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Politik: Streit über den Tod hinaus

Der Ehemann und die Eltern der Koma-Patientin versöhnen sich nicht. Wahrscheinlich gibt es zwei Beerdigungs-Zeremonien

Ihr Schicksal hat die Nation entzweit. Ihr Tod verschärft den Zwist sogar noch. Am Donnerstag starb Terri Schiavo. Vor dem Pflegeheim in Pinellas Park, in dem die 41-jährige Wachkoma-Patientin jahrelang lag, wird die Nachricht zunächst nicht geglaubt. Hier war für sie gekämpft, gesungen, gebetet worden. Die Demonstranten hatten in Zelten gecampt oder im Freien, nur eingehüllt in einen Schlafsack. Vor 13 Tagen war Schiavo die Magensonde entfernt worden, die sie künstlich ernährt hatte. Seitdem verhungerte und verdurstete sie.

„Ich sah einem Mord zu“, sagt verbittert Dominique Hanks, „jeder, der daran mitwirkte, ist ein Komplize“. Hanks war täglich hier, fuhr in ihrem motorisierten Rollstuhl auf und ab. Jetzt rollen ihr Tränen übers Gesicht – wie vielen anderen auch. Mike Stafford dagegen platzt fast vor Wut. Unmittelbar nach der Bekanntgabe von Terris Tod stellt er sich vor einige Polizisten, hebt die Hand zum Nazigruß und brüllt sarkastisch „Heil Hitler“. Es sei „wirklich krank“, sagt er, was man der Patientin angetan habe.

Mehr als fünfzig Menschen wurden von der Polizei in den vergangenen Tagen verhaftet, weil sie versucht hatten, Schiavo Wasser zu bringen. Ihr Ehemann Michael sowie Richter George Greer, der die wesentlichen Urteile in der Sache gefällt hatte, müssen Tag und Nacht beschützt werden. Der Zorn der „Lebensschützer“ scheint grenzenlos. Es gibt Morddrohungen. Der Ton ist aggressiv. Die ewige Ruhe fand am Donnerstag nur Terri Schiavo selbst.

Alle Nachrichtensender berichten den ganzen Tag live. Bis zum späten Abend laufen Sondersendungen. Geistliche werden befragt, Psychologen, Mediziner, Ethiker. Das Abgeordnetenhaus von Florida beginnt seine Sitzung mit einer Schweigeminute. Gouverneur Jeb Bush, der Bruder des Präsidenten, spricht von den schwierigsten Wochen, die er in seiner Amtszeit je erlebt hat. Der Fall habe ihm das Herz zerrissen. „Als Gesellschaft müssen wir lernen, mit der Frage von Leben und Tod besser umzugehen.“

Jeb Bush ist Katholik, ebenso wie Terri und ihre Eltern, Bob und Mary Schindler. Doch die Wertedebatte verlief mitnichten entlang strenger religiöser und politischer Grenzen. Katholiken und Protestanten kämpften Seite an Seite. Jesse Jackson, eine Ikone der Linken – schwarzer Bürgerrechtler, Kriegsgegner, Abtreibungsbefürworter –, unterstützte Terris Eltern. Aus konservativen Kreisen wiederum war Kritik an der Einmischung des amerikanischen Kongresses geäußert worden. In Fragen der Moral verwischen sich oft die Fronten.

Zwei Stunden später tritt der Präsident vor die Presse. Eigentlich wollte er sich ausschließlich einem anderen Thema widmen – dem Versagen der Geheimdienste im Vorfeld des Irakkriegs. Doch dann spricht er zunächst über die „Kultur des Lebens“. Die Zivilisation gründe auf einer Pflicht der Starken, den Schwachen zu helfen, sagt George W. Bush. In Zweifelsfällen müsse man sich stets auf die Seite des Lebens schlagen. Fast alle namhaften US-Politiker bringen in den kommenden Stunden ihr Mitgefühl zum Ausdruck.

Wenig später verlassen zwei weiße Totenwagen das Hospiz, eskortiert von Polizisten auf Motorrädern. Terris Ehemann Michael hat einer Obduktion zugestimmt. Anschließend will er das „kleine, hübsche Mädchen mit dem großen Lächeln“, wie er sie nannte, einäschern lassen und im Bundesstaat Pennsylvania beisetzen, wo sie sich kennen gelernt und geheiratet hatten. Bob und Mary Schindler protestieren auch dagegen. Ihre Tochter solle christlich und in Florida beerdigt werden. Wahrscheinlich gibt es mindestens zwei Zeremonien. Über diesem Grab ist eine Versöhnung nicht möglich.

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