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Landeshauptstadt: Nicht bis zur Ranger-Rente

Mit Claas Fischer entdecken Interessierte im Weltkulturerbe die „Intelligenz der Natur“

Mit Claas Fischer entdecken Interessierte im Weltkulturerbe die „Intelligenz der Natur“ Park Sanssouci - Heute Morgen duldet die Natur kein Grünes. Die Schneedecke hält sich. Selbst das grüne Gitter des Parkeingangs Am Grünen Gitter wirkt in der Kälte grau. Als könnte es im Frühjahr einen neuen Anstrich vertragen. Wer will sich beklagen? Im Januar ist mit Winter zu rechnen. Claas Fischer wartet am Treffpunkt. Er schaut zuversichtlich wie der helle Tag, der es momentan aber nicht zu werden verspricht. Ranger von Sanssouci nennt er sich. Das klingt, als könne der 32-Jährige Herausforderungen bewältigen. Jetzt zum Beispiel. In dieser halbtoten, froststarrenden Schnee- und Baumgerippe-Landschaft will er die lebendige Natur finden. „Die Erde ist ein Lebewesen“, umreißt der Natur- und Landschaftspfleger seine Philosophie. Na. Dann los. Bereits an einer Klinkerwand hinter der nächsten Ecke prangt der Efeu wie bestellt in einem für die Jahreszeit anmaßendem Grün. Der lebende Beweis für die Geschäftsidee von Claas Fischer, seine Baumwanderungen auch im Winter anzubieten. „Der Efeu hat im Winter ein ,Frostschutzmittel“ in den Blättern“, sagt er, eine Substanz gegen den Frost. Mehr noch, der Efeu ist gerade in der Fruchtphase. Claas Fischer deutet auf kleine blaue Beeren. Winterfrüchte. Während seiner Gymnasialzeit in Lüdenscheid, wo er herstammt, ging er mit Freunden oft spazieren im Wald, um nachzudenken über die Natur der Dinge. Was heute ein Ranger ist mit Brief und Siegel und ein engagierter Geo- und Tiefenökologe, dort nahm es seinen Anfang. Tiefenökologie sieht den Menschen als Bestandteil einer lebendigen Welt. Alles ist miteinander verwoben. Es gibt eine äußere Natur und eine innere Natur. „Es ist eine Indianerphilosophie“, sagt Claas Fischer. Vor Jahren hat er in Neu Mexiko (USA) Friedensstudien betrieben („Wo fängt der Frieden bei mir an?“, „Was kann ich für den Frieden tun?“). Jeder sollte sich fragen, meint er, „was ist deine innere Natur?“. Ziel ist Selbstakzeptanz. Sein Motto lautet: Natürlich stimmig. Soll auch heißen: Natürlich stimm ich! In unseren Worten liegt Wahrheit. Der Ranger zeigt einen Gingko-Baum, ein weibliches Exemplar. Der Kern der Früchte ist sehr schmackhaft. Doch der Fruchtmantel stinkt gewaltig nach Buttersäure. Irgendwo in diesem 1846 von Peter Joseph Lenné gestalteten Landschaftsgarten ließ Lenné einen männlichen Gingko pflanzen. Für die Fortpflanzung braucht es Männlein und Weiblein, „Lenné wusste davon“, sagt er. Ist er denn nicht lieber in ursprünglicher, unangetasteter Natur unterwegs? Lieber als in dieser angelegten Landschaft, wo nicht einmal die Hügel von der Eiszeit, sondern von Menschenhand aufgeschüttet sind? Vielleicht im Yellowstone-Nationalpark, dort, wo 1880 der ersten Ranger seine Arbeit aufnahmen? „Ich habe sowohl einen Natur- als auch einen Kulturbezug“, erklärt Claas Fischer. In den USA gebe es sogar Kulturranger. Der Marly-Garten wirke sehr natürlich, im Gegensatz zum barocken Teil vom Park Sanssouci. Dort ist alles gerade und rechtwinklig, „rittersport-mäßig“, sagt er. Aber auch das sei schön. Jetzt ist es soweit. Aber es war abzusehen. In dieser Tundra, in der Passanten wie schneeblind frierend hindurchhasten, zeigt Claas Fischer nun auf eine – Blüte. Die Januarblüte der „Zaubernuß“, sie hat kleine gelbe „zipfelartige Blütenblätter“. Ihren Namen hat der aus Amerika stammende Strauch, weil sich die Leute früher aus seinen Strünken Wünschelruten schnitzten, um Schätze zu finden. Auch das weiß der Ranger: Vor uns blüht eine „virginische Zaubernuß“, eine aus Virginia, nur die blühen im Winter. Unterm „Orakelbaum“. In seine Rinde sind Kürzel von Liebespaaren geritzt, es ist eine Buche. Die alten Germanen, sagt Claas Fischer, hörten im „Rauschen der Buchenblätter das Raunen der Götter“. Und als „Runen“ ritzten sie es in die Rinde. Sie nahmen Buchenstäbe dazu, was damit entstand waren Buchstaben. Wissen aus Worten. Auch an einer schlichten Birke, der „Lichtgöttin im Frühjahr“, geht der Ranger nicht achtlos vorbei. Mit der weißen Borke schützt sich die Birke vor den warmen Sonnenstrahlen im Frühjahr. Sie wirft das wärmende Licht zurück, das die Rinde sonst reißen lassen würde. Andere Bäume schützen sich mit dicker Borke, wieder andere durch ein Laubdach. „Intelligenz der Natur“, so sein Kommentar. Die Frage nach Gott: Steckt ein intelligentes Wesen hinter der Natur? „Die Natur ist etwas Wesenhaftes“, sagt Claas Fischer. Ein Verfechter der Darwinschen Theorie von die Entstehung neuer Arten durch natürliche Selektion sei er nicht. Wie kann aus einem Lurch ein Vogel werden, nur weil eine zufällige Mutation aufgetreten ist? Gleich von Anfang an müsste die genetische Veränderung im Körperbau des Viehs ihm einen entscheidenen Überlebensvorteil gewährt haben – sonst wäre es ja sofort gefressen worden. Die Natur sei viel zu intelligent, um zufällig entstanden zu sein. Claas Fischer ist nicht nur ein Wissender, sondern auch einen Zweifelnder am etablierten Wissen. 1995 begann er in Potsdam Geoökologie zu studieren, ein Studium, das er nicht zu Ende führte. „Ich hatte die Grundlagen. Und den Mut zu sagen, ich höre auf.“ Festgefahrene Situationen flieht er. „Im Augenblick fühle ich mich sehr wohl. Mal sehen, wo es hinführt.“ Er ist sicher, dass noch viele Dinge in seinem Leben auf ihn warten. Auch das, was er jetzt macht, werde er wohl nicht ewig machen, nicht bis zur Ranger-Rente. Am nächsten Baum. Einem gefährlichen weil giftigen. „Hundert Nadeln bringen einen Menschen um“, erklärt der Naturkenner. Es ist eine Eibe. Der Samenmantel der Eibenfrucht „schmeckt köstlich“, doch „es ist ein Spiel mit dem Tod“: Der Kern ist hochgiftig. Manchmal wollen Touristen den Fruchtmantel kosten. „Auf eigene Gefahr“, warnt er dann. Aber reicht ein einziger Eiben-Kern, um einen Menschen zu töten? Claas Fischer antwortet: „Ich weiß es nicht.“ Er hat noch nie einen probiert. Die nächsten Baumwanderungen mit Claas Fischer sind am 20. und 21. Februar. Info unter Tel.: (0331) 9676 972 oder im Internet unter www.natuerlich-stimmig.de

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