meinungsführer. Was haben diese Gewinner heute eigentlich noch zu verlieren, dass sie sich alle um diese Wahrheit drücken?

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