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Angelika Budnick ist seit 1992 Invalidenrentnerin. Um sich für die Familie Weihnachtsgeschenke leisten zu können, geht sie Flaschen sammeln.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Minirente, Flaschenpfand, Suppenküche: Frau Budnick und die Inflation

Das DDR-Heimsystem hat Angelika Budnick krank gemacht. Die Potsdamerin lebt von 800 Euro im Monat, davon gehen 501 Euro für die Miete drauf. Wie kommt sie klar?

1985 kam die erste Panikattacke, aus heiterem Himmel. Angelika Budnick arbeitet zu dieser Zeit als Telefonistin bei der Sparkasse. „Ich bin früh einkaufen gegangen, Milch wollte ich holen“, erzählt die 64-jährige Potsdamerin. Im Bus bekommt sie Herzrasen, weiß nicht, wie ihr geschieht. Die Anfälle wiederholen sich. Angelika Budnick fehlt deswegen nun immer wieder im Betrieb, sagt aber nicht wieso. „Weil ich mich geschämt habe“, erklärt sie.

Damals ist unklar, was genau mit ihr los ist. Die richtige Diagnose wird sie erst nach dem Mauerfall bekommen. Eine wirksame Therapie noch viel später. Angelika Budnick leidet unter einer schweren Angststörung. „Durch meine Kindheit“, weiß sie heute.

Bis zum 18. Lebensjahr in verschiedenen DDR-Heimen

Als Säugling kommt sie wegen gesundheitlicher Probleme der Mutter ins Heim. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr wird sie durch verschiedene Einrichtungen gereicht. Falkensee, Finkenkrug, auch Potsdam – das Durchgangsheim in der Puschkinallee. Ihre Mutter lernt sie erst mit acht Jahren kennen. „Mit 13 hatte ich den ersten Selbstmordversuch hinter mir.“

Schließlich drei Jahre im Jugendwerkhof in Bernburg: „Das hat mir das Genick gebrochen.“ In den Jugendwerkhöfen sollten Jugendliche, die als „schwer erziehbar“ galten, straffällig geworden oder für das DDR-System anderweitig „problematisch“ waren, auf Linie gebracht werden. Angelika Budnick erlebt Körperverletzung, wird Zeugin von Missbrauch durch Erzieher. „Das kann man nicht vergessen und verzeihen“, sagt sie.

Trotz allem baut sie sich danach zunächst erfolgreich ein eigenes Leben auf. 1975 kommt sie wieder nach Potsdam. Sie findet nicht nur Arbeit in einem Altenheim in der Bertinistraße, sondern auch Anschluss an eine Clique mit Freundinnen: „Das war meine schönste Zeit.“ Sie lernt ihren Mann kennen. Kinder kommen nicht in Frage. „Ich hätte immer Angst gehabt, dass das Kind in ein Heim kommt.“

Dass Kollegen oft nur das „Heimkind“ in ihr sehen, schmerzt sie: „Man wurde immer abgestempelt.“ Sie wechselt die Arbeitsstelle ein paar Mal, schult zur Telefonistin um. Dann kommen die Panikattacken. Noch zu DDR-Zeiten ist sie in psychiatrischer Behandlung. Wieso das nichts brachte, liegt im Nachhinein auf der Hand. „Sie hatten Angst, dass ich erzähle“, sagt Angelika Budnick.

Seit 1992 ist die Potsdamerin Invalidenrentnerin. Fast 20 Jahre habe sie ihre Wohnung nicht verlassen: „Ich war ein Zombie.“ Ihr Mann, von dem sie sich mittlerweile getrennt hat, fuhr sie zu Arztbesuchen – selbst das klappte nur mit Beruhigungsmitteln. Erst eine Traumatherapie ab 2014 habe Besserung gebracht.

Heute kann sie allein einkaufen. „Aber man hat trotzdem seine Albträume“, sagt sie. Bus fahren geht nicht. Aber sie hilft drei älteren Damen und einem Herren mit dem Einkauf und engagiert sich bei der Tierrettung. „Ich mag keine Ungerechtigkeit, ich stehe den Schwächeren bei“, sagt sie. Auch das ist ein Erbe ihrer Kindheit.

800 Euro Rente im Monat, der Großteil geht für die Miete drauf

Von 800 Euro im Monat lebt die 64-Jährige mit ihren Hunden Rosa und Elli, Wohngeld inklusive. Allein 501 Euro koste ihre Miete, erzählt sie. Hinzu kommen Versicherungen und weitere feste Posten. Alles in allem, rechnet sie vor, bleiben ihr 120 Euro für Essen.

Was das bei stark gestiegenen Preisen heißt, spürt sie deutlich. „Man geht nur mit kleinem Korb einkaufen, da sind schon die 100 Euro weg – früher hat das für einen großen Korb gereicht.“ Beim Einkaufen guckt sie noch genauer nach Angeboten wie billigen Dosensuppen. Auf Fleisch verzichte sie mittlerweile ganz.

Früher konnten alte Leute auch mal wegfahren, einen Kaffee trinken gehen – daran ist für viele heute nicht zu denken.

Angelika Budnick, Rentnerin

Schon seit Jahren geht Angelika Budnick in der Suppenküche der Volkssolidarität essen, wenn auch nicht jeden Tag. Das Mittagessen für zwei Euro oder das günstige Frühstück „in der Suppe“, wie sie sagt, sei billiger als zu Hause: „Da kann man ‘ne ganze Menge sparen.“ Im vergangenen Jahr, als der Preisanstieg begann, wollte sie sich bei der Potsdamer Tafel melden: Aber dort gab es einen Anmeldestopp wegen des großen Andrangs. Die Tafel hat mittlerweile mit der Volkssolidarität ein Angebot speziell für Rentner gestartet: Seit Mai gibt es an der Begegnungsstätte Auf dem Kiewitt eine wöchentliche Essensausgabe.

Seit Mai bietet die Tafel gemeinsam mit der Volkssolidarität eine Essensausgabe für Rentnerinnen und Rentner in Potsdam-West an.
Seit Mai bietet die Tafel gemeinsam mit der Volkssolidarität eine Essensausgabe für Rentnerinnen und Rentner in Potsdam-West an.

© Andreas Klaer

Um ihren schmalen Geldbeutel etwas aufzubessern, geht Angelika Budnick im Sommer Flaschen sammeln. Wo genau sie unterwegs ist, sagt sie nicht, um keine Konkurrenz auf den Plan zu rufen. Es seien immer mehr Flaschensammler in Potsdam unterwegs, so ihre Beobachtung: „Auch ältere Leute.“ Das Flaschengeld legt sie zurück für den Winter. Davon kaufe sie für die Neffen oder ihre Schwester Weihnachtsgeschenke, erzählt sie.

Rentner werden in der Inflation von der Politik vergessen, findet sie. Die 300 Euro Energiepauschale im vergangenen Jahr hätten „nicht viel gebracht“. Auch die Rentenerhöhung helfe kaum. „Davon kannste gerade mal ‘ne Tasse Kaffee trinken gehen, mehr nicht.“

Viele Politiker bekämen die Not bei den Älteren gar nicht mit, glaubt sie. „Die müssten mal wirklich hinschauen, wie manche Menschen leben“, sagt Angelika Budnick. „Früher konnten alte Leute auch mal wegfahren, einen Kaffee trinken gehen – daran ist für viele heute nicht zu denken“, erklärt sie: „Sie sitzen den ganzen Tag bloß rum.“

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