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DasWAR“S: Irina und Fernschach

Was Peter Könnicke mit der Weinberg-Schule verbindet

Irgendwie hat die Weinberg-Schule in Kleinmachnow etwas Faszinierendes. Am Donnerstag, als ein Buch über die Geschichte der Schule vorgestellt wurde und ehemalige Lehrer aus ihrem Schulleben plauderten, fühlte ich mich in seltsamer Weise verbunden. Dabei habe ich nie die Weinberg-Schule besucht. Schuld daran ist Thomas.

Wir waren 13, als Thomas und ich uns kennen lernten. Weil wir vorbildliche Thälmannpioniere waren, wurden wir mit dem Freundschaftszug in ein sowjetisches Ferienlager nach Minsk geschickt. Dort traf ich Irina. Sie hatte schwarze Haare und trug ein rotes Kleid mit weißen Punkten. Sie war meine Ferienlagerliebe. Unser Lieblingslied bei der Lagerdisko, die es fast jeden Abend gab, war „Hiroshima“ von den Puhdys. Nicht wegen der politischen Botschaft, sondern weil es ein langsames Lied war.

Ein Höhepunkt unserer Reise war ein ganzes Wochenende, das wir bei einer Gastfamilie verbringen sollten. Ich fuhr nur widerwillig ins Rathaus nach Minsk, wo unsere Gasteltern warteten, denn ich würde Irina zwei Tage nicht sehen. Um so überraschter war ich, als ich in dem Gedränge ein rotes Kleid mit weißen Punkten erblickte. Irina! Sie zeigte auf Thomas und mich – und ihr Vater adoptierte uns fürs Wochenende.

Nach typischer Tradition und Selbstverständlichkeit gingen wir in den Zirkus. Während sich die Akrobaten einen abschaukelten, kämpfte ich mit rasenden Herzklopfen gegen meine Schüchternheit: Ich traute mich nicht, meinen Arm um Irinas Schulter zu legen. Als ich mich endlich überwunden hatte, was es zu spät: Da saß Thomas und hatte seinen Arm auf Irinas Lehne gelegt – etwas verkrampft zwar, aber immerhin. In meiner Verzweiflung legte ich meinen Arm über seinen. Und so saßen wir die ganze Zirkusvorstellung da: Irina in der Mitte, Thomas auf der einen, ich auf der anderen Seite.

Wir haben nie ausgesprochen, dass wir Rivalen waren. Im Gegenteil: Als das Ferienlager zu Ende ging, haben wir uns noch eine Zeit lang geschrieben. Thomas schlug vor, wir sollten Fernschach spielen. In jedem Brief schrieben wir unseren nächsten Schachzug auf, bis ich keine Lust mehr hatte, weil mir das zu lange dauerte und ich im Begriff war zu verlieren. Nach den Ferien ist Thomas an die Erweitere Oberschule nach Kleinmachnow gegangen. Er war ein Mathe- und Physikfreak. Jedesmal, wenn ich heute das Weinberg-Gymnasium betrete, frage ich mich, was aus ihm geworden ist.

Ich frage mich, ob Thomas Zirkus genauso blöd findet wie ich.

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