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Politik: Im Zweifel für den Angeklagten

Der Bundesgerichtshof verhandelt über den verurteilten Terrorhelfer Motassadeq – und kritisiert dessen Prozess

Die Entscheidung war umstritten, seit Donnerstag überprüft sie der Bundesgerichtshof (BGH): Mounir al Motassadeq, der wegen der Anschläge des 11. September weltweit erste Verurteilte, hofft jetzt auf die Revision in Karlsruhe. Er muss sich noch gedulden. Nach vierstündiger Verhandlung teilte Klaus Tolksdorf, Vorsitzender Richter des Staatsschutzsenats des BGH, mit, das Gericht werde sein Urteil erst am 4. März bekannt geben. Den langen Zeitraum begründete er unter anderem mit dem Beratungsbedarf des Senats. Bohrende Fragen zeigten, dass die Karlsruher Richter in der Zurückhaltung eines wichtigen Zeugen durch die Amerikaner ein gewichtiges Rechtsproblem sehen.

Mounir al Mottasadeq war nach einem langen Indizienprozess vom Oberlandesgericht (OLG) Hamburg im Februar 2003 wegen Beihilfe zu 3066 Morden zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Motassadeq zur Hamburger Zelle um Mohammed Atta gehörte und bis zuletzt in die Attentatspläne des 11. September eingebunden war. Während sich Atta und zwei weitere Hamburger Studenten in den USA als Todespiloten ausbilden ließen, soll er ihre Abwesenheit verschleiert und Geldtransfers vorgenommen haben.

Mottassadeq bestreitet bis heute seine Beteiligung. Er und seine Verteidiger hatten in dem Hamburger Verfahren beantragt, den in US-Gewahrsam befindlichen Ramzi Binalshibh als Zeugen zu hören. Binalshibh war ein enger vertrauter Attas und setzte sich kurz vor dem Attentat ab, wurde aber später in Pakistan verhaftet und den Amerikanern übergeben. Angeblich sagte Binalshibh aus, dass nur die Todespiloten und er die Attentatspläne kannten. Mitwisser habe es keine gegeben. Die amerikanischen Behörden verweigerten ohne Begründung eine Aussagegenehmigung für Binalshibh. Weil Mottassadeq dadurch ein zentraler Beweis für seine Unschuld genommen wurde, ist nach Überzeugung seiner Verteidigung das Menschenrecht auf ein faires Verfahren verletzt. Anwalt Gerhard Strate berief sich auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Danach entschied das Straßburger Gericht im Juni 2003 gegen Großbritannien, dass die Strafverfolgungsbehörden nicht alleine darüber befinden können, ob sie einem Strafverfahren Zeugen zur Verfügung stellen oder nicht. Verteidiger Josef Gräßle-Münscher beantragte in seinem langen Plädoyer sogar Freispruch.

Der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rolf Hannich, hielt dagegen. Die USA seien völkerrechtlich nicht verpflichtet gewesen, Binalshibh in Hamburg aussagen zu lassen, es handele sich um eine „Soll-Bestimmung“. Es gebe auch in anderen Strafprozessen V-Männer, die keine Aussagegenehmigung erhielten, oder Zeugen, die von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machten. Das führe nicht zu einer Einstellung des Verfahrens. Vielmehr könne das Gericht aufgrund anderer Beweise die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewinnen. So sei es bei dem marokkanischen Elektrotechnik-Student Motassadeq gewesen.

Doch die fünf Richter des 3. Strafsenats gaben zu bedenken, dass das Fehlen einer wichtigen Zeugenaussage möglicherweise die Anforderungen an die Beweiswürdigung erhöht – und bezweifelten damit indirekt, dass das Hamburger Gericht diesen Anforderungen genügt hat. Wie das Verfahren ausgeht, ist offen, fest steht nur: Die Richter schreiben ein Grundsatzurteil, das die juristische Aufarbeitung des 11. September in Deutschland bestimmen wird.

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