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Sozialismus: Kuba auf China-Kurs

Castros Bruder Raúl will eine wirtschaftliche Öffnung ohne politische Freiheit. An diesem Sonntag wird die Nationalversammlung gewählt.

Seit fast anderthalb Jahren hat die kubanische Bevölkerung ihr Staatsoberhaupt Fidel Castro nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Trotzdem besteht kein Zweifel, dass der greise „Máximo líder“ bei der Parlamentswahl an diesem Sonntag wieder einen Sitz in der Nationalversammlung ergattern wird. Spannend wird es auf Kuba nach dem Urnengang: 45 Tage haben die Abgeordneten dann Zeit, die neue Staatsspitze zu bestimmen – und die politische Zukunft von Fidel Castro zu klären, der seit 1959 die Geschicke des einzigen kommunistisch regierten Landes der westlichen Hemisphäre lenkt.

Sein brasilianischer Kollege Luiz Inacio Lula da Silva fand bei einem Besuch in Kuba diese Woche zwar, Fidel Castro erfreue sich guter Gesundheit und sei fit genug, wieder in der Politik mitzumischen. Doch Castro wirkte eingefallen, ausgezehrt. Mitte Dezember sorgte ein zweideutig formulierter „Abschiedsbrief“ für Aufregung, in dem er beteuerte, „nicht an Posten zu kleben“. Und gleich nach Lulas Abreise räumte der 81-Jährige im kommunistischen Parteiorgan „Granma“ ein, für den derzeitigen Wahlkampf nicht mehr fit genug zu sein, daher beschränke er sich auf das Verfassen von Kolumnen. Der Abschied von der Macht fällt schwer. „Revolutionäre gehen nicht in Rente“, hat er selbst einmal gesagt. Doch ein kleines Fragezeichen bleibt: Wird Castro erneut zum Staatsratsvorsitzenden und Präsidenten gewählt, ein Amt, das er seit 1976 innehat? Oder delegiert er?

In Wirklichkeit ist seine Ära vorbei, er selbst Geschichte. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat sein Bruder und designierter Nachfolger Raúl im Stillen den Kurs korrigiert. Sein Vorbild ist China, entsprechend offen ist er – im Gegensatz zu Fidel – für kapitalistische Elemente, die Kubas marode Staatswirtschaft auf Vordermann bringen und seine eigene Macht absichern sollen. So unterzieht er die Bürokraten der Staatsfirmen regelmäßig Kursen über die neuesten Managementmethoden, hat Ineffizienz und mangelnde Arbeitsmoral kritisiert und landesweit eine Diskussion über Kurskorrekturen gestartet, was große Erwartungen in der Bevölkerung geweckt hat. Die leidet unter Wohnungsnot, Versorgungsengpässen und einer katastrophalen Transportsituation.

Wirtschaftsexperten bezweifeln, dass kleine Korrekturen ausreichen, um die Ökonomie zu entzerren, die durch die Koexistenz von ausländischem Kapitalismus, zum Beispiel im Tourismus, und einheimischer Planwirtschaft geprägt ist. Bestes Beispiel für die Verwerfungen sind die verschiedenen Währungen, die auf der Insel zirkulieren und die Gesellschaft in Pesobesitzer und wohlhabendere Devisenbesitzer aufgespalten haben.

Raúl weiß seit der sowjetischen Perestroika um das explosive Potenzial einer unkontrollierten Öffnung und hat daher gleichzeitig politisch die Zügel angezogen. Dissidenten werden weiter unterdrückt und unterwandert, die regimekritische katholische Kirche und die ausländische Presse gegängelt und eingeschüchtert. Die Schlüsselstellen im Staat hat der Verteidigungsminister mit ihm getreuen Militärs besetzt. Die Uniformierten gelten als effizient, sind mit ihrer Holding „Grupo de Administración Empresarial“, die mehrere hundert Betriebe von der Landwirtschaft bis zum Tourismus kontrolliert, zu einer privilegierten Wirtschaftsmacht geworden und eine wichtige Stütze des Systems. Gleichzeitig hat Raúl einen kollektiveren Führungsstil eingeführt – international lässt er sich beispielsweise meist durch Vizepräsident Carlos Lage repräsentieren – und fördert junge Kader. Das auf Fidels Person und Charisma zugeschnittene politische System ist passé, ersetzt durch einen bürokratischen Sozialismus, gestützt auf Partei, Staatsapparat und Armee.

Der von manchen Beobachtern erwartete Machtkampf zwischen Reformern und Hardlinern ist bislang ausgeblieben. Der 76-Jährige mag zwar andere strategische Entscheidungen treffen als sein Bruder, doch im Ziel stimmen beide überein – das kubanische Modell des Sozialismus zu retten, das insbesondere bei jungen Leuten durch seine permanente Mangelwirtschaft und seine politische Gängelung an Attraktivität verloren hat. Rund 35 000 Menschen verlassen jedes Jahr die Insel. „Die Bevölkerung ist müde geworden, nicht mehr so kämpferisch und enthusiastisch wie früher“, räumt selbst ein kommunistischer Blockwart ein.

Gerade rechtzeitig ist Fidel und Raúl ein wichtiger Verbündeter erwachsen: Venezuelas Präsident Hugo Chavez, der nach Schätzungen des Forschungsinstituts der kubanischen Wirtschaft (CEEC) jährlich sechs Milliarden Dollar an Devisen und Erdöl nach Kuba transferiert und damit einen nicht unerheblichen Beitrag zur Stabilität leistet. Raúl hat außerdem wirtschaftliche Kontakte zu Ländern wie China und Brasilien geknüpft, womit die internationale Isolierung durch das seit 45 Jahren geltende US-Embargo langsam durchbrochen wird. Eine Überlebensgarantie für das kubanische Regime ist das alles jedoch nicht, stellte die Konrad-Adenauer-Stiftung in einem Strategiepapier zur kubanischen Wirtschaft fest. „Schon andere als stabil geltende Systeme sind mehr oder weniger über Nacht zusammengebrochen.“

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