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Politik: Stimmung statt Programm

In seiner Rede an die Nation umwarb Bush vor allem konservative Wähler – neue Projekte präsentierte er nicht

Es ist ein Ritual, und zum Ritual gehört, dass mitgezählt wird. Vorab also die Daten: Die diesjährige „State of the Union“-Rede des amerikanischen Präsidenten bestand aus 5229 Worten, dauerte 54 Minuten, enthielt mindestens zehn Mal das Wort „Krieg“, es wurde 71 Mal applaudiert, am längsten, als George W. Bush einen der Ehrengäste auf der Tribüne begrüßte – den derzeitigen Präsidenten des von den Amerikanern eingesetzten irakischen Regierungsrates, Adnan Pachachi.

Was wurde sonst noch registriert? Als Bush sich im Sitzungssaal des Repräsentantenhauses, wo sich beide Häuser des Kongresses versammelt hatten, seinen Weg durch händeschüttelnde Parteifreunde bahnte, blieb er bei einem Abgeordneten stehen, dem „African-American“ Jesse L. Jackson jr. Der hatte seine dreijährige Tochter mitgebracht. Die nahm Bush auf den Arm. Später, kurz vor Ende der Rede, schwenkte die Kamera erneut auf die Jackson-Tochter. Da schlief sie tief und fest im Arm ihres Vaters.

Es war Bushs dritte Rede zur Lage der Nation. In seiner ersten prägte er den Begriff von der „Achse des Bösen“, der eines der Kennzeichen seiner Amtszeit sein dürfte, obwohl er ihn seitdem kaum wiederholt hat. In der zweiten kündigte er den Irak-Krieg an. Dabei berief er sich auf Geheimdienst-Informationen über mutmaßliche Massenvernichtungswaffen. Heute weiß man, wie verwegen oder unverfroren das war. Diesmal klang Bush zwar markig im Tonfall, war aber vorsichtig in der Sache. Weder verkündete er eine neue Strategie noch ein neues Programm. Er verteidigte den Irak-Krieg und seine Wirtschaftspolitik, insbesondere die drastischen Steuererleichterungen. Er warb für eine Verlängerung des „Patriot Act“, dessen rigide Maßnahmen zur Stärkung der inneren Sicherheit umstritten sind. Und er trat als klassischer Konservativer auf, der die Homo-Ehe um jeden Preis verhindern will, der Jugendlichen Abstinenz predigt und Schüler auf Drogenmissbrauch untersuchen möchte. Diese Passagen waren vor allem seinem Chefstrategen im Weißen Haus, Karl Rove, wichtig. Er rief unmittelbar vor der Rede bei mehreren sozialkonservativen Gruppen an, um sicherzustellen, dass die Rede auch gesehen wird. Erwartungsgemäß waren diese Gruppen hinterher entzückt.

Was bleibt von dieser Rede? In der Außenpolitik dürfte es das erneute Pochen des Präsidenten auf Amerikas Recht zu Alleingängen sein. „Amerika wird niemals um einen Erlaubnisschein bitten, um die Sicherheit unseres Landes zu verteidigen.“ Übersetzt hieß das: Ob der Irak-Krieg vom UN-Sicherheitsrat sanktioniert war, schert uns nicht. Den Vorwurf des Unilateralismus wiederum konterte Bush mit dem Hinweis auf all jene Länder, die Soldaten in den Irak geschickt haben.

Am Ende waren sich die US-Kommentatoren einig: Programmatisch war diese Rede belanglos. Stattdessen markiert sie den Auftakt von Bushs Wiederwahl-Kampagne. Seinen nächsten großen Auftritt hat er erst im September, beim Nominierungsparteitag der Republikaner in New York. Bis dahin drängt die Opposition in die Schlagzeilen. Bush wollte vor allem präsidial wirken. Er sprach „wie ein Mann, der zum Mond und Mars möchte, während die Demokraten gerade nach Manchester in New Hampshire unterwegs sind“, schrieb die „New York Times“. Dort finden am Dienstag die nächsten Vorwahlen statt. Die Opposition freilich erwähnte Bush mit keinem Wort. Er ist mit wichtigeren Dingen als dem Wahlkampf befasst: Das war seine Botschaft. Man könnte es die subtilste aller Wahlkampfbotschaften nennen.

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