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Landeshauptstadt: Sturmgöttin im Sturm

Wikingerboot „Kari“ zwischen Schwanenallee und Sacrow beendet seine erste Saison

Wikingerboot „Kari“ zwischen Schwanenallee und Sacrow beendet seine erste Saison Von Erhart Hohenstein Wie viel Sturm muss eine Sturmgöttin aushalten? An diesem sonnigen Oktobertag braucht Kari solch eine Frage nicht zu beantworten. Ruhig gleitet das nach der nordischen Sturmgottheit benannte Wikingerboot über den Jungfernsee. An einem Juniabend war das anders. Drohend zogen sich damals dunkle Wolken um den See zusammen. Doch noch war das Wasser glatt, und so wagte Schiffsführer Peter Borrmann gegen 18 Uhr die letzte Tour. Schnell wurden die 1100 Meter hinüber zur Sacrower Heilandskirche bewältigt. Auf der Rückfahrt zur Schwanenallee aber packten die ersten Böen die „Kari“. Urplötzlich und mitten auf dem See. Sie wehrte sich mit der Kraft ihres 9,9-kW-Viertaktmotors. Vergeblich. Der Sturm war stärker und schob das 15 m lange Boot ans Glienicker Ufer. Borrmann warf den Anker, doch der wurde über Grund mitgeschleift. Unsanft, aber ohne Schaden zu nehmen, landete „Kari“ an der hölzernen Uferbefestigung. So können die Wikinger von heute gleich ihren Vorgängern, die mit den Drachenkopf geschmückten Holzbooten die Meere durchfurchten, also auch von Seeabenteuern berichten. Ein Orkan auf dem Jungfernsee ist allerdings die ganz große Ausnahme. Wird Windstärke sechs erreicht, ist das bereits Grund genug, den zwischen 11 und 18.30 Uhr laufenden Fährverkehr zu unterbrechen. Als der erfahrene Binnenmatrose mit Schiffsführerpatent noch auf Lastkähnen unterwegs war, pfiff ihm der Wind oft viel heftiger um die Nase, aber „hier geht es ja um die uns anvertrauten Passagiere, deren Sicherheit oberstes Gebot sein muss.“ Seit 1. Mai verbindet die ungewöhnliche Fähre Schwanenallee und Sacrow. Sie stellt einen verkleinerten Nachbau des 1880 im Seeschlamm vor der norwegischen Küste gefundenen Gokstad-Schiffes dar, wie es ab Ende des 8. Jahrhunderts von den Wikingern für langen Fahrten genutzt wurde. Die Idee kam von Eviga, dem Evangelischen Verein zur Förderung der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit Berlin-Steglitz, der durch den Bau und nun den Betrieb des Bootes Jugendlichen wieder zu einer Beschäftigung verhalf. Beispielsweise Matthias Zeidler, der heute als Decksmann mit an Bord ist. Obwohl nicht eben üppig dafür geworben wird, hat die Kari beträchtliche Popularität erreicht. Peter Borrmann will bei schönem Wetter noch dieses Wochenende mitnehmen, dann hofft er zum Saisonschluss auf deutlich über 10 000 Passagiere zu kommen. Im Sommer hat er sich manchmal gewünscht, ein richtiges Gokstad-Schiff mit 32 (Ruder-)Plätzen zu führen. Die „Kari“ darf im Fährverkehr nämlich nur 12 Personen plus Fahrräder mitnehmen. Obwohl ohne Pause gefahren wurde, bildeten sich manchmal lange Schlangen. Wenn schon kein größeres Schiff eingesetzt werden kann, das andere schifffahrtsrechtliche Bestimmungen mit sich brächte, hätte Peter Borrmann da eine Idee: einen Imbisskiosk an der Ablegestelle, wo man sich bei Bratwurst, Eis und Limonade die Wartezeit verkürzen kann. Alle Verhandlungen mit potenziellen Betreibern sind aber bisher fehl geschlagen. Ein paar mehr Leute, nämlich 17, darf die „Kari“ an Bord nehmen, wenn sie nach dem Fährende auf Gesellschaftsfahrt geht. Zwei bis sechs Abendstunden fährt sie dann bei Hochzeiten, Geburtstagen, Betriebsfeiern hinauf nach Krampnitz, rund um die Pfaueninsel oder weiter hinaus. Getränke und Imbiss müssen allerdings mitgebracht werden, ebenso regenfeste Kleidung. Schwimmwesten und andere Rettungsmittel sind natürlich an Bord. Die weiteste Tour bisher führte nach Berlin-Strahlau. Dabei musste vor Brücken auch der Mast gelegt werden, bei einer Tonne Gewicht eine schwere Arbeit. Ebenso tritt das 40 Quadratmeter große bunte Segel selten in Funktion. Als Rahsegel nützt es nur, wenn der Wind in der gewünschten Richtung weht. Das tut er aber auf dem Jungfernsee kaum einmal. Schon die Wikinger nutzten es lediglich als Hilfsmittel“, erklärt Borrmann. Sie verließen sich vorwiegend auf die kräftigen Arme ihrer Ruderer.“ Gerudert werden kann die „Kari“ übrigens auch, wenn sich Gesellschaften diesen Spaß gönnen möchten. 16 Ruderplätze stehen für sie bereit. Schiffsführer und Decksmann haben das Boot auf diese Weise aber auch schon zu zweit vom See geholt, als der Motor ausfiel. Jetzt geht das Wikingerschiff ins Winterquartier und die Wikinger“ bummeln ihre Mehrstunden ab. Außerdem steht die Bootswartung an. An der verwaisten Anlegestelle verraten Fundamentreste, dass hier als Herzstück der unter Wilhelm II. errichteten Kaiserlichen Matrosenstation Kongsnaes (Königsspitze) eine riesige Eingangshalle in bester norwegischer Holzbaukunst stand. Ein Förderverein will sie wieder aufbauen, womit Potsdam sein „Stück Norwegen“ zurückerhielte. Peter Borrmann hat in der Kari“ kürzlich schon ein skandinavisches Fernsehteam über den See gefahren, das in seiner Heimat über das Projekt berichten will.

Erhart Hohenstein

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