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Großbritannien: Macht macht unbeliebt

Wegen der Erhöhung der Studiengebühren geraten die britischen Liberaldemokraten unter Druck. Schüler und Studenten demonstrierten erneut.

In Großbritannien haben Schüler und Studenten am Dienstag erneut mit landesweiten Schulstreiks und Demonstrationen gegen die Verdopplung der Studiengebühren auf über 6000 Pfund (7200 Euro) pro Jahr protestiert. Aber der Effekt verpuffte, da viele Schulen ohnehin wegen Schnee und Kälte geschlossen waren. Die Proteste richteten sich wieder in erster Linie gegen Vizepremier Nick Clegg und seine Liberaldemokraten.

Die von Clegg geführten Liberaldemokraten hatten im Wahlkampf im Frühjahr die Abschaffung der Studiengebühren versprochen. Parteichef Clegg persönlich unterzeichnete das Gelöbnis, die Studiengebühren – bisher 3290 Pfund im Jahr – abzuschaffen. Damit brachte er Studenten als Wähler hinter sich. Dass er einmal eine Entscheiderrolle in einer Regierung übernehmen würde, war damals ein akademisches Gedankenspiel. Inzwischen regieren die Liberaldemokraten in London mit, und nun muss Clegg die Verdopplung der Gebühren rechtfertigen – eine fast unmögliche Aufgabe.

Die Zahl der Liberaldemokraten, die das Reformgesetz bei der kommenden Abstimmung im Unterhaus unterstützen werden, schmilzt. Clegg kann nicht einmal sicher sein, dass der für die Reform verantwortliche Parteikollege, Wirtschaftsminister Vince Cable, im Unterhaus für das eigene Gesetz stimmt. Die Liberaldemokraten haben sich im Koalitionsvertrag das Recht zur Stimmenthaltung ausbedungen. Wenn sie geschlossen davon Gebrauch machen wollen, wird sich auch Cable anschließen, obwohl er die Politik inzwischen als „richtig und gerecht“ bezeichnete.

Nach dem Eintritt in die Koalition versuchten die Liberaldemokraten zunächst, ihr Versprechen mit dem Vorschlag einer Graduiertensteuer wahrzumachen. Aber sie mussten sich den Argumenten einer Expertenkommission beugen, welche Studiengebühren, gekoppelt mit Krediten und generösen Rückzahlungsbedingungen, für die gerechteste Lösung hielt.

Clegg schrieb nun an Studentenführer Aaron Porter, der eine Kampagne gegen Liberaldemokraten führt, die ihr Wahlversprechen brechen. Als Koalitionspartner hätten die Liberaldemokraten nicht die Macht, Studiengebühren abzuschaffen, deshalb setzten sie nun die fairste mögliche Lösung durch, argumentierte Clegg.

Im Streit um die Studiengebühren verdeutlicht sich das Koalitionsproblem der Liberaldemokraten. Ihre Popularität hat sich seit der Wahl auf nur elf Prozent halbiert. Das Wahlrechtsreferendum im Mai, das sie als Preis für die Koalition durchsetzten, werden die Liberaldemokraten nach heutigem Stand verlieren. Clegg versucht verzweifelt, bis zur Abstimmung im Dezember alle Widersprüche aufzulösen. Die „Times“ hat dafür ein neues Wort vorgeschlagen: „Cleggery“ – zwei entgegengesetzte Konzepte gleichzeitig für richtig halten.

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