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Politik: Hört auf die Spielverderber!

Von Robert Ide

Das Zitat des Tages lieferte wieder einmal Franz Beckenbauer ab. Der Organisationschef der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 reagierte auf die Mängelliste der Stiftung Warentest für die deutschen WM-Stadien mit einem Scherz: „Die Stiftung Warentest kennt sich vielleicht mit Gesichtscreme, Olivenöl und Staubsaugern aus. Dabei sollen sie bleiben.“ Sehr witzig, Franz! Leider aber sehr unpassend.

Die Stiftung Warentest kennt sich auch mit WM-Stadien aus. Das hat sie am Dienstag bei ihrer Pressekonferenz in Berlin bewiesen. In ihrer Studie weisen die Tester gravierende Sicherheitsmängel in mehreren Arenen nach. In Gelsenkirchen gibt es keine Fluchttore, durch die Fans im Falle einer Panik auf den Rasen laufen können, ebenso wenig im mit Bundesmitteln erbauten Leipziger Zentralstadion. Dort müssten Zuschauer erst eine 90 Zentimeter hohe Betonwand überklettern und danach 3,40 Meter in die Tiefe springen. Auch im vorrangig mit öffentlichem Geld finanzierten Berliner Olympiastadion stellt der Sicherheitsgraben bei einer Panik ein unüberwindbares Hindernis dar. Und in Kaiserslautern besteht Brandgefahr, weil die Pressetribüne aus Holz gezimmert ist. Bis zum Eröffnungsspiel in fünf Monaten muss hier nachgearbeitet werden. Peinlich, dass das den lokalen Baubehörden und dem Fußball-Weltverband Fifa nicht schon früher aufgefallen ist.

Wie reagieren die WM-Organisatoren? Beleidigt, überheblich, unangemessen. Das Organisationskomitee sendet den an Norbert Blüm erinnernden Durchhalte- Slogan „Die Stadien sind sicher“ in alle Welt, Franz Beckenbauer hat nichts Besseres zu tun, als das unabhängige Testinstitut lächerlich zu machen – übrigens noch vor Bekanntgabe der Prüfergebnisse. Der Beißreflex der WM-Planer ist nicht neu. Gibt es Kritik an der Organisation oder Verbesserungsvorschläge etwa von Verbraucherschützern oder seitens der Politik, kontern die Verantwortlichen meist mit dem Vorwurf: Ihr Spielverderber macht die WM kaputt!

Richtig ist: Die Fußball-Weltmeisterschaft ist eine internationale Veranstaltung des Weltverbandes Fifa. Wichtig ist aber auch: Das Weltereignis findet in Deutschland statt – in einem Land, das sich gerne der perfekten Organisation rühmt; in einem Land, das mit der WM endlich den Aufschwung schaffen will; zugegeben, auch in einem Land der Sicherheitsfanatiker und Pedanten. Verglichen mit der Situation anderer Stadien der Welt mag die Mäkelei der Stiftung Warentest an der Höhe der Treppenstufen in der Arena Frankfurt am Main kleinkariert sein. Aber mit Blick auf eine mögliche Panik ist sie berechtigt. Und sie ist ein guter Anlass, grundsätzlich über die Stadien der Neuzeit nachzudenken.

Die Arenen werden kompakter, die Tribünen steiler, die Treppen enger – so soll der Rasen zur Theaterbühne werden. Für einen spektakulären Eindruck sind jedoch zu viele Sicherheitsstandards vernachlässigt worden. Natürlich ist es ein Fortschritt, dass die Zäune zum Spielfeld abmontiert wurden. In ihrer panischen Angst vor Flitzern, die auf den Platz laufen, haben die Planer aber neue Barrieren errichtet oder alte nicht entfernt. Nach dem internen Pflichtenheft der Fifa soll die erste Tribünenreihe so angehoben sein, dass eine Überwindung „unmöglich oder zumindest unwahrscheinlich“ ist. Das Dumme ist nur, dass Fans, wenn sie in Panik geraten – das kann in Zeiten der Terrorangst schon durch einen dummen Zufall oder ein böses Gerücht geschehen – die Tribünen hinunter auf den Rasen flüchten, nicht die Tribünen hinauf zu den Notausgängen. Die Grundsatzfrage lautet deshalb: Ist es wichtiger, das Spiel auf dem Rasen zu schützen als die Zuschauer auf den Rängen?

Im Streit um einen WM-Einsatz der Bundeswehr haben Organisatoren und Ordnungskräfte die deutschen Stadien zu den sichersten Orten der Welt erklärt. Was die äußeren Kontrollen betrifft, ist diese Feststellung immer noch richtig. Was die innere Sicherheit der Arenen betrifft, sollten die Organisatoren neu nachdenken und schnell nachbessern anstatt Witze zu machen.

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