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Politik: Kratzen am Konsens

Mit ihren Thesen zur Bioethik hat Justizministerin Zypries den Stammzell-Kompromiss in Frage gestellt. Doch für einen Kurswechsel ist noch keine Mehrheit in Sicht

Der Vorstoß der Brigitte Zypries kam unerwartet. Ein Jahr ist sie nun schon Justizministerin. Ein Jahr lang hat sie keinen Schritt auf das heikle Feld der Biopolitik gewagt. In dieser Woche aber hat sie sich massiv in den politischen Diskurs über Forschungschancen und Embryonenschutz eingeschaltet. Sie erklärte den im Reagenzglas gezeugten Embryo zwar zum Träger von Grundrechten, sagte aber zugleich, dass „in vitro“ befruchteten Eizellen noch keine Menschenwürde zukomme. Zudem hat Zypries in ihrer viel beachteten Rede in der Berliner Humboldt-Universität eine Überprüfung und Lockerung des Stammzellgesetzes für möglich erklärt.

Erst jetzt wird den Skeptikern der Gentechnik bewusst, welches Bollwerk gegen ethische Grenzgänge sie mit der bisherigen Justizministerin hatten. Zypries’ Vorgängerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) hatte im Kabinett sämtliche Begehren, die Ethik der Forschung unterzuordnen, mit Hinweis auf das Grundgesetz zurückgewiesen. Ihr Motto: Die Verfassung schützt jedes Leben von Anfang an, keine Experimente, Ende der Diskussion. Mit dem gleichen Grundgesetz in der Hand kommt Zypries nun zu einem anderen Schluss. Schon hallt der Verdacht durch Berlin, die Ministerin wolle – womöglich im Auftrag des Kanzlers, der einst eine Gentechnikdiskussion „ohne Scheuklappen“ forderte – mühsam erarbeitete Grenzen einreißen.

Tatsächlich bleibt die entscheidende Frage, ob Zypries theoretische Betrachtungen zum Schutz von Embryonen nur der Vorbote eines Paradigmenwechsels in der Biopolitik sind – vor allem für eine Neuregelung zur Forschung an embryonalen Stammzellen. Mit dem Stammzellgesetz, das vor eineinhalb Jahren nach langer Verhandlung von einer Mehrheit im Bundestag verabschiedet wurde, bleibt die Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken strikt verboten. Auch so genannte überzählige Embryonen aus der künstlichen Befruchtung sind als Stammzellen-Lieferanten tabu. Der Kompromiss sieht vor, dass in Deutschland lediglich an importierten Zellen aus dem Ausland geforscht werden darf – unter strengsten Auflagen.

Schon damals jedoch hielten die Fürsprecher der Stammzellforschung im Parlament die Regelung für zu restriktiv und forderten etwa, überzählige Embryonen der In-vitro-Befruchtung der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Nun hoffen die Forschungsfreunde im Parlament, dass die Zeit mit ihnen zieht und die ethisch-juristischen Standards sich doch noch aufweichen lassen.

„Akut besteht kein Handlungsbedarf“, sagt Forschungsministerin Bulmahn. Aber man werde stetig prüfen, ob die Rahmenbedingungen noch die richtigen sind – und zwar unter ethischen, wissenschaftlichen und auch wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Solche Aussagen nähren bei den Skeptikern den Verdacht, dass die Stimmung im Lande kippen könnte: hin zur wirtschaftlichen Nutzung von Embryonen.

Doch noch ist keine Mehrheit für einen Paradigmenwechsel in Sicht, das haben die bisherigen Reaktionen aus allen Parteien gezeigt, vor allem die aus der Union. Mit einer Ausnahme: „Gut und mutig“ findet der frühere CDU-Generalsekretär Peter Hintze, dass Zypries die öffentliche Diskussion um die Grenzen der Forschung neu entfacht hat. Allerdings kritisiert der Theologe die „kategoriale Verwirrung“ in der juristischen Begründung ihrer Position. Er hätte sich eine klarere Unterscheidung zwischen der befruchteten Eizelle im Labor und dem tasächlichen Menschen erhofft, denen man nicht das gleiche Schutzrecht und die gleiche Würde zusprechen könne. Zudem hätte sich Hintze einen Hinweis darauf gewünscht, dass der Staat auch eine Schutzpflicht für schwer kranke Menschen hat, die ethisch mindestens genauso schwer wiege wie der Schutz des ungeborenen Lebens. Denn „langfristig“, da ist sich Hintze sicher, „wird sich die Ethik des Heilens durchsetzen“.

Markus Feldenkirchen

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